Krefeld fiebert mit mutterlosen Tieren Auch zweites Rehkitz ringt mit dem Tod

Krefeld · Nach dem Tod des ersten Rehkitzes sind die Überlebenschancen für das Schwestertier gering. Es war gefunden worden, weil es in Todesverzweiflung nach der Mutter gerufen hatte. Jetzt wird es Tag und Nacht versorgt. Wie es um das Tier steht und was nun passiert, erklären Experten.

 Das Bild der beiden Rehkitze ist leider schon Geschichte. Eines ist bereits tot, das andere kämpft um sein Leben. Es braucht intensive Pflege und Ruhe, jeder Stress ist lebensgefährlich.

Das Bild der beiden Rehkitze ist leider schon Geschichte. Eines ist bereits tot, das andere kämpft um sein Leben. Es braucht intensive Pflege und Ruhe, jeder Stress ist lebensgefährlich.

Foto: Mona Schellscheidt

Viele Krefelder fiebern seit Tagen mit den beiden Rehkitzen, deren Mutter im Forstwald bei einem Verkehrsunfall getötet wurde. Leider zeichnet sich ab, dass dieses Bangen vergebens sein könnte. Das zuerst gefundene Kitz starb, wie berichtet, bereits am Mittwoch. Das zweite, später gefundene, Jungtier ist in schlechtem Zustand und seine Überlebenschancen betragen nach Einschätzung der Tierärzte und Pfleger zurzeit nur 20 Prozent. „Wir haben alles getan, was wir konnten. Nach ersten Erkenntnissen hatte das erste Kitz Wasser im Bauchraum. Das hat nichts mit falscher Pflege oder etwas in dieser Richtung zu tun. Am Ende sind es Wildtiere und da kommt so etwas leider vor. Genaue Untersuchungen folgen“, sagt Torger Kugler, der für den Fall verantwortliche Sachbearbeiter der Jagd- und Fischereibehörde.

Der 34-Jährige ist ausgebildeter Jäger und kennt sich in der Thematik gut aus. Die beiden Kitze zu finden und ihnen überhaupt eine Chance zu geben, sei bereits schwierig gewesen. „Ricken legen ihre Kitze irgendwo im Dickicht oder auf einer Wiese ab. Dort liegen sie dann die ersten Wochen fast die ganze Zeit allein und rühren sich nicht. Zweimal am Tag, meist früh morgens und am Abend, kommt das Muttertier und säugt sie. Das ist eine regelrechte Druckbetankung. Die Jungen sind aber noch zu schwach, dem Muttertier zu folgen. Ihr Überleben hängt davon ab, unsichtbar – und fast geruchlos – zu sein“, erläutert Kugler. Allerdings haben Muttertiere keinen großen Aktionsradius, weshalb die Helfer die Tiere nach intensiver Suche doch fanden. „Natürlich ist immer eine gewisse Unsicherheit dabei. Aber speziell beim zweiten, jetzt noch lebenden Tier ist es absolut sicher, dass es ein Kitz der getöteten Ricke ist. Es wurde gefunden, weil es laut rufend am helllichten Tag umher lief. Das machen Kitze nur, wenn sie kurz vor dem Tod und komplett verzweifelt sind“, sagt der Experte.

Mit diesem Verhalten, das ein letzter verzweifelter Versuch ist, die Mutter zu finden, ziehen sie auch Raubtiere an. „Kurz vor dem Tod ist das aber noch die beste Chance. Weiter liegen zu bleiben ist der sichere Tod, das Rufen gibt vielleicht eine ein-, zweiprozentige Chance“, erläutert der Beamte. Das spiegelt aber auch den desaströsen Allgemeinzustand des Kitz. „Es hatte vermutlich zwei oder zweieinhalb Tage keine Milch bekommen und war komplett dehydriert und mangelernährt. Wir haben dann die Zootierärztin Dr. Stefanie Markowski hinzugezogen, Infusionen gesetzt, ihm Antibiotika gegeben und es gefüttert sowie Immunglobulin, das normalerweise mit der Muttermilch aufgenommen wird, zugeführt. Jetzt können wir nur abwarten“, sagt Kugler.

Die Kitze waren schließlich  in die Obhut des Tierheims gegeben worden, wo Pflegerin Mona Schellscheidt sich der Tiere annahm. Alle zwei bis drei Stunden – auch in der Nacht –  gibt sie Milch und kümmert sich um die Pflege. Der Tod des ersten Tiers war traurig für sie – umso größer ist die Sorge um dessen Schwester. „Das Tier hat eine Infektion. Ich befürchte eine Lungenentzündung. Wir tun, was wir können“, sagt die Ärztin. Sie kämpft weiter.

Und was geschieht, wenn das Tier es schafft? „Zunächst muss man sehen, wie das Kitz mit dem Alleinsein klar kommt. Aktuell sind die Päppelstationen voll, und die Belastung der freiwilligen Helfer ist hoch. Ein Umgang mit anderen Rehen ist darum aktuell kaum möglich. Es wird darum zunächst im Garten der Tierheimmitarbeiterin leben. Sie hat ein großes Grundstück mit viel natürlicher Vegetation. Das zweite Kitz hätte sehr geholfen. Aber dieser Weg ist leider verschlossen. Wenn es allein kümmert, müssen wir schauen, dass es so bald wie möglich doch in eine Päppelstation kommt, wenn die Fütterung nicht mehr ganz so oft nötig ist. Leider bekommt der Mensch es nicht hin, so viel Milch zu verabreichen, wie eine Mutter-Ricke. Später würde das Tier so weit wie möglich vom Menschen entwöhnt und in einem geschützten Bereich ausgewildert. Das ist der optimale Fall“, sagt Kugler. Es könne aber auch sein, dass das Tier nur noch in der Obhut des Menschen leben könne. Das müsse die Zukunft zeigen.

Kitze, die ihre Mutter verlieren, sind leider keine Seltenheit. Gerade im Straßenverkehr kommt es immer wieder zu Todesfällen. Oft werden die Jungtiere gar nicht gefunden oder fallen frei laufenden Hunden oder Wildtieren zum Opfer. „Vor allem Füchse sind für junge Kitze der größte Feind“, sagt Kugler. Problematisch sei auch die Mahd großer Wiesen. „Nicht alle Landwirte mähen von innen nach außen, wie es verpflichtend ist. Auch Verbrämungsmaßnahmen sind heute eigentlich vorgeschrieben. Der Landwirt ist dafür verantwortlich, dass keine Wildtiere zu Schaden kommen“, sagt der oberste Jäger der Stadt deutlich. Er plädiert darum für den Einsatz von Drohnen. „Mit einer guten Infrarotdrohne, die allerdings mehrere tausend Euro kostet, lässt sich eine Zehn-Hektar-Wiese in einer Stunde zuverlässig absuchen. Leider gibt es in Krefeld solche, mit Ausnahme von Hüls, gar nicht“, sagt er. Auf diese Art könnten viele Kitze, aber auch Feldhasen, Fasane und andere Wildtiere, gerettet werden.

Am Ende ist das im Tierheim befindliche Kitz ein Tier, mit dem Krefeld nun mitfiebert – aber, so macht Kugler deutlich,  es ist nur eines von vielen. Zur Rettung der Natur müsse am Ende jeder Mensch seinen Teil beitragen.

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