Abschied einer Doppelgängerin Die stumme Kanzlerin
Attendorn · Ursula Wanecki arbeitet seit zehn Jahren als Double von Angela Merkel und geht jetzt mit ihr in den Ruhestand. Die Ähnlichkeit mit ihrem berühmten Pendant geht weit über Äußerliches hinaus. Deshalb hat die 65-Jährige noch einen großen Wunsch. Ein Besuch in Attendorn.
Wenn Ursula Wanecki sich auf ihren Gesprächspartner konzentriert, legt sie manchmal unbewusst die Hände zusammen und formt mit den Fingern eine Raute. Was bei jedem anderen höchstens ein Grund zum Schmunzeln wäre, komplettiert bei ihr die perfekte Illusion. Spätestens jetzt fügt sich das letzte Puzzleteilchen zu einem irritierenden Gesamtbild: Ist es nicht doch Angela Merkel, die einem hier in Attendorn in einer hübschen Erdgeschosswohnung bei einer Tasse Kaffee gegenübersitzt? Die Ähnlichkeit ist frappierend. Frisur, roter Blazer, dezente Kette, mildes Lächeln, alles passt. Es ist aber nicht nur das Aussehen, das Wanecki zum perfekten Double macht, sondern der Gesamteindruck. Wie sie sich gibt, wie sie geht, ihre Gestik und Mimik. „Sobald ich mich verstelle, wirke ich nicht mehr wie die Bundeskanzlerin“, sagt die 65-Jährige. „Das ist alles angeboren, authentisch. Wenn ich das Haus verlasse, werde ich automatisch zu Angela Merkel.“
Fast scheint es so, als wolle sich Wanecki dafür entschuldigen, so auszusehen wie ihr berühmtes Pendant. Aber das ist es nicht. Sie will es erklären, diese besondere Verbindung zwischen ihr und der Kanzlerin, die auf weit mehr beruht als nur äußerlicher Ähnlichkeit, die so etwas wie ein unsichtbares Band geknüpft hat zwischen zwei Menschen, die sich nicht kennen und in vielerlei Hinsicht wenig miteinander gemein haben. Aber wenn Ursula Wanecki in den Spiegel schaut, sieht sie eben nicht nur sich selbst. Sondern noch eine andere Frau, die, wie sie sagt, in ihr stecke und manchmal hervorkomme wie ein Geist aus der Lampe. Nur, dass es sich bei dieser Frau um die Bundeskanzlerin handelt. Damit muss sie leben. Auch über Merkels Ruhestand hinaus. „Das bleibt an mir kleben, das weiß ich“, sagt Wanecki. „In Attendorn kennt mich jeder, und wenn die Menschen mich sehen, rufen sie ,Angie, wir wünschen dir einen schönen Ruhestand’.“
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In ihrer Wohnung weist wenig auf Waneckis Nebenerwerb hin, mit dem sie etwa 2010 begonnen hat, in Merkels zweiter Amtszeit. Auf der Kommode im Wohnzimmer stehen drei Bilderrahmen, in einem ist ein Foto der echten Kanzlerin, die eine kleine Puppe ihrer Doppelgängerin in Händen hält, aus dem Drei-D-Drucker. Merkel lächelt. Die anderen beiden Fotos zeigen Wanecki als Merkel. Es fällt schwer zu sagen, wer hier echt ist und wer nicht. Mehr Andenken finden sich nicht. Wanecki möchte kein großes Aufheben machen über ihre Doppelrolle, es ist ihr nicht peinlich, aber sie will es auch nicht überbewerten. Nur ein Double zu sein, das schien ihr gerade anfangs immer etwas anspruchslos, deshalb war sie bei Terminen immer gut vorbereitet, auf mögliche Themen und Gesprächspartner. „Ich wollte nie daherkommen wie ein Dummchen, das nur gratuliert und ein bisschen winkt“, sagt sie.
Mehr als 130 Auftritte hat sie in den vergangenen zehn Jahren absolviert, davon etliche in TV-Shows, hat unter anderem mit Stefan Raab, Joko und Klaas, Oliver Welke und Carolin Kebekus gedreht, mit Doppelgängern von Macron und Putin, und ist für einen einzigen Satz nach Griechenland geflogen („Das ist das griechische Gold, und damit sind die griechischen Schulden getilgt“). Eigentlich sei sie als Double zunächst lieber staatsmännisch aufgetreten als in einem satirischen Kontext, erzählt Wanecki, aber dann habe sie gesehen, dass durch Satire mehr Zuschauer angesprochen würden. „Mir war es wichtig, viele Menschen auf Politik aufmerksam zu machen“, sagt sie. Mit dem Fernsehen hatte bei ihr auch alles begonnen. Immer, wenn Merkel dort zu sehen war, rief ihr Enkel begeistert: „Die Oma ist im Fernsehen!“ Nach einem Karnevalsauftritt im privaten Kreis als Kanzlerin ließ sie sich überreden, Fotos an die Agentur Florstedt zu schicken (die unter doubles.de für die neue Legislaturperiode dringend neue Doppelgänger sucht). Von da an ging alles sehr schnell, fast zu schnell, sagt sie.
Um das zu verstehen, muss man Waneckis Geschichte kennen. Im Jahr 1985 ist sie mit ihrem Mann aus Polen nach Deutschland gekommen, fünf Jahre musste das Paar auf die Ausreise warten. In Polen hat Wanecki Polnisch unterrichtet, sie sei eine begeisterte, aktive Lehrerin gewesen. In Deutschland, sagt sie, sei der Anpassungsdruck sehr groß gewesen, die Sprache zu lernen, sich zu integrieren. Dass sie es geschafft und auf Steuerfachangestellte umgeschult hat, liege daran, dass sie pflichtbewusst sei, zielorientiert und kämpferisch; fast so wie die Bundeskanzlerin. Eine Frau, die sie sehr bewundert, für ihren starken Willen, ihre Durchsetzungskraft. „Sie ist ein Vorbild für mich, ich mag sie, weil sie mit Kompetenz führt und unermüdlich für unser Land gearbeitet hat.“ Dennoch möchte sie ihre Leistungen nicht mit denen der Kanzlerin vergleichen. „Dazwischen liegen Welten“, sagt Wanecki. „Ich bin ja nur ein Double.“
Für sie war diese Rolle ein schmaler Grat. Einerseits wollte sie die Kanzlerin nie lächerlich machen, andererseits nicht zu sehr abtauchen in die andere Persönlichkeit. Sie habe viele Doubles kennengelernt, die wie das Original sein wollten, das wirke jedoch albern, marionettenhaft. „Ich habe etliche Angebote abgelehnt, aus Angst, irgendwann nicht mehr ich zu sein“, sagt sie. „Ich wollte immer Ursula Wanecki bleiben.“ Daher stört es sie auch, wenn sie unbewusst die Raute von Merkel übernimmt; im Gespräch umfasst sie daher gerne eine Hand mit der anderen, hält sie fast krampfhaft fest. „Letztlich habe ich aber beobachtet, dass Frau Merkel genauso versucht, die Raute zu verhindern.“ Wanecki muss lachen, weil sie der Kanzlerin damit wieder so nah ist und sie ihr. Über das Aussehen hinaus.
Wie überzeugend, wie verwirrend das in manchen Momenten ist, überrascht. Wanecki erzählt von dem Schock, wenn Menschen auf sie treffen. In den ersten Minuten sei fast jeder unsicher, viele bleiben selbst dann felsenfest überzeugt, wenn sie ihren polnischen Akzent hören. Hunderte hat sie so aufs Glatteis geführt, vor allem in Berlin. „Aber wer hat schon einmal selbst neben Merkel gestanden?“, entschuldigt sie die Irrtümer. Selbst in Rock und Kleidern werde sie als Merkel angesprochen. Es müsse irgendetwas anderes sein, dass die Leute in ihr sehen, dass sie so verwechselbar erscheinen lässt. Eine unsichtbare Aura, sage die Familie. „Denn manchmal entdecke ich die Merkel gar nicht in mir. Und dann sehe ich wieder ein Foto in der Zeitung und denke: Ist das nun die Kanzlerin, oder bist du das?“
Wanecki ist aber auch eine Art Seismograph für die Gefühle, die Merkel von den Bürgern entgegengebracht werden. Seit der Flüchtlingskrise habe sich da viel verändert, sagt sie, am Set werde sie oft beschimpft von Menschen, die sie für die Kanzlerin halten. „Meine Familie und mich ängstigt das“, sagt Wanecki, „weil ich befürchte, dass jemand dem Merkel-Double etwas antut, um Schlagzeilen zu generieren.“ Wenn sie in Berlin unterwegs ist, scannt sie daher stets die Umgebung, schaut auf Rolltreppen, wer hinter ihr steht, ob derjenige vertrauenswürdig erscheint. Selbst in Attendorn fühlt sie sich oft unsicher. „Das ist neu und beunruhigend, das kannte ich vorher nicht“, sagt sie.
Doch nun geht es ja in die Rente, für sie und für die Kanzlerin. Die habe die Ruhe genauso verdient wie sie selbst. Ein wenig kürzer treten will Wanecki, die Heimat besuchen. „Für mich war das alles ein schönes Lebensabenteuer“, sagt sie. Vieles bleibe ihr auch erhalten, die Menschen werden sie ja weiter ansprechen und nach einem gemeinsamen Selfie fragen. Vielleicht schreibe sie auch ein Buch, erzählt Wanecki, den Titel habe sie auch schon: „Die stumme Kanzlerin“. Weil sie doch bei ihren Auftritten selten rede. Ein großer Wunsch treibt Wanecki aber doch noch um. Einmal möchte sie Angela Merkel persönlich treffen, nur kurz. Ein paar Worte mit ihr wechseln. Gar nicht über Politik, sondern ganz privat. Übers Kochen vielleicht, oder ihre gemeinsame Leidenschaft für feines Porzellan. Fast wäre es mal zu einer Begegnung gekommen, dann kam doch die Absage. Ein anderes Mal war sie bei einer Rede Merkels im Publikum, hatte sich aber ein Kopftuch übergezogen, um nicht als Doppelgängerin erkannt zu werden. Eines Tages aber, da ist sich Ursula Wanecki sicher, wird sie ihr gegenüberstehen. Und in ihr lebendiges Spiegelbild schauen. Keine Angst, enttäuscht zu werden von der Realität? Wanecki schaut milde, beinahe kanzlerinnenhaft. „Ich glaube nicht, dass Frau Merkel mich enttäuschen kann.“