Prozess Im Zweifel für den Angeklagten

Emmerich/Kleve · Freigesprochen wurde am Montag ein 36-jähriger Rumäne am Landgericht. Die Anklage hatte ihm vorgeworfen, einen Zimmergenossen in einer Praester Leiharbeiterunterkunft bestohlen und mit einem Messer verletzt zu haben.

Messerstecherei: Rumäne aus Emmerich vor Gericht in Kleve freigesprochen
Foto: dpa/David-Wolfgang Ebener

Mit einem Messerstich ins Gesicht endete am 26. Mai dieses Jahres eine Auseinandersetzung zwischen zwei Rumänen in Praest. Rettungskräfte waren nachts zu einer Leiharbeiterunterkunft an der Reeser Straße gerufen worden, und fanden dort einen blutenden Rumänen vor, dessen linke Wange durchstochen war.

Wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls und gefährlicher Körperverletzung musste sich deswegen ein 36-jähriger Rumäne vor dem Klever Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten vor, seinen Zimmergenossen am 26. Mai zunächst bestohlen zu haben. Als dieser ihn dabei ertappte, soll der 36-Jährige mit einem Messer zugestochen und dabei die Wange des Zimmergenossen durchbohrt haben. So hatte es der Geschädigte den Beamten nach dem Vorfall geschildert.

Am Montag, dem zweiten Verhandlungstag, wurde der Angeklagte jedoch von der zweiten großen Strafkammer freigesprochen. Zwar sei es unstrittig, so der Vorsitzende Richter Gerhard van Gemmeren, dass der Angeklagte seinen rumänischen Zimmergenossen mit einem Klappmesser im Gesicht verletzte – dafür sprächen sowohl DNA-Gutachten als auch Zeugenaussagen. Dass der Angeklagte jedoch möglicherweise in Notwehr handelte, sei nicht auszuschließen, der 36-Jährige daher nach dem juristischen Grundsatz „in dubio pro reo“ („Im Zweifel für den Angeklagten“) freizusprechen. Für den angeblich vorangegangenen Diebstahl gäbe es keine ausreichenden Anhaltspunkte.

Dem Urteil war eine holprige Beweisaufnahme vorangegangen: Mehrere rumänische Zeugen – die, ebenso wie die beiden Beteiligten, als Leiharbeiter auf niederländischen Schlachthöfen arbeiteten – waren nicht zur Verhandlung erschienen. Teils konnten sie noch von der Polizei ausfindig gemacht und zwangsweise dem Gericht vorgeführt werden. Doch der Geschädigte blieb fern, befindet sich wohl mittlerweile wieder in der rumänischen Heimat.

Die beiden Zeugen, die am Montag von der Polizei vorgeführt werden konnten, schilderten, dass sie auf einer Feier kurz vor der Tat mitbekommen hatten, wie der Angeklagte dem Geschädigten ein Verhältnis mit der Frau eines anderen Leiharbeiters unterstellte. Mit Beschimpfungen habe der Geschädigte reagiert, bevor die beiden die Feier verlassen hätten. Der Zorn über die schlüpfrige Anschuldigung – ein mögliches Motiv dafür, dass der Geschädigte im gemeinsamen Zimmer zuerst angriff, und zwar mit einem Stuhl, wie vom Angeklagten erklärt. Und sollte es so gewesen sein, erklärte der Vorsitzende, sei es das Recht des Angeklagten, sich notfalls auch mit einem Messer gegen einen zweiten Stuhlhieb zu verteidigen.

Der Angeklagte, der sich seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft befindet, konnte das Landgericht am Montag als freier Mann verlassen. Die Staatsanwaltschaft, die drei Jahre Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung beantragt hatte, kann noch Revision einlegen. Zufrieden dürfte mit dem Freispruch die Verteidigung sein, die – ebenfalls wegen gefährlicher Körperverletzung – eine milde Strafe für ihren Mandanten beantragt hatte.

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