Diamanten-Hauptstadt Antwerpen Spur der Steine

Antwerpen gilt seit dem Mittelalter als wichtiges Handelszentrum für Diamanten. Zwar steckt die Stadt längst in einem Umbruch, ein neues Diamantenmuseum leistet man sich trotzdem.

 Mit Diamanten besetzte Brosche – Exponat aus dem Diva-Diamentenmuseum in Antwerpen, das nun eröffnet wurde.

Mit Diamanten besetzte Brosche – Exponat aus dem Diva-Diamentenmuseum in Antwerpen, das nun eröffnet wurde.

Foto: Diva/Frederik Beyens

In keiner anderen europäischen Stadt sind schwarzgekleidete orthodoxe Juden so präsent wie in Antwerpen. Ihre prägnante Erscheinung gehört selbstverständlich zum Straßenbild rund um den Bahnhof. Das gilt auch für die vielen Diamantengeschäfte. Vier von fünf weltweit geförderten Rohdiamanten werden hier gehandelt. Mit der Ankunft der Juden im Mittelalter hat alles angefangen. Weil ihnen handwerkliche Arbeit verboten war, wichen sie auf den Handel aus, zum Beispiel mit Diamanten. Dort, wo die rohen Steine verkauft wurden, zogen irgendwann auch die Schleifer nach, überwiegend sephardische Juden, die vor der Verfolgung in Spanien und Portugal flüchteten.

Das Edelsteingeschäft ist auch heute noch fest in ihrer Hand, auch wenn der Anteil der Inder steigt. Die vier Börsen bleiben zwar immer noch an jüdischen Feiertagen geschlossen – in zwei von ihnen findet man koschere Restaurants. Aber der Wandel des Geschäfts lässt sich nicht mehr ignorieren. Hinzu kommen antisemitische Anfeindungen. Nicht jeder Antwerpener kann sich mit dem Etikett „Jerusalem des Nordens“ anfreunden. Wegen des Erfolgs der rassistischen Partei Vlaams Belang gilt die Hafenstadt inzwischen auch als Hochburg der Rechtsextremen. Dazu kommen die vielen Migranten aus muslimisch geprägten Ländern, allen voran Marokkaner, die die größte Gruppe unter den eingewanderten Einwohnern bilden. Da bleiben Konflikte nicht aus.

Auf dem Weg zur gut versteckten, gerade mal 200 Meter langen Hoveniersstraat, dem Herz des globalen Diamantenhandels samt Banken, Zollamt und Maklerbüros, passiert man gleich mehrere Barrieren, Kameras und bewaffnete Fallschirmjäger. Anzeichen eines glitzernden Lifestyles sucht man an dem mit nüchternen Zweckbauten vollgestopften Treffpunkt des Großhandels vergeblich. Dabei kommen und gehen hier täglich Diamanten im Wert von 200 Millionen. Sicher fühlt man sich erst in der Diamantkring, einer der im Antwerp World Diamond Center (AWDC) untergebrachten Diamantenbörsen, was auch an den strengen Pass-Kontrollen am Eingang liegen mag.

Liesbeth Moereels von der gleichnamigen Branchenorganisation erzählt, dass sich das Schleifergeschäft allmählich nach Indien verlagert. „Die Arbeitskosten sind einfach zu hoch geworden“, erklärt sie. Hier würden nur noch die größten und teuersten Steine geschliffen. Sie bekommen das Siegel „Cut in Antwerp“, was „Made in Switzerland“ für Uhren gleichkommt. Auch die Handelssäle in der Börse spielten nicht mehr die Rolle, die sie früher hatten. Viele der Geschäfte fänden in den Büros der Händler oder übers Internet statt, wo die Konkurrenz ausgeschlossen bleibt.

Das Treiben in den Börsenräumen wirkt tatsächlich überschaubar, obwohl hier rund 84 Prozent der Weltproduktion an Rohdiamanten gehandelt wird. Um Mitglied zu werden, muss man eine Aufnahmeprozedur überstehen. Die Geschäfte werden per Handschlag besiegelt, nicht selten unter auch familiär verbandelten Akteuren. Was den Handel mit Konfliktdiamanten angeht, „der wird inzwischen unterbunden“, darauf ist Moereels sichtlich stolz. „Transparenz wird großgeschrieben, ein sauberes Image tut allen gut, nur in das Bewusstsein der Öffentlichkeit sind die neuen Regulierungsregeln noch nicht richtig vorgedrungen.“

Im Gegensatz zum neuen Diamantenmuseum Diva, das den glitzernden Statussymbolen in den ehemaligen Gebäuden der Museen für Ethnologie und Völkerkunde eine etwas andere Heimat bietet. Wissenshungrige erfahren im luxuriösen Ambiente etwas über Herkunft, Herstellung und den Handel. In Multimedia-Installationen werden Geschichten besonderer Hochkaräter aufgerollt. Ein Butler entführt per Headset in einen Tresorraum und das Boudoir der Dame des Hauses. Man tut was man kann, um die Besucher in Kauflaune für gleich zwei eigene Shops zu versetzen.

Am meisten trägt gerade die Sonderausstellung „Wunderkammer I“ dazu bei. Kuratiert hat sie der Kunsthändler, Interior-Designer und Galerist Axel Vervoordt, Stammgast der Maastrichter Messe Tefaf und Initiator eines Kunstquartiers auf einem ehemaligen Industrieareal vor den Toren der Stadt. Der Antwerpener hat nicht nur auf Kunstmessen bewiesen, dass er den Stil-Mix beherrscht. Seine Ausstellungen im Palazzo Fortuny während der Kunstbiennale in Venedig sind seit Jahren ein Muss.

Als Ausgangspunkt diente ihm diesmal die Sammlung des Museums, die er mit Stücken aus seinen eigenen Schätzen und Leihgaben kombiniert hat. Die Mischung kennt keine Berührungsängste: Naturalien und Juwelen treffen auf afrikanische Masken und königliche Becher aus dem 16. Jahrhundert, flankiert von alter und zeitgenössischer Kunst, darunter Werke von Lucas Cranach, Pablo Picasso, Alexander Calder, Marina Abramovic oder Niki de Saint Phalle. Eine funkelnde Reise durch Zeiten und Epochen, eingebettet in die Nachbarschaft von Juwelieren, die in dieser wahrlich brillanten Stadt gefühlt an jeder Ecke zu finden sind.

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