Kunst Miranda July malt die Welt bunt an

Düsseldorf · Die amerikanische Künstlerin, Filmemacherin und Schriftstellerin macht den Alltag poetisch. Ihr aktueller Film wurde wegen Corona verschoben. Nun wird sie mit einer Werkschau geehrt.

 Miranda July im Fahrstuhl des Whitney-Museums in New York.

Miranda July im Fahrstuhl des Whitney-Museums in New York.

Foto: Jason Schmidt / Prestel Verlag

Wie Miranda July tickt, sieht man sehr schön an der Episode, die der Regisseur Spike Jonze erzählt. Jonze ist mit July befreundet, die beiden hatten einander länger nicht gesehen, und als sie sich endlich mal wieder trafen, erzählte er ihr von einem Bekannten, mit dem er Stress hat, weil man im Unfrieden auseinander gegangen war. Miranda July schlug vor, man solle gleich jetzt Briefe schreiben, Briefe an sich selbst, und zwar aus der Feder von Menschen, über die man sich ärgert oder grämt. In den Briefen sollten diese Menschen „sorry“ sagen und sich erklären. July und Jonze schrieben also. Sie hatten einen schönen Tag mit Briefen, die sie selbst verfassten, weil sie sie selbst gerne bekommen würden. Es war tröstlich, es tat gut. Am Ende verbrannten sie die Briefe.

Miranda July ist Künstlerin, und in ihren besten Momenten poetisiert die Amerikanerin den Alltag; sie kann das Leben besser machen, indem sie Menschen zueinander bringt. Sie ist 46, sie dreht Filme, tanzt und schreibt, und weil sie Genregrenzen ebenso wenig anerkennt wie die Unterscheidung zwischen Kunst und Wirklichkeit, malt sie einfach die Realität bunt an. Eine Monographie, die lakonisch mit ihrem Namen betitelt ist, bietet nun Einblicke in die Entwicklung dieses flüchtigen Werks von den 1990er Jahren bis heute. Die eben erzählte Geschichte von Spike Jonze ist darin enthalten. Überhaupt kommen alle zu Wort, die zu ihrem Netzwerk gehören: die Filmemacherin Lena Dunham, die Schriftstellerin Sheila Heti, die Musikerin Carrie Brownstein von der Band Sleater-Kinney.

Das Buch erzählt eine Kulturgeschichte der unmittelbaren Gegenwart, auch weil July auf technische Neuerungen stets rasch reagiert. 2014 erfand sie eine Messenger-App, die man sich tatsächlich aufs Smartphone laden konnte. Der Clou war, dass man über „Somebody“ Fremde bitten konnte, jemandem eine Nachricht zu überbringen, die selbst zu senden man sich nicht traute. Also schaute man, welcher der registrierten Nutzer sich gerade in der Nähe der Person aufhielt, die man ansprechen wollte. Man instruierte den Unbekannten sogleich mit dem aufzusagenden Text und sogar dem Tonfall, in dem er ihn sprechen sollte. Ja, und dann wartete man, wie sich die Dinge entwickelten.

July lebt mit ihrem Mann, dem Regisseur Mike Mills („Jahrhundertfrauen“), und dem gemeinsamen Sohn Hopper (8) in Los Angeles. Berühmt geworden ist sie durch Filme wie „Ich, Du und alle, die wir kennen“ und den von einer sprechenden Katze erzählten „The Future“ sowie durch ihre Bücher „Zehn Wahrheiten“ und „Der erste fiese Typ“. Aber ebenso spannend sind die spontaner anmutenden Einlassungen, die kurzen Filme etwa, die sie bei Instagram postet. Man muss sich den vom 7. Juli 2019 ansehen. Da sitzt sie mit einem Mann im Auto, der Mann fragt, ob sie sich nicht mal auf einen Drink treffen wollen, und sie sagt nein. Er will wissen, warum nicht, und sie will’s eigentlich nicht sagen, aber irgendwas muss sie jetzt sagen, und deshalb sagt sie: „Weil ich deine Mutter bin.“ Und natürlich fragt er, wie das sein könne, sie sei doch jünger als er, und dann erzählt sie eine irre und absurde Gaga-Geschichte, die jedem Mann klarmacht, dass man manchmal besser nicht nach den Gründen fragt. „Es gibt Tabus“, sagt sie schließlich und schaut ganz großartig. Das war es dann.

Das ist ihr Stärke: Performances und Installationen, die auf vorgeblich arglose, entwaffnende und mitunter surreale Weise den Alltag erhellen. Einmal etwa besuchte July für einen grandioses Porträt in der „New York Times“ die Musikerin Rihanna. Sie buchte eine Fahrt bei Uber, und mit dem Fahrer des Wagens freundete sie sich an. Oumarou Idrissa war aus Niger in die USA gekommen, er breitete seine Biographie vor ihr aus, und gemeinsam verwirklichten sie schließlich ein Projekt für das Victoria & Albert Museum: In einem Raum konnte man in London das Leben Idrissas in L.A. nachvollziehen. Es gab zum Beispiel vier Vorhänge, und die öffneten sich, wenn Idriss in der Ferne aufstand, Instagram öffnete, bei WhatsApp chattete oder Auto fuhr. Dafür waren Idrissas Wohnung, sein Smartphone und sogar seine Matratze mit Sendern versehen worden.

Ausgangspunkt dieses Werks ist die Einsicht in die Tatsache, dass Menschen oft einsam sind und dass sie sich verbinden wollen mit anderen, aber nicht so genau wissen, wie. Der erste Eindruck bei Veröffentlichungen von July ist meist: Das ist aber putzig und süß. Sie feiert das Schüchterne, Ungelenke, Zaghafte. Unter der Oberfläche verbergen sich aber Dornen. Globalisierung, Patriarchat, Kapitalismus, Kastendenken. July ist eine Gegenwartskritikerin, der Stil wichtig ist, und in der Monographie „Miranda July“ lässt sich die Tradition nachvollziehen, in der sie arbeitet. In den 1990er Jahren zog sie nach Portland, wo sie im Zusammenhang der Rrriot-Girl-Bewegung Feminismus und Punk zusammenführte. Sie begann mit Fanzines, Hörspielen, sie vertrieb VHS-Cassetten mit Homevideos von Frauen. Und irgendwann gab ihr ein Studio 800.000 Dollar für den ersten Langfilm.

Man weiß bei dieser Art von Kunst, in der die Urheberin auch Hauptdarstellerin ist, ja oft nicht so genau, ob sie auf Narzissmus gründet oder dem Wunsch entspringt, sich einen Reim auf die Welt zu machen. Bei Miranda July könnte aber etwas Drittes der Antrieb sein: Liebe zu den Menschen.

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