Kolumne Denkanstoß Leben mit Demut und Dankbarkeit

Mönchengladbach · Unser Autor wurde im Urlaub mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert und kam ins Grübeln. Ein Zitat bringt die richtige Art zu leben für ihn auf den Punkt.

Unser Autor verbrachte seinen Urlaub auf Gran Canaria. (Symbolbild)

Unser Autor verbrachte seinen Urlaub auf Gran Canaria. (Symbolbild)

Foto: Gran Canaria Golf

Mönchengladbach Anfang Januar gönnten wir uns eine Woche auf Gran Canaria. Jeden Tag Sonne bei 24 Grad, das war gut, um die Akkus wieder aufzuladen. Während wir vor drei Jahren, als wir auch dorthin flogen, krank und schlapp waren, verspürten wir diesmal großen Tatendrang und erkundeten mit Freunden das Innere der schönen Kanareninsel. Da gibt es großartige Landschaften mit pittoresken Gebirgsformationen, da locken schöne alte Städtchen und auf Teilen des Eilandes wuchert üppigste Vegetation. Gangolf, unser Freund aus Trier, ist gelernter Florist. Er öffnete uns die Augen für manches, was sonst unbeachtet geblieben wäre.

Ich merkte bald, wie sich die Sinne öffneten und der Kopf freier wurde. Rechner und Terminkalender hatte ich vor der Abreise kurzerhand wieder aus der Tasche gezogen. Es war unmöglich, zu arbeiten. Frei sein vom Alltäglichen, das macht es möglich, auch mal grundsätzlich über das eigene Dasein nachzudenken. Und das ist ab und zu notwendig: Bei mir rückt die Pensionierung näher. Ich sollte mir also überlegen, wie es danach weitergehen soll, und wie ich in Zukunft leben möchte. Und zwischendurch taucht sie in dem Zusammenhang auch mal auf, jene Frage, die sich nicht beantworten lässt: „Wieviel Lebenszeit habe ich noch?“

Als wir vor drei Jahren auf Gran Canaria waren, hatten wir Spaß in einer netten Cli­que von Leuten, die wir im Quartier kennenlernten. Morgens wurde zusammen gefrühstückt und abends trank man gemeinsam ein Bier. Von den sieben Leuten, die da unbekümmert zusammensaßen, sind schon drei nicht mehr am Leben! Wir waren erschüttert über die Todesnachrichten, die uns in Abständen erreichten. Das ging unter die Haut, obwohl es sich „nur“ um Urlaubsbekannte handelte. Die Todesursachen waren: eine plötzliche Nervenerkrankung, Suizid als Folge von Depression und ein Gehirntumor. Wer grübelt da nicht?

Ich möchte keinen Pessimismus verbreiten. Aber alle erfahren früher oder später, wie zerbrechlich menschliches Leben ist. Über Nacht kann vieles anders sein. Möglicherweise hat mich die Erinnerung an die drei Verstorbenen sensibler gemacht? Als wir in der Nähe des Städtchens Agüimes eine Schlucht durchwanderten, die das Regenwasser in Jahrmillionen ins vulkanische Gestein gegraben hat, und ich über die vom Wasser rund gewaschenen Basaltbrocken streichelte, ging mir auf: Was für unvorstellbar lange Zeiträume, die sich hier in der schönen Natur auftun. Was sind wir Menschen dagegen mit unserer Lebenszeit – nicht mal ein Wimpernschlag in der Erdgeschichte! Warum nehmen wir uns bloß so furchtbar wichtig? Ist solches Nachdenken trostlos? Ich vermute, etliche Zeitgenossen wollen nichts davon wissen. Instinktiv wird beiseitegeschoben, was ihre Lebensfreude trüben könnte. Sie umgehen auch in eleganten Ausweichmanövern die Sorgen derer, die am Morgen nicht mit Freudentränen aufgewacht sind. „Hauptsache mir geht’s gut, und ich habe meinen Spaß!“ Und wenn es dann nicht ganz genauso läuft, wie man es wünscht – oder noch schlimmer: wofür man bezahlt hat – dann werden sie grantig und teilen kräftig aus. Auch das haben wir wieder mehrfach erlebt – insbesondere bei deutschen Touristen.

Als der Canyon hinter uns lag und wir ein typisch spanisches Lokal gefunden hatten, stießen wir fröhlich mit dem jüdischen Trinkspruch: „L‘Chaim“ – „Auf‘s Leben!“ an. Nachts, als ich über die Einsichten aus der Felsenschlucht nachdachte, kam mir ein Zitat von Jörg Zink ins Gedächtnis. Er beschreibt, wie ich auch in Zukunft mein Leben nehmen möchte, in einer Mischung aus Demut und Dankbarkeit: „Millionen von Jahren waren, ehe es mich gab. Jahrmillionen werden vielleicht noch nach mir sein. Irgendwo in ihrer Mitte sind ein paar Sommer, in denen für mich Tag ist auf dieser Erde. Für diese spannende Zeit danke ich Dir, Gott!“

Olaf Nöller ist evangelischer Pfarrer in Rheydt.

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