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„Journey Through A Body“ in der Kunsthalle Geträumte Körperwelten

Düsseldorf · Die Kunsthalle wird zur Akademie der brennenden Fragen: Die Ausstellung „Journey Through A Body“ entwirft ein aufregendes neues Bild von Identität und Geschlechtszugehörigkeit.

 Cajsa von Zeipels Installation „X plus X equals x“ stammt aus diesem Jahr.

Cajsa von Zeipels Installation „X plus X equals x“ stammt aus diesem Jahr.

Foto: Kunsthalle/Katja Illner

Diese Ausstellung ist auch deshalb so wichtig, weil sie Gegenwartskunst ernst nimmt als Medium, das über die Verfasstheit des Menschen Auskunft gibt, sich also buchstäblich ein Bild von ihr macht. Die Kunsthalle wirkt so betrachtet als Labor, als Dunkelkammer, in der gesellschaftliche Prozesse sichtbar werden. Sie bereichert den Diskurs, sie hilft, klarer zu sehen, aufmerksamer zu werden. Und genau das ist das Ideal, das eine Sammelausstellung junger Sichtweisen erreichen kann und sollte

„Journey Through A Body“ heißt die Schau. Zu erleben sind Arbeiten von sechs Künstlerinnen und Künstlern, die nach 1981 geboren wurden und sich Gedanken über Sexualität und Geschlechterzuschreibungen machen, letztlich also über Individualität, Bewusstsein und Heimat. Der Körper steht dabei jeweils im Mittelpunkt, allerdings nicht als biologische Festlegung, sondern als Träger von Ideen zu alternativen Entwürfen fluider Geschlechtlichkeit. Die Möglichkeiten des Internets und – daraus resultierend – die des digitalen Bildes bieten Spielraum, neue Identitäten zu definieren, sich selbst zum Anderen neu in Beziehung zu setzen.

Cajsa von Zeipel schafft Figuren, die wie weiblich wirkende Cyborgs beim Tanz anmuten. Sie sind an einer Poledance-Stange ineinander verschlungen und miteinander verbunden. Aus der Ferse der einen führt ein Schlauch in einen Plexiglas-Kubus, in den eine DNA-Helix gelasert wurde. Ein Zeugungsakt also? Nicole Ruggiero zeigt, wie man im Internet miteinander kommuniziert, wie nah man einander kommen kann, ohne sich zu berühren, und wie sich die Qualität dessen, was Nähe ist, dabei verändert. Kate Cooper zieht einem Avatar in ihrer Videoarbeit einen Anzug über, der dessen Körper zugleich schützt und schwächt, seine Zuordnung zu einem Geschlecht erschwert und sich ständig in Form und Ausprägung verändert.

Den Namen der Ausstellung haben sich die Kuratoren Alicia Holthausen und Gregor Jansen vom gleichnamigen Album der Industrial-­Band Throbbing Gristle geliehen. Die Platte aus dem Jahr 1982 ist eine besonders wüste und krasse innerhalb des ohnehin konsequent radikalen Katalogs der Gruppe. In einer Soundcollage etwa sind Krankenhausgeräusche zu hören. Als Hausheiliger der Schau wirkt denn auch Genesis P-Orridge, Mitglied von Throbbing Gristle, und – wie Diedrich Diederichsen im begleitenden Reader schreibt – bis zu ihrem Tod im vergangenen Jahr eine langsam in den Plural rutschende Person. Orridge veränderte seinen Körper, sein Ziel war gewissermaßen, in seinem Lebensmenschen Lady Jaye Breyer aufzugehen, mit ihm zu verschmelzen und in einem Akt der „Pandrogenie“ die Grenzen der Biologie zu überwinden. Schließlich empfand er sich geschlechtsübergreifend als „they“, und so muss es also lauten: Genesis P-Orridge wirkten als Pioniere.

Tschabalala Self reflektiert in ihren Arbeiten Weiblichkeit aus der Perspektive von People of Colour. Christina Quarles schafft Porträts von ambivalenten Körpern, die mit Konstruktionen wie „trans“ oder „queer“ nicht zu greifen sind. Und Luki von der Gracht dokumentiert, wie schön es ist, herauszutreten ins Freie, auch aus sich selbst herauszutreten in die Freiheit. Und zugleich: Wie gefährlich es dort sein kann. Denn das Draußen ist immer auch der ungeschützte Raum einer neuen Ordnung und eines neuen und nicht nicht eingeübten und deshalb erst zu definierenden Miteinanders. Überhaupt sind manche der hier gezeigten Arbeiten von Melancholie grundiert.

Das ist eine aufregende Ausstellung, sie lässt nicht kalt, denn sie verweist auf den Veränderungsdruck, der sich aus einer wachsenden gesellschaftlichen Sensibilisierung für Themen wie Inklusion und Diversität ergibt. Großartig also, dass es zum einen einen erhellenden Reader gibt. Darin glänzt vor allem der Text „Dreaming The Body – ­Queering The Image“ von Magdalena Kröner, der diese Ausstellung in die Tradition einordnet. Schon immer, schreibt Kröner, habe die bildende Kunst in der Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper das Wesen des Menschen zu umreißen versucht. Und der Körper als universelles Zeichen habe sich inzwischen losgelöst von allem, was bislang Heimat und Herkunft und geschlechtliche Verortung repräsentierte.

Außerdem gibt es eine Reihe von Veranstaltungen wie den Workshop „For Today I Am A Boy“ von Daniela Georgieva und Hugo Le Brigand. Sogar eine Vinyl-Single wurde eigens für die Schau produziert, darauf findet sich ein Stück von Baal & Mortimer und eines von Automat feat. Genesis Breyer P-Orridge.

Mit „Journey Through A Body“ wird die Kunsthalle zum Gegenwartsseminar, zur Akademie der brennenden Fragen. Es ist etwas im Schwange, merkt man dort, wir sind im Fluss, und gemeinsam stellt man sich der Frage, die Magdalena Kröner in ihrem Begleittext formuliert: Was davon kann als Motor einer veränderlichen, offenen, integrativen Gesellschaft genutzt werden?

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