Donna Leon über ihren neuen Brunetti-Roman „Wir hören nie auf, uns zu verändern“

Interview | Düsseldorf · Es ist der 30. Fall ihres legendären Ermittlers Commissario Brunetti: „Flüchtiges Begehren“ heißt der neue Venedig-Krimi. Die Lagunenstadt hat die 78-jährige Donna Leon aber längst den Rücken gekehrt, da es neben 50.000 Einwohnern irgendwann 35 Millionen Touristen gab, wie sie sagt.

 Die US-amerikanische Schriftstellerin Donna Leon (78).

Die US-amerikanische Schriftstellerin Donna Leon (78).

Foto: dpa/Sebastian Willnow

Weil die Eltern einer Freundin Bedenken hatten, die Tochter allein in Italien studieren zu lassen, ging Donna Leon mit und verließ mit 23 Jahren die USA. Was folgte, war ein bewegtes Leben als Reisebegleiterin in Rom, Werbetexterin in London. Danach unterrichtete sie viele Jahre lang Englisch und englische Literatur in der Schweiz, im Iran, in China, Saudi-Arabien und Italien. Mit „Venezianisches Finale“ veröffentlichte sie 1993 das erste Buch ihrer Commissario-Brunetti-Reihe, die zum Bestseller wurde. Jetzt ist mit „Flüchtiges Begehren“ (Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro) der 30. Kriminalfall ihres Commissarios erschienen. Dartin werden zwei amerikanische Touristinnen morgens bewusstlos vor dem Ospedale Civile in Venedig aufgefunden.

Frau Leon, wie haben Sie als gebürtige Amerikanerin den Streit um die Übersetzungen von Amanda Gormans Gedicht „The Hill We Climb“ erlebt? Muss jemand, der eine afroamerikanische Schriftstellerin übersetzt, selbst afroamerikanische Wurzeln haben?

Leon Ich habe viel Zeit in der Welt der Musik und der Musiker verbracht. Viele von ihnen sprechen mit Erleichterung und Freude über die vor Jahren getroffene Entscheidung, das Vorsingen und Vorspielen hinter einem Vorhang abzuhalten. Das heißt, die Person, die vorträgt, sitzt hinter einem Vorhang, sodass die Jury keine Ahnung von Geschlecht, Alter oder Farbe der Person hat: Sie wählt die Person aus, von der die meisten Juroren glauben, dass sie am besten spielt.

Wie verfolgen Sie die Debatten über Political Correctness?

Leon Mit Vergnügen.

Wie denken Sie über die #MeToo-Bewegung?

Leon Gute Idee. Das war längst überfällig.

Mit „Flüchtiges Begehren“, in dem es um skrupellose Menschenschleuser geht, erscheint jetzt der 30. Fall von Commissario Brunetti. Gar nicht schlecht für jemanden, der von sich selbst sagt, er mag keine Gewalt. Wieso also Krimis?

Leon Mögen Sie Gewalt? Ich sage es nicht nur, ich meine es wirklich: Ich mag keine Gewalt! Meine Bücher sind nun mal Krimis und keine Liebesromane, daher ist es unumgänglich, dass manchmal Gewalt vorkommt. Aber ich versuche, Aristoteles Rat zu befolgen, dass die Gewalt abseits der Bühne ausgeübt wird, wie es in den meisten Büchern der Fall ist.

Haben Sie Venedig nur wegen den vielen Touristen verlassen oder auch, weil Sie ein bisschen mehr Abstand zu Ihren Romanen haben wollten?

Leon Ich ging, weil es 50.000 Einwohner und 35 Millionen Touristen gab. Ich habe kein Verlangen, mich von meinen Büchern zu distanzieren, noch verstehe ich, warum ich das tun sollte.

Haben Sie denn jemals mit dem Gedanken gespielt, den Commissario sterben zu lassen?

leon Nein.

Wenn Sie alles noch einmal neu durchlaufen könnten, Ihr ganzes Leben. Würden Sie etwas ändern?

Leon Nein.

Bezugnehmend auf Pindar: Sind Sie die geworden, die Sie sind?

Leon  Sagt er nicht, dass du wissen musst, was du bist, bevor du du selbst wirst, oder so etwas? Ich denke, wir hören nie auf, uns zu verändern – wenn wir Glück haben – solange wir leben.

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