Beirat Junge Digitale Wirtschaft Kritik an Start-ups unerwünscht

Berlin · Ein Positionspapier des Beirats von Wirtschaftsminister Peter Altmaier fordert die Einschränkung der Pressefreiheit, um Börsengänge zu erleichtern. Das Ministerium ist überrascht. Offenbar hatte niemand den Text gelesen.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat Ärger mit seinem Beirat Junge Digitale Wirtschaft.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat Ärger mit seinem Beirat Junge Digitale Wirtschaft.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Ein Positionspapier des „Beirats Junge Digitale Wirtschaft“ von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) löst Ärger in der deutschen Start-up-Szene aus: In dem Papier fordern die Autoren unter anderem eine Einschränkung der Pressefreiheit, um bessere Bedingungen für Start-up-Börsengänge in Deutschland zu schaffen. Es brauche einen Erlass von Regeln zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel, die sich als regelrechtes „New-Economy-Bashing“ unter Finanzredakteuren verbreitet hätten, heißt es in dem Papier. Die Presse müsse gleichzeitig verpflichtet werden, auch über kleine Börsengänge zu berichten.

Nach einem Bericht des „Handelsblatts“ löschte das Bundeswirtschaftsministerium den Eintrag auf der eigenen Internetseite und distanzierte sich vom Inhalt. Ressortchef Altmaier schrieb beim Kurznachrichtendienst Twitter, ihm sei das Papier nicht bekannt. Der Journalisten-Verband DJV kritisierte die „völlig absurden Forderungen“, während der Beirat betonte, es handele sich um ein veraltetes und falsches Dokument: „Die dort formulierten Absätze entsprechen in keiner Weise der Position des Beirats. Wir distanzieren uns davon deutlich.“

Doch die Diskussion um das Positionspapier wirft auch ein ungünstiges Licht auf die Arbeitsweise und die Bedeutung des Beirats insgesamt. Denn einerseits betonte Wirtschaftsminister Peter Altmaier bei einem Treffen im vergangenen Jahr die Bedeutung des Gremiums als wichtiger Impulsgeber. Umgekehrt hatten offenbar nicht einmal seine Mitarbeiter die Papiere richtig gelesen – oder die Formulierung für nicht problematisch befunden. Ein Sprecher des Ministeriums teilte mit, das Papier sei dem Ministerium im Mai übermittelt und im Juni veröffentlicht worden. Papiere würden natürlich gelesen, aber es erfolge keine inhaltliche Abnahme, da es unabhängige Stellungnahmen seien. Dennoch könnten auf der Internetseite des Ministeriums selbstverständlich keine Äußerungen veröffentlicht werden, die gegen verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter wie die Pressefreiheit verstießen.

Ärgerlich ist, dass das eigentliche Anliegen aufgrund der Diskussionen in den Hintergrund rückt. Denn das Thema des Positionspapiers ist alles andere als irrelevant. In Deutschland gab es zuletzt tatsächlich kaum Börsengänge von Unternehmen. 2019 waren es laut der Deutschen Börse drei, im vergangenen Jahr immerhin fünf Unternehmen, die den Sprung an die Börse gewagt haben. Ohne Börsengänge bleibt für Investoren bei einem erfolgreichen Unternehmen, das wachsen will, oft nur der Verkauf an andere, häufig ausländische Unternehmen. So würden keine neuen Weltmarktführer entstehen, wird in dem Papier bemängelt.

Angesichts der Bedeutung des Themas verwundert auch die Arbeitsweise des Beirats. Denn dieses stand offenbar sogar auf der Tagesordnung der Beiratssitzung im Juni. Das Positionspapier wurde dabei laut Teilnehmern nicht im Detail diskutiert – doch die Vorsitzende Miriam Wohlfahrt räumte ein, es nicht mal im Vorfeld zur Vorbereitung gelesen zu haben. Beim Co-Vorsitzenden Christian Vollmann dürfte es ähnlich gewesen sein. Und selbst die als Co-Autorin in dem Positionspapier genannte Investorin Lea-Sophie Cramer gab an, sich in die Entwicklung der veröffentlichten Version des Papiers nicht weiter eingebracht zu haben. In der Stellungnahme räumt der Beirat ein: „Durch die Umstellung auf eine agilere Arbeitsweise haben sich die Entscheidungsprozesse innerhalb des Beirats in den vergangenen Monaten stark verändert.“

Die Gründerin des Start-ups Ratepay, Miriam Wohlfahrt, und der Investor Christian Vollmann haben die Leitung 2020 vom langjährigen Vorsitzenden Tobias Kollmann, Professor an der Universität Duisburg-Essen, übernommen. Früher sei es üblich gewesen, dass der Vorsitzende eine Art Schlussredaktion übernommen habe, bevor Positionspapiere an das Ministerium übergeben wurden, heißt es im Umfeld des Beirats. „Es gab ein anderes Maß an Gewissenhaftigkeit“, heißt es.

Erste Konsequenzen gab es am Dienstag. Investor Christoph Gerlinger übernahm die Verantwortung für das Kapitel in dem Papier, das er mit Lea-Sophie Cramer und dem Geschäftsführer des Bonner Hightech-Gründerfonds, Alex von Frankenberg, geschrieben hatte. Alle drei hatten sich im Nachhinein von ihrem Papier distanziert. Gerlinger bot Wirtschaftsminister Altmaier allerdings auch seinen Rücktritt an – dieser akzeptierte.

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