In Dinslaken und Voerde Handel schöpft Hoffnung nach verkorkstem Jahr

Dinslaken/Voerde · 2020 begann für den Einzelhandel in Dinslaken und Voerde vielversprechend. Doch dann kam Corona und alles ging bergab. Die Händler mussten hohe Einbußen verkraften. Aber es gab auch eine überraschende Welle der Solidarität der Kundschaft vor Ort.

 Vor dem Lockdown: Die Dinslakener Neustraße am Montag, 14. Dezember, um 13.30 Uhr.

Vor dem Lockdown: Die Dinslakener Neustraße am Montag, 14. Dezember, um 13.30 Uhr.

Foto: Heinz Schild

Umsatzeinbrüche, Kurzarbeit, Zukunftsangst. Für die Einzelhändler in Dinslaken und Voerde war 2020 mit zwei Lockdowns ein verkorkstes Jahr. Aber es gibt auch Hoffnung: In der Krise haben viele Kunden gezeigt, dass sie die Geschäfte vor Ort wertschätzen. Wir haben mit Händlern und Werbegemeinschaften gesprochen.

Eigentlich fing das Jahr 2020 gut an. Das sagen alle befragten Geschäfte in Dinslaken und Voerde einstimmig. In der Neutor-Galerie etwa sind Besucherfrequenz und Umsätze in den ersten drei Monaten um bis zu zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, berichtet Center-Manager Tobias Agthe. „Die Mieter waren fröhlich, positiv gestimmt und bester Laune. Es versprach ein wirklich gutes Jahr zu werden.“ Auch Sabine Friemond-Kund, Inhaberin der Lesezeit in Voerde, freute sich im Januar seit der Fertigstellung der Dinslakener Straße über „spürbar bessere Umsätze“.

Dann kam im März der erste Lockdown und damit der erste Einbruch: „Die Frequenz fiel um bis zu 80 bis 85 Prozent und die Umsätze einiger Mieter teilweise sogar um bis zu 100 Prozent“, so Tobias Agthe. Im Centermanagement hatte man mit der Umsetzung der Auflagen zu tun – „und wir mussten uns an diese nie für möglich gehaltene Situation erst gewöhnen.“ Viele Mitarbeiter der Geschäfte mussten in Kurzarbeit.

Auch für Leder Berensen, ein Filialunternehmen mit 28 Geschäften und über 200 Mitarbeiterinnen unter anderem in Dinslaken brachen „nach einem guten Einstieg mit Januar und Februar“ die Umsätze im ersten Lockdown zusammen, berichtet Jürgen Berensen. Trotz eigener Internetpräsenz blieben die Umsätze auch nach dem ersten Lockdown mit 30 bis 45 Prozent im Minus. „Das liegt zum Teil an unserem Sortiment, das mit 36 Prozent Umsatzanteil bei Reisegepäck im Normalfall liegt – und Reisen war in 2020 nahezu unmöglich“, erklärt Jürgen Berensen. Im Herbst seien die „Umsätze immer schwächer“ geworden. Ursache war auch der „Lockdown light“: Ohne Aufenthaltsqualität in den Innenstädten werde „nur das Nötigste gekauft“, so Jürgen Berensen.

Obwohl sein Unternehmen „recht breit gefächert aufgestellt“ sei, hätten die Pandemie und der erste Lockdown die Jonkmanns GmbH in Dinslaken „mit voller Wucht in allen Bereichen“ erwischt, berichtet Wilhelm Jonkmanns. Das Ladenlokal für Geschenke- und Präsente an der Augustastraße musste schließen: „Ostern mit allen Umsätzen und die dafür eigens eingekauften Waren konnten wir abschreiben“, so Jonkmanns. Weil außerdem keine Geburtstage, Hochzeiten oder Jubiläen gefeiert werden durften, „benötigte auch kein Mensch Geschenke oder Präsente“.

Der Umsatz brach um 90 Prozent ein, zwei Mitarbeiterinnen konnten zwischenzeitlich nicht beschäftigt werden. Ähnlich verhielt es sich bei Werbeartikeln etwa für Messen und Außendienstakquise sowie Bewirtungsartikel. „Im ständigen Wechsel mussten sechs Mitarbeiter von uns in Kurzarbeit geschickt werden,“ bedauert Jonkmanns. Nach der kostenlosen Masken-Verteilaktion im Sommer kamen wieder „vereinzelt“ Kunden ins Ladenlokal an der Augustastraße, bis zum zweiten Lockdown sei der Umsatz zumindest in diesem Bereich wieder aufs Vorjahreslevel gestiegen.

„Für die Reisebranche kam der Lockdown zu früh“, berichtet Jürgen Lange-Flemming vom Reisebüro Flemming Dinslaken, der zugleich auch Vorsitzender der Werbegemeinschaft ist. Zu Beginn des Jahres seien viele Reisen gebucht worden bestätigt auch Julia Vowinkel-Hochstay von Reisebüro Ankerplatz in Voerde. Auch im Mai und Juni sei es wieder aufwärts gegangen, vor die Kanaren seien beliebtes Ziel gewesen, sie galten ja nicht als Risikogebiet. Aber „inzwischen ist die ganze Welt für die Reisenden im Lockdown“, so Lange-Flemming.

Claudia Stöcker, Inhaberin der ten Have-Bekleidungsgeschäfte in Voerde und Hiesfeld, war „schon Anfang April klar, dass es mit einem Lockdown wahrscheinlich nicht getan ist“. Deshalb sei es auch im Nachhinein richtig gewesen, nicht weiter die Filiale in der Neutor-Galerie zu investieren. „Der Lockdown jetzt – im doch so wichtigen Weihnachtsgeschäft gerade an solch einem Standort, wäre nicht zu packen gewesen“.

Drei bis vier Monate nach dem ersten Lockdown habe wieder „verhaltene Normalität“ geherrscht, so Tobias Agthe (Neutor-Galerie Dinslaken). Die Besucherfrequenz im Einkaufszentrum habe sich wieder bei etwa 85 bis 90 Prozent des Vorjahres eingependelt, die Umsätze lagen sogar über denen des Vorjahres – „obwohl man stets eine gewisse Anspannung bei allen Menschen spürte“, so Agthe. Viele Besucher hätten die Maske im geschlossenen Einkaufscenter vor allem im Sommer als „sehr belastend“ angesehen. „Die Verluste, die durch den ersten Lockdown verzeichnet wurden, konnten nicht mehr aufgeholt werden“, so Agthe.

In der Hoffnung auf ein gutes Weihnachtsgeschäft wurden die Händler vom zweiten Lockdown erneut ausgebremst. „Schlimmer hätte es nicht kommen können. Kein Weihnachtsmarkt, keine weihnachtlichen Aktionen und dann die Schließung fast aller Geschäfte“, so Tobias Agthe: „Dieser Verlust wird sich nicht mehr ausgleichen lassen können.“

Auch für Leder Berensen ist der zweite Lockdown „existenziell“. Die Branche sei „sehr stark vom Weihnachtsgeschäft abhängig“. Im Dezember machten die Geschäfte ein Minus von über 70 Prozent. „Trotz der Kurzarbeit und Sparmaßnahmen ist es uns nicht möglich, die Mieten zu bezahlen“, so Jürgen Berensen.

Tee Gschwendner in Dinslaken war eines der wenigen Geschäfte, das in beiden Lockdowns geöffnet bleiben durfte. Zwar wurden die Öffnungszeiten „der aktuellen Lage“ angepasst, so Inhaber Patrick Dza, aber „wir versuchen, in diesen Zeiten so viel Normalität wie möglich zu bieten, indem wir unserer Tätigkeit nach wie vor nachgehen. Bei uns überwiegt die Dankbarkeit, gerade auch im Hinblick auf Nachbarn sowie anderen Branchen, denen es momentan nicht möglich ist ihren Beruf ausüben zu können.“

Für die Werbegemeinschaften waren die Lockdowns und Beschränkungen ein zusätzliches Problem: Wie sollen sie für eine Innenstadt werben, in der sich möglichst wenig Kunden versammeln sollen? Für die Werbetreibenden der Neutor-Galerie sei das „der absolute Supergau“ gewesen, berichtet Tobias Agthe: „Alle Aktionen waren verboten. Das Einzige was uns übrig blieb, war das Verteilen von Blumen oder Geschenken an unsere Besucher. All das was eine Werbegemeinschaft ansonsten ausmachte, war von jetzt auf gleich nicht mehr möglich.“

Immerhin, die Digitalisierung habe „einen immensen Fortschritt“ gemacht, bilanziert Jürgen Lange-Flemming von der Werbegemeinschaft Dinslaken. Einige Geschäfte hätten „angefangen, sich dem Internet zu stellen“. Aber die Verluste durch den Lockdown „konnten nicht kompensiert werden.“ Auch der Wegfall der überregional bedeutsamen Veranstaltungen - wie Fahrradfrühling, Din-Tage, Martinikirmes und verkaufsoffene Sonntage - „haben nicht zu einer positiven Entwicklung in der Dinslakener Innenstadt geführt“. Und die Regenschirmaktion des Städtepartnerschaftsvereins hätte mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt, findet Lange-Flemming.

Der Eigentümer der Neutor-Galerie, die Hellmich-Gruppe, sei den Mietern der Neutor-Galerie im ersten Lockdown durch Mieterlasse und Streichungen der noch offenen Rechnungen entgegen gekommen, berichtet Center-Manager Tobias Agthe. Auch jetzt sei das wieder geplant. Die Staatshilfen, so berichtet er, seien wohl angekommen - reichen aber nicht aus. Und müssen bald zurückgezahlt werden.

Jürgen Berensen von der Kette Leder Berensen bestätigt das: „Durch die KFW haben wir sehr schnell eine Finanzierung erhalten, die ab Juni 2021 schritt um Schritt wieder zurückgezahlt werden muss“.Und es gab unerwartet große Unterstützung von den Kunden vor Ort. Diese hätten sich zunehmend auf die lokalen Geschäfte konzentriert, ist mehrfach zu hören. Weil sich etwa in der Krise gezeigt habe, wir wertvoll der Kundenservice vor Ort ist, berichtet Julia Vowinkel-Hochstay vom Reisebüro Ankerplatz Voerde. „Und die Reisen sind ja im Internet nicht billiger“, fügt sie hinzu.

Für Claudia Stöcker, Inhaberin der ten Have-Bekleidungsgeschäfte in Voerde und Hiesfeld hat die Zeit zwischen den Lockdowns gezeigt, dass der örtliche Fachhandel eine Daseinsberechtigung habe und gegenüber den Großstädten profitiere. „Wir merken jetzt in unseren Geschäften in Voerde und Hiesfeld wie hoch die Akzeptanz und die Wertschätzung einer kompetenten und ehrlichen Beratung bei den Kunden ist. Das hat uns im Sommer und Herbst richtig gut getan. Wir hörten so oft den Satz von unseren Kunden: ‚Wir möchten doch auch weiterhin bei Ihnen einkaufen‘“.

Auch Sabine Friemond-Kund, Inhaberin der Lesezeit in Voerde, berichtet von einer Welle der Solidarität, sowohl im ersten als auch im zweiten Lockdown. „Das Telefon stand nicht mehr still, eine WhatsApp nach der anderen pingte herein, eine Mail nach der anderen ploppte auf. Eine Welle, nein ein Tsunami der Solidarität und Loyalität umspülte uns!“ In Voerde gab es „eine Woche länger Buchverkauf als anderswo im Land. Vielen Dank an die Stadtverwaltung!“ Und sie durfte die Post offenhalten und bestellte Ware an der Ladentür, abgeben oder ausliefern. „So hielten sich die erwarteten Verluste in Grenzen“, so Sabine Friemond-Kund.

Auch als sich der zweite Lockdown ankündigte, stieg erneut die Kundenfrequenz in der Lesezeit an. „Wieder hatte ich das tolle Gefühl, dass viele Voerder und Dinslakener sich an lokalen Geschäften orientierten. Viele Kunden äußerten ihren Wunsch, dass es uns weiterhin gibt und wünschten uns alles Gute.“ Mit jedem Tag Richtung Lockdown stiegen die Umsätze „überproportional“.

Sabine Friemond-Kund ist unsicher: „Wie lange wird dieser absolut nötige Lockdown dauern? Wie lange hält die Lesezeit durch? „ Sie hofft, dass „das umsatzstarke Jahresende meiner Firma genügend Puffer für die nächsten Wochen gibt.“ Claudia Stöcker (ten Have) hingegen ist überzeugt: „2021 wird besser. Selbst wenn ich davon ausgehe, dass wir wahrscheinlich erst im Februar wieder öffnen dürfen, werden die Kunden dann dankbar unser Angebot annehmen.“ Dank der treuen Kunden und der langjährigen Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen, Lieferanten, Beratern und Banken „kommen wir noch mit einem blauen Auge raus und freuen uns auf 2021!“

Auch Tobias Agthe ist optimistisch, dass“ das Jahr 2021 gänzlich anders wird – also wieder normal!“ Im Sommer würde die Neutor-Galerie gerne wieder mit Aktionen und Festivals starten. Agthe hofft, dass dann „viele Menschen aus der Kurzarbeit herauskommen“. Die Reisebüros rechnen ebenfalls im Sommer mit einer Belebung wenn sich die Impfungen positiv auswirken.

Allerdings hoffen die Händler dafür auf Unterstützung durch die Politik - etwa beim Thema verkaufsoffene Sonntage. Tobias Agthe: „Wir hoffen, dass durch die verantwortungslose Politik seitens Verdi in 2021 ein nicht allzu großer Schaden bei den Firmen entstanden ist. Denn wer bekommt die finanziellen Einbußen der Firmen als erstes zu spüren? Es sind die Mitarbeiter die oft durch Entlassungen diese Einbußen zahlen müssen.“

Jürgen Lange-Flemming (Werbegemeinschaft Dinslaken) erwartet „von der Politik, dass Rechtssicherheit bei der Erstellung von Gesetzen und Verordnungen aufgebaut wird. Nachträgliches Ändern der Regeln und eine entsprechende Rechtsprechung der Gerichte ist der Tod der Geschäftswelt.“

Jürgen Berensen fürchtet den von Heiner Lauterbach (SPD) ins Spiel gebrachten Lockdown bis Ende April: „Herr Lauterbach weiß nicht, wie es in den Menschen, die sich seit Jahrzehnten etwas aufgebaut haben aussieht“ und welche Konsequenzen drohen würden: „Dass eine ganze Generation von kleinen Leuten alles verlieren und am Ende ihres Berufslebens mittellos da stehen. Die Situation ist für die Betroffenen psychisch nur schwer zu ertragen.“ Seine Geschäfte „leben seit Monaten von der Substanz und hoffen inständig, das die Politik weitere Hilfen zur Verfügung stellt.“

Auch Katrin Fahnenbruck vom Voerder Möbelhaus schaut zwar auf ein „turbulentes Jahr 2020“ zurück. Letztlich habe Fahnenbruck aber „Glück im Unglück“ gehabt: „Bedingt durch die gute Nachfrage rund um das Thema Wohnen zwischen den beiden Lockdowns, ist es uns gelungen, alle Arbeitsplätze zu erhalten, obwohl wir kaum Hilfen der Bundesregierung erhalten haben.“

Denn die Hilfsprogramme hätten Soforthilfen für Betriebe der Größenordnung zwischen 50 und 250 Mitarbeitern nicht vorgesehen. „Umso mehr freut es uns, dass unsere Mitarbeiter kaum Einbußen hatten und wir ihnen somit ein Gefühl von Sicherheit in der Krise vermitteln konnten.“

Für 2021 wünscht sich sich, „dass die Beschränkungen zielgerichteter eingesetzt werden“. Durch die Größe von 10.000 Quadratmetern habe Fahnenbruck „die Möglichkeit, ein optimales Hygienekonzept mit ausreichend Sicherheitsabstand umzusetzen.“

(aha)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort