Scout-Gruppe-Gründer Joachim Schoss Zwei Leben

Essen · Joachim Schoss gründete die Scout-Gruppe, die mit Portalen wie Immobilienscout24 zu den größten Digitalunternehmen Deutschlands zählt. Er lebte jahrelang fast nur für die Arbeit. Dann veränderte ein schwerer Unfall sein Leben.

 Joachim Schoss verlor bei einem Unfall ein Bein und einen Arm.

Joachim Schoss verlor bei einem Unfall ein Bein und einen Arm.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Das Leben von Joachim Schoss lässt sich in zwei Hälften teilen. Die erste Hälfte beginnt 1963 in Essen, wo Joachim Schoss geboren wurde. Sie führt über Velbert, wo er zur Schule ging, nach Hamburg zu seinem Studium und von dort weiter nach Berlin, wo er den Grundstein für die Scout-Gruppe legte, die mit Portalen wie Immobilienscout24 oder Autoscout24 das Rubrikengeschäft in Deutschland nachhaltig verändern sollte.

Die zweite Hälfte beginnt im November 2002 in Südafrika. Dort machte Joachim Schoss eine Motorradtour mit einem Freund. Die beiden fuhren mit ihren Harleys eine gerade Landstraße entlang. Irgendwann kam ihnen ein Bus entgegen. Ein Autofahrer versuchte den Bus zu überholen – der Freund von Joachim Schoss konnte ausweichen. Joachim Schoss gelang das nicht. Stattdessen raste der Autofahrer in ihn hinein.

Südafrika zählt zu den Ländern mit den meisten Verkehrstoten

Gemessen an der Einwohnerzahl zählt Südafrika seit Jahren zu den Ländern mit den meisten Verkehrstoten der Welt. Laut einer Studie der Wirtschaftsorganisation OECD starben in Südafrika 2019 durchschnittlich 22,4 Menschen pro 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Zahl bei 4, obwohl es hier viel mehr Autos gibt. Ein häufiger Grund für die Unfälle in Südafrika: Alkohol.

Auch der Autofahrer, der Joachim Schoss erwischte, war betrunken. Joachim Schoss hat durch den Unfall ein Bein und einen Arm verloren. Er lag monatelang im Krankenhaus, brauchte unzählige Blutkonserven, zwischenzeitlich versagte die Niere, ein Lungenflügel kollabierte. „Die Ärzte hatten mich tatsächlich aufgegeben“, sagt Schoss.

In einem Interview beschrieb der Unternehmer später mal die Dimensionen des Zusammenpralls: Am Morgen des Unfalltages sei er Vorstandschef eines Unternehmens mit 5000 Mitarbeitern gewesen. „Und am Tag nach dem Unfall hätte eine der Putzfrauen auf der Intensivstation mich fast umgebracht, weil sie die Steckverbindungen vom Dialysegerät mit dem Wischmop herausgezogen hat.“ In so einem Moment, wo das eigene Leben von anderen abhängt, lerne man Demut, hat Schoss damals gesagt.

Bis dahin kannte sein Leben nur eine Richtung: vorwärts

Bis dahin kannte sein Leben nur eine Richtung: vorwärts. Nach dem Studium hatte er seine Karriere als Unternehmensberater begonnen, dann jedoch schon früh eine eigene Beratung und ein Callcenter aufgebaut und diese Mitte der 1990er Jahre erfolgreich verkauft. Bei einer Reise in die USA lernte er dann das Geschäftsmodell der Internetmarktplätze kennen – und war sofort begeistert. Denn solche Marktplätze sind, wenn sie erfolgreich sind, natürliche Monopole: Wer etwas anbieten will, geht dahin, wo die größte Nachfrage ist. Und wer etwas sucht, geht dahin, wo das größte Angebot ist. „Wir sind dann von Chicago nach Frankfurt zurückgeflogen und haben über dem Atlantik auf 20 Blatt Papier die Grundidee für Scout24 niedergeschrieben“, erinnert sich Joachim Schoss. Wir, das sind der Unternehmer und sein Geschäftspartner Arndt Kwiatkowski.

1997 gründen die beiden das Portal Immobilienscout24, das heute nur noch Immoscout24 heißt. Die Idee ist relativ simpel: Wer ein Haus oder eine Wohnung verkaufen oder vermieten will, erstellt ein Angebot bei Immoscout24. Wer eine Wohnung mieten oder ein Haus kaufen will, kann dann dort danach suchen und mit dem Anbieter Kontakt aufnehmen. Ein Marktplatz – und im Erfolgsfall: ein natürliches Monopol.

Doch der Start ist schwer, denn die Makler stehen keineswegs Schlange, um ihre Angebote in dem Portal zu platzieren. Das Internet war damals in Deutschland noch nicht weit verbreitet, Zeitungen versprachen immer noch eine deutlich größere Reichweite. Damit Kunden auch ohne Internet Immobilienscout24 nutzen können, setzte das Team auf eine Lösung, mit der Schoss viel Erfahrung hatte: Callcenter. Interessenten können bei Immobilienscout24 anrufen und sich Angebote heraussuchen lassen. Diese wurden dann ausgedruckt und per Post geschickt.

Im Krankenhaus hatte Joachim Schoss ein Nahtoderlebnis

Das funktionierte. Im Laufe der Jahre entstanden neben Immobilienscout24 noch andere Portale unter dem Dach der Scout-Gruppe – für Autos, Jobs oder auch Partnerschaften. Das Team arbeitete mit rasantem Tempo, um Konkurrenten auf Distanz zu halten. Auch Joachim Schoss lebte in den Anfangsjahren der Scout-Gruppe nur für die Arbeit. Es sei selbstverständlich gewesen, dass sogar nachts das Telefon klingelte, weil Kollegen aus der Scout-Gruppe während einer Diskussion seine Meinung hören wollten, sagt Schoss: „Es waren eigentlich 168 Stunden die Woche Arbeitszeit. Wir waren wie auf einer Mission. Es gab 200 Start-up-Wettbewerber – und es war ein Wettrennen.“

Dann passierte der Unfall. Als Schoss im Krankenhaus um sein Leben kämpfte, hatte er ein Nahtoderlebnis. Seine drei Kinder erschienen ihm. Sie wollten noch nicht auf ihren Papa verzichten. Sie wollten, dass er weitermachte.

Joachim Schoss machte weiter. Er bekam eine Prothese, er stand wieder auf, lernte wieder zu laufen. Doch das Nahtoderlebnis änderte seine Perspektive aufs Leben: „Es hat mir gezeigt, dass es vielleicht nicht darum geht, wie wertvoll das Unternehmen ist, wie viele Mitarbeiter man hat, oder dass man Chef ist, sondern dass es eher darum geht, was man für ein Chef ist und wie man die Dinge gemacht hat.“

Das Portal „Enable me“ bietet Hilfe für Menschen mit Behinderung

2004 wird die Scout-Gruppe an die Telekom verkauft. Joachim Schoss gehören damals noch Anteile an der Firma, an der Spitze des Unternehmens steht er aber nicht mehr. Schoss hätte die Firma gerne an die Börse geführt, doch nach dem Unfall spielten all diese Überlegungen zunächst keine Hauptrolle mehr.

Stattdessen beginnt Joachim Schosssein zweites Leben. Er wird noch vier Mal Vater, investiert mit dem Erlös aus dem Firmenverkauf in Start-ups und gründet 2004 eine Stiftung, mit der er das Portal „Enable Me“ aufbaut – eine Seite mit Informationen und Hilfen für Menschen mit Behinderung. „Das Ziel ist, bis zum Ende dieses Jahrzehnts jeden der eine Milliarde Betroffenen auf dem Planeten mit unseren Informationsdienstleistungen zu versorgen“, sagt Joachim Schoss, der sich auch in anderen Bereichen philanthropisch engagiert. Mit der Stiftung „Restate global“ arbeitet er an Ideen für die Zukunft der Demokratie. Fragt man Schoss, wie es ihm heute, fast 20 Jahre nach dem Unfall, geht, sagt er sehr gut: „Ich hätte gerne zwei Arme und zwei Beine und nicht die gesundheitlichen Einschränkungen, aber ansonsten ist mein Leben sehr gelungen.“

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