Filmpremiere in Krefeld Die mit Meteoritenstaub malt

Krefeld · Ungewöhnliche Premiere in Krefeld: Ein Kinofilm über die Düsseldorfer Künstlerin Ulrike Arnold feierte im Künstlerhaus von Chris Worms Premiere. Arnold malt mit Erden aus aller Welt – und mit Meteoritenstaub.

 Szene aus dem Film „Dialogue Earth“ über die Künstlerin Ulrike Arnold. Sie breitet ein Gemälde aus, das mit den Erden in der Landschaft, in der sie steht, gemalt wurde.

Szene aus dem Film „Dialogue Earth“ über die Künstlerin Ulrike Arnold. Sie breitet ein Gemälde aus, das mit den Erden in der Landschaft, in der sie steht, gemalt wurde.

Foto: Ulrike Arnold / Hank Levine/Jens Voss

Ein Erweckungserlebnis: Als Ulrike Arnold das erste Mal in Frankreich die steinzeitlichen Malereien in der Höhle von Lascaux sah, war sie so ergriffen, dass ihr die Tränen kamen. Danach wollte sie nur eines: Malen! Malen mit Erde! Malen wie die Menschen am Anfang der Geschichte des Geistes. Es war ein lebensgeschichtlich einschneidendes Erlebnis: Arnold, Jahrgang 1950, gab danach eine Beamtenstelle als Kunstlehrerin an einer Knabenrealschule in Hilden auf und lebt seit 1989 als freie Künstlerin von ihrer Kunst. Schnell fand sie zu ihrem Stil. Es genügte ihr schon bald nicht mehr, im Atelier mit farbigen Erden als Stoff zum Malen zu experimentieren – sie wollte in der Landschaft selbst malen, wo diese Erden zu finden waren. Jetzt ist ein kinoreifer Film über ihr Leben gedreht worden, der bedingt durch Corona noch nicht ins Kino kam. Titel: „Dialogue Earth“. Es gab eine kleine Vorpremiere in Düsseldorf, die europaweite Premiere war jetzt an drei Abenden hintereinander im Garten des Hauses am Stadtwaldeingang, das der Künstler Chris Worms in jahrzehntelanger Schwerstarbeit von der Ruine zu einer einzigartigen Weltkunsthütte geformt hat. Warum Chris Worms, warum Krefeld?

 Kinofilm-Premiere im Garten des Hauses am Stadtwaldeingang (v.l.):  Birgit Schlechter, Chris Worms, Ulrike Arnold und Victor van Keuren.

Kinofilm-Premiere im Garten des Hauses am Stadtwaldeingang (v.l.):  Birgit Schlechter, Chris Worms, Ulrike Arnold und Victor van Keuren.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

Worms und Arnold haben sich durch Zufall kennengelernt und innige Geistesverwandtschaft entdeckt: Es ist  der Blick zum Anfang, der beide fesselt. Auch Worms war und ist von den frühesten Zeugnissen der Kunst begeistert, von dem Moment, in dem Menschen etwas schufen, „das zwecklos war“, wie er sagt.  Stimmt. In der Kulturanthropologie ist nicht Werkzeuggebrauch das Signum der Menschwerdung (den es bekanntlich rudimentär auch bei Menschenaffen gibt), sondern Kunst. Der abstrahierende Strich der 17.000 Jahre alten Höhlenzeichnungen von Lascaux ist wie ein Wunder – ein Peng-Moment in der Menschheitsgeschichte. Von da an war klar, dass wir bei allem, was uns mit Materie verbindet, auch Geistwesen sind: nicht ganz von dieser Welt.

Arnold hat diese Erfahrung berückend in Kunst übersetzt: Ihre Bilder sind ausdrücklich keine Landschaftsbilder, auch wenn sie in Landschaften entstanden sind. Es sind abstrakte Kompositionen, die doch über ihr Material mit der Erde, auf der wir stehen, aus der wir kommen und in die wir wieder eingehen werden, verbunden sind. Einer der ersten, der begeistert war von dieser Kunst und gekauft hat, war übrigens der US-Schauspieler Dennis Hopper, ein Kenner und besessener Sammler.

Den Film über sie hat der renommierte Regisseur Hank Levine gedreht. Das bekannteste Werk, an dem er beteiligt war, ist „City of God“, jener Welterfolg über die Armenviertel von Rio de Janeiro. Auch die Musik zum Arnold-Film stammt von einem renommierten Künstler: Hauschka alias Volker Bertelmann, der über die Beteiligung an der Filmmusik „Lion – Der lange Weg nach Hause“ eine Oscar-Nominierung bekam. Für  „Dialogue Earth“ schuf der Komponist einen Klangteppich, der der meditativen Grundstimmung in Arnolds Bildern kongenial Ausdruck verleiht.

Der Film ähnelt mehr einer Collage als einer stringenten Lebenserzählung. Biographische Bilder und Begegnungen – zum Beispiel mit einem Freund in den USA, der Meteoriten sammelt und ihr den Staub vom Zersägen überlässt – sind eingebettet in Szenen von der Arbeit der Künstlerin in der Landschaft. Die Musik arbeitet wunderbar heraus, dass hier der Urgrund, der zentrale Imperativ dieses Lebens liegt: genau so malen zu müssen.

Zu den eindringlichsten Szenen gehören die, in denen Arnold fertige Gemälde in der Landschaft ausbreitet. Sie fügen sich ein und sind doch Eigenes. Selbst die Künstlerin erscheint – staubbedeckt, mit nackten Füßen – Teil der Landschaft und ihr doch entstiegen zu sein. Das Ganze entfaltet archaische Kraft – als Grenzerfahrung: Kunst und Materie sind sich rätselhaft nah und rätselhaft geschieden.

Arnold stammt aus einem pietistischen Elternhaus. Ihr Vater war Pfarrer, leidenschaftlicher Theologe und Prediger, der seine Tochter verprügelte, wenn sie nicht parierte. Pietismus ist – Gottes Liebe hin oder her – eben auch mit teuflischer Enge aufgeladen. Arnold berichtet, dass sie früh den Impuls verspürte, sich zu lösen. „Ich hatte panische Angst vor Heirat, Kinder kriegen, ich musste  raus.“ 1989 ging sie für ein halbes Jahr nach Australien, allein mit ihrer Kunst  und den Erden dort. Das war’s. Sie war für bürgerliche Lebenspfade verloren.

Ihr Traum vom Künstlerdasein hat sich erfüllt. Nur ein Traum wird wohl unerfüllt bleiben: auf dem Mond mit Mondstaub zu malen. Jedenfalls fast: Sie malt auch mit Meteoritenstaub, immerhin. So holt sie sich den Himmel auf ihre Bilder.

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