Comedy für Menschen in Autos Wer es lustig findet, hupt kurz

Kaarst · Der Kabarettist Jürgen Becker trat beim Drive-In-Kabarett in Kaarst auf. Die Atmosphäre war ungewohnt: Statt zu applaudieren bedankten sich die Zuhörer mit dem Einschalten des Fernlichts für eine gelungene Pointe.

Am Anfang klappt das mit der Hupe noch nicht so gut. Zaghaft hört man nur hier und da diesen neuen Applaus, den einzigen, den Jürgen Becker auf der Bühne des ehemaligen Kaarster Ikea-Geländes hören kann. Doch es dauert keine halbe Stunde, da hat der 60-Jährige das Publikum in den 300 Autos auf seiner Seite – sichtbar und hörbar. Vielstimmiges Hupen und Fernlicht aus Dutzenden Scheinwerfern zeigen Becker, wenn er einen Treffer gelandet hat. Und als er sich nach anderthalb Stunden verneigt, muss der städtische Kulturbereichsleiter Dieter Güsgen sogar bitten, sich doch auf die Lichthupe zu verständigen, der Nachbarn wegen.

Wie am Abend zuvor Konrad Beikircher macht auch Becker klar, dass beide Seiten – Zuschauer und Kabarettist – sich an diese seltsame Aufführsituation gewöhnen können. Die bringt sogar ab und an einen interessanten Nebeneffekt mit sich: Beckers Kritik an der Autoindustrie und der Fahrzeugfixiertheit der Deutschen wirkt besonders amüsant und treffend, wenn man im Innenspiegel einen pechschwarz-blitzenden Hummer stehen sieht. Was wohl dessen Insassen gerade denken?

Becker nimmt sein „zentralverriegeltes Publikum“ an die Hand. Er benennt Missstände im Pflegesektor („das sind keine Helden, das sind ganz normale Leute am Limit“), im Gesundheitssystem („Ärzte müssen für Patientengespräche ordentlich bezahlt werden“) und verurteilten den Glauben an endloses Wirtschaftswachstum angesichts einer Zukunft, die er nicht in Hedonismus und Konsumgesellschaft sehe.

Zukunft, das ist überhaupt das Thema der zweiten Hälfte des Abends. Der Kölner (der vor seinem Auftritt zugab, sein Programm wegen Corona gehörig umgeschrieben zu haben) wirft einen Blick auf die Zeit nach dem Virus. Die Frage des Klimawandels würden weiter unser Leben bestimmen. Die „fossile Generation“, deren Vertreter jährlich 80 Kilogramm Fleisch äßen, sei ein Auslaufmodell. Und obwohl die Zuschauer größtenteils zu den Angeklagten der „zwischen 1940 und 1970“ Geborenen gehört, stimmen sie durch heftiges Hupen zu.

Doch Becker erteilt auch Absolution. Nach kurzem Verschwinden in ein Priestergewand gehüllt, schwenkt er Weihrauchfässchen zu „What A Wonderful World“ und muntert auf; man müsse nur auf 2021 warten. Jürgen Klopp sei Bundeskanzler („der einzige mit Visionen“), die Zwölf-Stunden-Woche sei eingeführt, es gelte überall Tempo 100 („für E-Bikes“) und vor der Rente gebe es für jeden noch ein Jahr Zivildienst, denn: „Die Zukunft liegt in der Menschlichkeit oder im Argen.“

Und irgendwie hat man das Gefühl, das Reißverschlussprinzip klappt bei der Fahrt vom Parkplatz an diesem Abend besonders gut.

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