NRW scheitert vor Gericht in Münster Rückforderungen der Corona-Soforthilfen sind rechtswidrig

Münster · Für viele Kleinunternehmer und Selbstständige geht es um große Summen – für das Land NRW ebenfalls. Jetzt ist die Landesregierung mit ihren Ansprüchen gescheitert. Wie Politik, Wirtschaft und der Landesrechnungshof jetzt reagieren.

 Wolf Sarnighausen, Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Münster, bei der Verhandlung.

Wolf Sarnighausen, Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Münster, bei der Verhandlung.

Foto: dpa/Guido Kirchner

Es wurde ein langer Tag vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster, aber es ging auch um viel. Hunderte Betroffene, vielfach Kleinunternehmer, Selbstständige und Freiberufler, warteten auf eine wegweisende Entscheidung: Müssen sie Corona-Soforthilfen aus dem Jahr 2020 zurückzahlen, wie das Land Nordrhein-Westfalen es fordert, oder müssen sie das nicht?

Schlussendlich verkündete das Gericht am Abend: Die Rückforderungen des Landes in drei beispielhaften Fällen sind rechtswidrig, die entsprechenden Bescheide sind aufzuheben. Es bestätigte damit die Urteile des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, gegen die das Land in Berufung gegangen war.

Konkret ging es in dem Musterverfahren um die Fälle dreier Geschäftsleute. Ein Steuerberater, die Inhaberin eines Kosmetikstudios und der Betreiber eines Schnellrestaurants hatten im Frühjahr 2020 jeweils 9000 Euro Corona-Soforthilfe bekommen. Später sollten sie je rund 7000 Euro an das Land zurückzahlen.

Denn NRW hatte erst einmal bei jedem Antrag auf Soforthilfe pauschal eine maximale Fördersumme ausgezahlt – um möglichst schnell zu helfen, wie es hieß. Oftmals ging es um deutlich höhere Beträge als 9000 Euro. Im Nachgang errechneten die Bezirksregierungen in einem automatisierten Verfahren auf Grundlage der Einnahmen und Ausgaben aller Antragsteller Werte für „Liquiditätsengpässe“, in deren Höhe die Finanzhilfen gelten sollten. Anschließend wurden Schlussbescheide über diese Summen verschickt, die häufig weit unter den zunächst ausgezahlten Beträgen lagen. Den Rest forderte das Land zurück. Rund 2500 Empfänger zogen dagegen vor Verwaltungsgerichte und bekamen dort auch in der Mehrzahl Recht.

Mit seinen Schlussbescheiden habe das Land die Vorgaben der Bewilligungsbescheide nicht beachtet, erklärte nun in Münster der Vorsitzende Richter Wolf Sarnighausen die Entscheidung im Berufungsverfahren. Er kritisierte auch das automatisierte Rückmeldeverfahren: „In welchem Umfang Fördermittel während des Bewilligungszeitraums tatsächlich im Rahmen der Zweckbindung der Förderung verwendet worden sind, konnte dort nicht angegeben werden.“

Das Gericht stellte allerdings auch fest: Objektiven Empfängern der Bewilligungsbescheide habe sich aufdrängen müssen, „dass die Soforthilfe vollumfänglich nur zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden durfte“. Das Land könnte nun neue „Schlussbescheide“ ausstellen, um sich tatsächlich zu viel bezahlte Beträge doch noch wiederzuholen.

Die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag will zu dem Thema in die politische Debatte gehen. Sie beantragt für die nächste Sitzung des Wirtschaftsausschusses eine „Aktuelle Viertelstunde“. Das Vorgehen der Landesregierung beim Förderverfahren zeuge von „handwerklichem Dilettantismus“ und erschüttere das Vertrauen in staatliches Handeln, heißt es in dem Antrag.

Die Handwerkskammer Düsseldorf hingegen würdigt das Tempo bei den Soforthilfen als Leistung des Landes. „Für uns war es wichtig, und daran haben wir auch intensiv mitgearbeitet, dass die Soforthilfe so schnell wie möglich zuwege kam“, sagte Sprecher Alexander Konrad am Freitag. „Ich wüsste nicht, welches Bundesland schneller war. NRW hat damals wirklich eine Soforthilfe auf den Weg gebracht. Und das, obwohl das technisch nicht einfach war.“

Die Präsidentin des Landesrechnungshofs, Brigitte Mandt, wollte zum Richterentscheid selbst nichts sagen. Sie erinnerte jedoch an die früheren Einwände des Landesrechnungshofs, die wesentliche Argumente vorwegnahmen. „Wir haben kritisiert, dass bei der Umsetzung der NRW-Soforthilfe 2020 anders als in anderen Bundesländern im Antrags- und Bewilligungsverfahren nicht der konkrete Förderbedarf ermittelt wurde, sondern stets die Höchstbeträge der jeweiligen Förderkategorien ausbezahlt wurden“, sagte sie unserer Redaktion. „Zudem haben wir bezweifelt, dass es eine eindeutige rechtliche Grundlage für die Durchführung dieses Rückmeldeverfahrens und der hieraus resultierenden Rückzahlungen geben würde. In dem Rückmeldeverfahren war vorgesehen, die endgültige Förderhöhe nach dem tatsächlich entstandenen Liquiditätsengpass im Förderzeitraum zu ermitteln. Weder in den Antragsvordrucken noch in den Bewilligungsbescheiden war explizit geregelt, dass der Liquiditätsengpass anzugeben und Beträge aufgrund dieses Rückmeldeverfahrens zurückzuzahlen waren.“

Nach Angaben des Landes war die Soforthilfe zusammen mit Bundesmitteln das größte Förderprogramm in der Geschichte Nordrhein-Westfalens. Von März bis Mai 2020 wurden 430.000 Anträge bewilligt und 4,5 Milliarden Euro ausgezahlt.

Az.: 4 A 1986/22, 4 A 1987/22, 4 A 1988/22)

mit Material der Nachrichtenagentur dpa

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