Klettern Yannick Flohé hat Olympia im Blick

Hilden · Der Essener Klettersportler trainiert regelmäßig in Hilden – zuletzt mit dem deutschen Nationalteam. Aktuell liegt der Fokus auf dem Combined-Wettkampf in Toulouse. Dort will der 20-Jährige das Ticket nach Tokio lösen.

 Yannick Flohé will hoch hinaus – und findet in der Hildener Bergstation das richtige Übungsgelände.

Yannick Flohé will hoch hinaus – und findet in der Hildener Bergstation das richtige Übungsgelände.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Zehn Tage lang stand die Hildener Bergstation ganz im Zeichen von Deutschlands besten Klettersportlern. Bei der Deutschen Meisterschaft im Lead, die nach 2017 zum zweiten Mal in der Itterstadt über die Bühne ging, setzte sich der Kölner Jan Hojer die Krone auf, Rang drei belegte der Essener Yannick Flohé. Für beide Athleten waren die Titelkämpfe nur ein Aufwärmen für den einwöchigen Lehrgang des Nationalkaders, der unter der Leitung der Bundestrainer Urs Stöcker und Friederike Kops ebenfalls in der Bergstation über die Bühne ging. Das Ziel: Eine gute Vorbereitung auf den Combined-Wettkampf im französischen Toulouse, der am Donnerstag, 28. November, startet. Dann stehen Hojer und Flohé erneut im Rampenlicht, denn beide Deutschen wollen die Chance nutzen, sich für die Olympischen Spiele in Tokio zu qualifizieren. Alexander Megos hat die Fahrkarte nach Tokio bereits in der Tasche. Wer das zweite Ticket bekommt, ist noch offen.

In der Vorbereitung auf Toulouse überlassen die Bundestrainer nichts dem Zufall und verpflichten zwei der weltbesten Routenbauer für den Nationallehrgang. So schrauben die Franzosen Remi Samyn und Jacky Godoffe am Übungsparcours im französischen Bau-Stil. Godoffe beispielsweise prägt seit 1992 in Frankreich das Bouldern, eine der drei Klettervarianten im Combined neben Lead und Speed. „Im Bouldern sind wir beide ähnlich gut“, beschreibt Yannick Flohé, der regelmäßig in der Hildener Bergstation trainiert, seine Chancen im direkten Duell mit dem frischgebackenen Deutschen Lead-Meister Jan Hojer. Da sieht Flohé eigentlich seine Stärken, muss sich aber bei der DM seinem Teamkollegen geschlagen geben. Die Erklärung folgt auf dem Fuß. „Bei der DM hatte wir einen anderen Routenbauer. Die Tour war relativ einfach. Im Weltcup geht es unten schwerer los, da braucht man mehr Ausdauer“, sagt Flohé. Im Speed hingegen sieht der 20-Jährige seinen Kontrahenten im Vorteil. Viel hängt von der Tagesform ab, vor allem aber von der jeweiligen Kletter-Aufgabe oder wie es Flohé ausdrückt: „Es kommt drauf an, wie die Route einem liegt.“ Zu seinen Schwächen zählte beim Titelkampf in Hilden allerdings die Fußarbeit. „Sie ist sehr wichtig, um die Arme zu entlasten und als Unterstützung“, berichtet der Soldat der Sportförderkompanie.

2020 in Tokio steht erstmals das Olympic Combined auf dem Programm, eine neu geschaffene Kombinationsform, die sich aus den drei Klettervarianten zusammensetzt und über zwei Runden geht – Qualifikation und Finale. Jeder Athlet muss in allen drei Disziplinen starten: Den Anfang macht Speed, danach kommt Bouldern und zum Schluss Lead. Im Finale werden die Ergebnisse aus jeder Disziplin multipliziert – derjenige mit der niedrigsten Zahl holt Olympia-Gold. Bis dahin ist es für Yannick Flohé aber noch ein langer Weg, denn zunächst einmal muss er im Duell gegen Jan Hojer bestehen – der 26-Jährige hat zweifellos mehr Erfahrung im Wettkampfgeschehen, holte 2014 unter anderem Bronze bei der Boulder-Weltmeisterschaft und den Gesamtweltcup-Sieg. Flohé hingegen kletterte in diesem Jahr zu WM-Bronze im Bouldern. In Toulouse will er versuchen, unter die Top-Sechs zu kommen, denn die sind für die Olympischen Spiele gesetzt. Was ihn an Tokio reizt? „Der Start bei Olympia ist der größte Erfolg für einen Kletterer“, betont er, bleibt zugleich gelassen: „Es ist aber nicht meine letzte Chance.“ Denn wahrscheinlich gehört Klettern auch 2024 in Paris zum olympischen Programm. „Wie die Japaner sind auch die Franzosen sehr stark im Klettern“, nennt Bundestrainer Urs Stöcker den Grund.

Flohé, der in Essen ein Bauingenieur-Studium absolviert, kam über seine Eltern zum Klettersport. Mit fünf Jahren ging es los. „Die wenigsten klettern in den Bergen“, sagt er und ergänzt: „Im Ruhrgebiet gibt es die meisten Kletterhallen – das geht ein ganzes Leben lang. Ich habe es ab zwölf Jahren regelmäßig gemacht.“ Der Reiz liegt für ihn in der Vielseitigkeit des Sports: „Man muss ganz unterschiedlich dafür trainieren.“ Schon in den Jugend-Wettkämpfen war er auf den vorderen Plätzen zu finden, nahm 2015 erstmals an Erwachsenen-Wettbewerben teil. 2018 startete Flohé durch, gewann die Deutsche Meisterschaft im Bouldern und im Speed sowie den European Youth Cup im Lead und bei der Jugend-WM Silber im Bouldern.

Ergebnisse, die aufhorchen lassen, hinter denen jedoch viel Arbeit steckt. Im Winter trainiert er beispielsweise die Maximalkraft und gesteht: „Das hat wenig mit Klettern zu tun.“ Später steht viel Bouldern auf dem Übungsplan, um die Beweglichkeit zu fördern. Wettkampfsimulation gehört dazu. So absolviert er gerne mal die Lead-Route gleich dreimal hintereinander, um die Ausdauer zu trainieren. Beim Speed hingegen ist vor allem Schnellkraft in den Beinen vonnöten. Weil bei der Tour die Griffabfolge immer die Gleiche ist, können sich die Kletterer optimal vorbereiten. „Das ist wie beim Hürdenlauf: Man muss es so einstudieren, dass man nicht mehr darüber nachdenkt.“ Was macht ihm am meisten Spaß im Training? „Die Oberkörperkraft“, sagt Flohé und gesteht: „Beweglichkeit und Koordination gefallen mir nicht so gut.“ Nebenbei bemerkt: Auch die Kräftigung der Fingermuskulatur ist extrem wichtig.

An diesem Vormittag steht für Flohé vor dem Training an der Boulder-Wand zunächst einmal ein ausführliches Gespräch mit dem Sportpsychologen an. „Er begleitet uns die ganze Saison“, berichtet Urs Stöcker. Der Bundestrainer weiß um die Vorzüge der Mental-Arbeit, sagt aber auch: „Es braucht Zeit, bis die Akzeptanz bei den Athleten da ist.“ Ziel ist, gemeinsam mit den Sportlern Strategien zu entwickeln, wie sie mit dem gestiegenen Druck und der wachsenden Aufmerksamkeit umgehen. Denn Olympia ist nicht nur für den 20-jährigen Flohé Neuland – Tokio 2020 ist überhaupt für den Klettersport die olympische Premiere.

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