Dave Gahan wird 60 Der Alpha-Romeo

Düsseldorf · Er ist einer der größten Frontmänner des Stadion-Pop: Dave Gahan, Sänger von Depeche Mode, wird 60 Jahre alt. Dass er diesen Tag erleben würde, hätte er wohl selbst nicht gedacht.

Depeche Mode-Sänger Dave Gahan: Star mit bewegtem Leben
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Depeche Mode-Sänger Dave Gahan: Star mit bewegtem Leben

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Foto: dpa/Soeren Stache

Er ist unser Mann im Fegefeuer, der Korrespondent für die dunkle Seite des Mondes. Wenn er die Dämonen zum Rapport bestellt, kommen sie gerne in voller Mannschaftsstärke, um seine Direktiven entgegenzunehmen. Mehrfach sprang er dem Tod von der Schippe, er erlitt auf der Bühne einen Herzinfarkt, der eine Folge von Drogenmissbrauch war. Er versuchte, sich das Leben zu nehmen, und 1996 galt er für zwei Minuten als klinisch tot: Er hatte sich einen Cocktail aus Heroin und Kokain gespritzt. Vor einigen Jahren überstand er eine Blasenkrebs-Erkrankung. Dave Gahan ist der Schmerzensmann des Pop.

Am 9. Mai vor 60 Jahren kam er auf die Welt, aber in die Welt getreten ist er erst 1980, als seine Band Depeche Mode im englischen Basildon gegründet wurde. Die Gruppe war damals eine von vielen, die auf dem Höhepunkt der New Wave Synthesizer-Musik produzierte, erst allmählich wuchsen sie auf Überlebensgröße. Die Töne wurden immer tiefer, der Sound finsterer und gravitätischer. Depeche Mode und ihr genialer Songwriter Martin Gore liefern Hymnen an die Nacht, und sie haben den idealen Sänger dafür. Dave Gahan, dieser notariell beglaubigte Exzess-Experte, wirkt wie ein Elvis der Industrie-Ruinen, wie ein elektrifizierter Mick Jagger, ein Heldentenor des Abgründigen.

Auf der Bühne agieren wenige so mitreißend wie er, Gahan gehört zu den größten Frontmännern des Stadion-Pops. Jagger, Bono und Campino spielen ebenfalls in dieser Liga, und Chris Martin von Coldplay wartet seit Jahren darauf, dass er aus der Krabbelgruppe zu diesen Typen aufsteigen darf. Gahan stemmt eine Hand in die Hüfte und streckt die Zunge heraus. Er wackelt mit dem Po und wischt sich mit beiden Händen die Haare nach hinten. Er flirtet und fletscht die Zähne, er baggert und lockt, er schäkert und macht an, er ist der Alpha-Romeo der Massenkonzerte.

Man kann sich ihn nicht beim Einkaufen bei Ikea vorstellen oder beim Brötchenholen. Er wird erst er selbst, wenn Zehntausende vor ihm stehen. Die großen Momente in Konzerten von Depeche Mode sind jene, in denen nur noch eine schwarze Weste auf seiner tätowierten Brust liegt und Gahan rausgeht auf den Bühnen-Steg. Das ist der Ort, an dem die meisten versagen, weil sie so einsam sind, weil sie dort die ganze Show tragen müssen, und genau das ist der Ort, an dem Gahan aufblüht. Überdimensionale Gesten, große Oper: Er hebt den Mikrofonständer über den Kopf, er dreht sich, er kreiselt, und er sagt: „Let’s have a black celebration“.

Überhaupt diese Stimme! Sie mutet überweltlich an, körperlos. Sie wirkt wie eine innere Stimme, die einem garantiert die falschen Anweisungen gibt, wenn man vor der Wahl zwischen gut und böse und hell und dunkel steht. Sie ist fürsorglich, aber auf eine andere Weise. Sie lenkt die Hörerschaft in die schweißglänzende Verheißung, und man muss sich nur mal die ersten Verse anhören, die Gahan in den großen Depeche-Mode-Songs singt, man muss hören, wie er sie singt, dann gruselt es einen ganz angenehm: „My little Girl / Drive anywhere“ („Behind The Wheel“). „Come with me / Into the Trees“ („Stripped“). „Words Like Violence / Break The Silence“ („Enjoy The Silence“). Und, natürlich, der Überhit, „Personal Jesus“: „Reach out / Touch Faith.“

Am Anfang seiner Karriere sah er aus wie ein Bubi, aber das Milchgesicht wurde von Drogen ausgezehrt, das Haar wurde pechschwarz und phasenweise lang, und der Körper magerte ab. Gahan verwandelte sich in einen lasziven Dandy, der von Erotik, Machtspielen und Vergeblichkeit kündet. Er balanciert die Erhabenheit der Kompositionen mit seiner Zugewandtheit aus. Wie intim Abende in Stadien mit ihm sich anfühlen! Er bricht das Pathos durch Augenzwinkern, und obwohl er spätestens im Zugabenblock mit ausgebreiteten Armen zu entschweben droht, bleibt er stets nahbar. Vielleicht liegt es daran, dass sie ihn in der Band anfangs nicht immer gut behandelt haben. Sie ließen ihn als Roadie schuften und hielten ihn vom Songwriting fern. Erst seit 2005 schreibt auch er für Depeche Mode Lieder, das war kurz nachdem seine erste Soloplatte so erfolgreich wurde.

Wahrscheinlich liegt der Grunde für diese Nähe zwischen Fans und Idol aber in der Überwältigungs-Bereitschaft Gahans. Es sei nur an den magischen Moment 1988 in Pasadena erinnert, als die Band nach 100 Konzerten ihre bis dahin größte Tour im Stadion vor 65.000 Menschen beendete. Im letzten Song ging Gahan auf die Knie, und das Publikum sang einfach weiter, es hielt das Lied in Ehren, bis es das Stück unbeschadet an ihn zurückgeben konnte. Hinter der Bühne heulte Gahan wie ein Kind.

 Dave Gahan beim Konzert von Depeche Mode in Düsseldorf 2013.

Dave Gahan beim Konzert von Depeche Mode in Düsseldorf 2013.

Foto: Endermann, Andreas (end)
Depeche Mode-Sänger Dave Gahan: Star mit bewegtem Leben
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Foto: dpa/Soeren Stache

Er hat Soul, er hat Swing, und sein Glamour glänzt blutrot. Nun wird er 60 Jahre alt, und dass er diesen Tag erleben würde, hätte er wahrscheinlich selbst nicht für möglich gehalten. Herzlichen Glückwunsch.

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