Theaterpremiere in Krefeld Die Einsamkeit der Anne Frank

Krefeld · Eine Stunde lang lässt Vera Maria Schmidt die Zuschauer in das Herz eines Mädchens blicken, das zwischen pubertärer Schwärmerei und Todesangst hin und her gerissen in einer Ausnahmesituation lebt. „Das Tagebuch der Anne Frank“ setzt in der Studio-Inszenierung vor allem auf Gefühle.

 Vera Maria Schmidt als Anne Frank auf den Paletten, die ihr Versteck darstellen. Die Bühne hat Dorothea Mines gstaltet. Clemens Gutjahr hat eine bewegende Schauspielmusik dazu komponiert.

Vera Maria Schmidt als Anne Frank auf den Paletten, die ihr Versteck darstellen. Die Bühne hat Dorothea Mines gstaltet. Clemens Gutjahr hat eine bewegende Schauspielmusik dazu komponiert.

Foto: Matthias Stutte

Eine Wand aus aufgestapelten Holzpaletten markiert den Verschlag. Die Holzleisten wirken wie quergesetzte Zellengitter. Denn diese Unterkunft im Hinterhaus der Amsterdamer Prinsengracht 263 ist ein Gefängnis: Acht Menschen sind hier auf engstem Raum untergekommen. Untergetaucht vor den Nazis, die Juden auch in den Niederlanden verfolgen.Gut zwei Jahre werden sie hier versteckt leben, immer in Sorge, ein Geräusch zu machen, das sie verraten könnte, immer in Todesangst, jetzt abgeholt zu werden.

Was muss unter solchen Bedingungen in einem 13-jährigen Mädchen vorgehen? Anne Frank hat es ihrem Tagebuch anvertraut. Das Buch hat den Holocaust überlebt, Anne Frank nicht. Sie ist kurz vor der Befreiung des Lagers im KZ Bergen-Belsen an Typhus gestorben. Ihr Vater ist der Einzige der acht Versteckten aus dem Hinterhaus, der am Leben geblieben ist. Jahrzehnte später hat er die Tagebucheinträge seiner Tochter veröffentlicht.

Die Historie ist bekannt, und das setzt Ulrich Cyran bei seiner Bühnenfassung von „Das Tagebuch der Anne Frank“ voraus. Seine Inszenierung, die er 2017 für die Burgfestspiele Bad Vilbel eingerichtet hat, baut deshalb vor allem auf das Innenleben des Mädchens Der gelbe Judenstern ist nur ein kleiner Button auf dem Ringelshirt. Jetzt hatte seine Übertragung fürs Theater Krefeld Premiere in der Fabrik Heeder – und wurde mit Beifall aufgenommen.

Vera Maria Schmidt, inzwischen Ensemblemitglied des Gemeinschaftstheaters, hat hier wie in Bad Vilbel die Rolle der Anne Frank. Eine Menge Text hat sie für den gut einstündigen Monolog zu bewältigen, sie spielt Akkordeon und singt Schlager aus Anne Franks Zeit, Kuscheliges von Herman van Veen, den „Mädchen“-Song von Lucilectric und jiddische Lieder. Damit steckt sie das Spannungsfeld ab, in dem diese Anne steckt: Sie ist noch ein bisschen Kind, auch wenn ihr das naive Weltbild gründlich zerstört wurde, sie ist schon viel zu erwachsen, weil sie mit der existenziellen Angst täglich konfrontiert wird. Sie ist schwärmerischer Teenie, der sich nach sexuellen Erfahrungen sehnt, und kluge Beobachterin, die erschreckend klar reflektiert. Und sie ist vor allem einsam.

Eine wirkliche Freundin, sagt sie, hat sie in der Welt draußen nie gehabt. Im Versteck nennt sie ihr Tagebuch Kitty, vertraut ihm alles an. Ihr Vater Otto Frank sollte in den 60er Jahren im Interview sagen, dass er „sehr überrascht war über Annes tiefe Gedanken“. Dem Buch hat sie anvertraut, was sie selbst ihre nächsten Mitmenschen im geheimen Versteck nicht merken ließ. Es sind kluge, tief bewegende Gedanken. Vera Maria Schmidt täte gut daran, sie ein bisschen wirken zu lassen, ihnen Raum zu geben. Zu schnell fliegt sie durch den Text, hastet durch die Wechselbäder einer Pubertierenden zwischen Flausen und Reifen und spart am Ende zehn Minuten der ursprünglichen Stücklänge ein. Zehn Minuten, die mit einem ausgefeilteren dynamischen Wechselspiel, den Spannungsbogen gehalten hätten.

Was draußen in der Welt passiert, erfährt Anne durch die Helfer, die die Versteckten unterstützen. Schmidt spricht die Nachrichten in ein Mikrofon durch die Palettenwand, mit dem Rücken zum Publikum. Nach vorne öffnet sie ihre Seele. Da gelingen Schmidt auch berührende Momente. Ein sehenswerter Abend.

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