Hoffnung auf mehr Landesgeld NRW-Tafeln an der Grenze ihrer Kapazitäten

Oberhausen/Neuss · 500.000 Menschen in NRW brauchen Hilfe von Tafeln, um satt zu werden. Die Zahl ist sprunghaft gestiegen. Viel spricht dafür, dass sie 2023 weiter wächst. Die Ehrenamtlichen hoffen auf deutlich mehr Unterstützung vom Land.

 Die Tafeln in NRW sind am Limit ihrer Kapazitäten (Archivbild).

Die Tafeln in NRW sind am Limit ihrer Kapazitäten (Archivbild).

Foto: dpa/Christian Charisius

150.000 neue Bedürftige, rund ein Fünftel weniger Lebensmittelspenden und höhere Kosten für Miete und Benzin: Die 173 Tafeln in Nordrhein-Westfalen sind im zu Ende gehenden Jahr an ihre Grenzen gestoßen. „Wir wollen niemanden nach Hause schicken, aber noch mehr geht nicht“, sagt die kommissarische Landesvorsitzende der Tafeln NRW, Evi Kannemann.

Viele Hoffnungen der NRW-Tafeln richten sich jetzt auf die vergangene Woche von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bei einer Armutskonferenz versprochene Sonderförderung für soziale Einrichtungen im Bundesland von insgesamt 150 Millionen Euro. Wie viel davon für die Tafel bestimmt ist, ist unklar. Im Januar seien dazu Gespräche geplant. „Da stehen wir dann wieder als Bittsteller“, sagt Kannemann. Die NRW-Tafelchefin möchte am liebsten einen festen Posten im Haushalt von rund 500.000 Euro pro Jahr.

Vor allem durch die zahlreichen Flüchtlinge wegen des Ukrainekriegs hat sich 2022 die Zahl der Tafelkunden in NRW von rund 350.000 schlagartig auf 500.000 erhöht. Zusätzlich seien in den vergangenen Monaten viele Menschen wegen der Inflation in die Grauzone gerutscht, so die Tafel-Chefin. Schon im Spätsommer hatten laut einer Umfrage des NRW-Sozialministeriums wegen des Andrangs knapp 30 Tafeln in Nordrhein-Westfalen Einschränkungen bei Neuaufnahmen von Tafelkunden bis hin zum Anmeldestopp gemeldet.

Viele Tafeln mussten außerdem ihre Abgabemengen verringern. „Bis zum Sommer konnten Kunden theoretisch drei Mal die Woche kommen und jeweils mehrere Tüten mitnehmen“, sagt der Vize-Vorsitzende der Oberhausener Tafel, Friedhelm Bever. „Jetzt gibt es nur noch eine Tüte und die einmal die Woche.“

Der Umgang mit den langen Schlangen vor der Tür ist nicht leicht - psychologisch für die Helfer, aber auch ganz praktisch. „Um 13.00 Uhr machen wir auf, oft stehen die Leute aber schon um 10.00 Uhr hier und hoffen, dass sie dann besser drankommen.“ Bever ist dazu übergegangen, Berechtigungszettel mit Abholnummer eine Woche vor dem Termin abzugeben. Eigene Termine für ukrainische Bedürftige hätten für Spannungen mit anderen Kunden gesorgt und seien deshalb wieder abgeschafft worden. Anmeldetermine gibt es in Oberhausen nicht mehr jede Woche, sondern nur noch alle 14 Tage.

Aus den Tafeln sind längst Logistikbetriebe geworden, die landesweit sieben Verteillager mit Kühlhaus in Siegen, Köln, Dormagen, Gütersloh, Moers, Dortmund und Coesfeld betreiben und Großspenden palettenweise manchmal direkt von Großhändlern im 40-Tonner bekommen - wie vor kurzem 69 Paletten frische Kartoffeln von einem Landhandel oder 178 Paletten Sauce Hollandaise im Glas mit Haltbarkeit bis Ende Dezember.

Solche Großlieferungen abzuladen, mit Lieferwagen auf die Standorte und dann an die Kunden zu verteilen, sei ein gewaltiger Aufwand, sagt Kannemann - das beginnt bei den nötigen Gabelstaplern. Die Fahrzeuge werden schon mal von den Herstellern gespendet oder wenigstens günstig abgegeben, aber wie in der gewerblichen Wirtschaft fehlen Fahrer mit Staplerschein. In Coesfeld fährt unter anderem der 76-jährige „Leo“ den Stapler.

Das Land unterstützt die NRW-Tafeln zurzeit zur Abfederung der gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreise mit insgesamt 1,4 Millionen Euro. Von dem Geld soll für 80 000 Euro erstmals ein gebrauchter eigener Kühllaster angeschafft werden. Daneben bleiben dann pro Tafel 1500 Euro monatlich über fünf Monate hinweg. „Das hilft uns über den Winter mit den besonders hohen Energiekosten, aber nicht auf Dauer“, sagt Kannemann.

Ein 840.000-Euro-Förderprogramm des Landes für die Tafeln, das im Frühjahr 2020 begonnen hatte, läuft im Februar 2023 aus. Die Tafeln hatten davon regionale Logistikzentren und eine Landeszentrale in Neuss mit zwei hauptamtlichen Kräften aufgebaut, die die Arbeit der rund 12.000 Ehrenamtlichen in NRW unterstützen. „Jetzt müssten wir die beiden Frauen eigentlich entlassen, da die weitere Finanzierung noch unsicher ist - was wir aber nicht tun“, sagte Kannemann.

Dass im neuen Jahr viele zusätzliche Bedürftige kommen werden, ist für die NRW-Tafelchefin klar. Vor kurzem war Evi Kannemann bei einer Konferenz im Berlin. Der Taxifahrer habe gemerkt, dass sie bei der Tafel ist und ihr gleich seine Lebensgeschichte erzählt, berichtet sie: Verheiratet, zwei Kinder, jetzt die Spritpreise - zu wenig Einkommen mit dem Taxi, damit alle immer satt werden. Arbeitslos sei er ja nicht - ob er wohl trotzdem künftig zur Tafel kommen könne?

(Rolf Schraa/dpa)
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