Großartige Neuaufnahme der beiden Brahms-Klavierkonzerte Man kann diese Musik sogar ohne Dirigent aufführen

London · Gemeinsam mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment legt der ungarische Pianist András Schiff eine fast kammermusikalische Einspielung der beiden Meisterwerke vor.

 Cover der neuen Brahms-CD von András Schiff.

Cover der neuen Brahms-CD von András Schiff.

Foto: ECM

Klassik Dass berühmte Pianisten den Booklet-Text zu einer neuen CD selbst schreiben, ist in der Klassikbranche die Ausnahme. Die Finger sind für die Tasten des Steinways da, nicht für die des Notebooks. Der großartige ungarische Dirigent András Schiff hingegen ist weder ein Freund der „omnipräsenten und omnipotenten Steinways“, noch überlässt er wichtige Mitteilungen an seine Hörer den Dramaturgen.

Seine Neuaufnahme der beiden Klavierkonzerte von Johannes Brahms mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment (bei ECM) ist so ein Fall, dass der Interpret Schiff den Zeigefinger hebt, bevor er ihn zum Tippen benutzt, und als Autor des Erklärtextes sogar unsere Hörgewohnheiten redigiert. Unsere Konzertsäle seien viel größer als früher, und darin sitze eine Zuhörerschaft, „die immer mehr den täglichen Lärmemissionen ausgesetzt“ sei. Früher seien die Orchester kleiner besetzt gewesen, und Brahms habe sowieso Flügel „aus den Werkstätten von Streicher, Bösendorfer und Blüthner geschätzt“, die seien „transparenter, gesanglicher und obertonreicher“. Außerdem seien sie „auch physisch leichter zu spielen“.

Nun zählt Schiff nicht zu den Plauderern, die das Mikrofon lieber vor dem Mund als im Resonanzraum des Klaviers haben. Er hat die beiden Konzerte mit jenem famosen Alte-Musik-Orchester schon im Konzert gespielt, und die Erleuchtung dieser Auftritte führte zu dem Wunsch nach einer Aufnahme. Wie so oft verzichtet Schiff auf einen Dirigenten, er vertraut den Musikern vollständig, und weil seine Bescheidenheit ebenso groß ist wie seine Klugheit, hören wir die Werke nicht als Kraftakte, sondern als Charmeoffensive.

Die Instrumentalisten bereiten einen saftigen Rasen, doch vertikutieren sie ihn auch, alles klingt leicht und atmend – Schiff muss da gar nicht die Muskeln spielen lassen, sondern musiziert als Erster unter Gleichen. Eine wunderbar einleuchtende Aufnahme, die Brahms zweifellos sehr gemocht hätte. Wolfram Goertz

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