Gazprom stellt Nord Stream 1 komplett ab Was der komplette Lieferstopp bedeutet

Düsseldorf · Russland nimmt den Betrieb der Pipeline Nord Stream 1 nicht wieder auf. Das sieht Moskau als Vergeltungsmaßnahme, weil der Westen einen Preisdeckel für Öl und Gas plant. Das hat Folgen für Verbraucher, Uniper und die Gasversorgung.

 Gazprom nimmt den Betrieb der Pipeline nicht wieder auf.

Gazprom nimmt den Betrieb der Pipeline nicht wieder auf.

Foto: AFP/KIRILL KUDRYAVTSEV

Nach dem kompletten russischen Lieferstopp versucht die EU-Kommission, die Bevölkerung zu beruhigen: „Wir sind gut darauf vorbereitet, Russlands Nutzung von Gas als Waffe standzuhalten“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Wochenende. „Wir haben keine Angst vor den Entscheidungen Putins.“ Am Freitagabend hatte Russland erklärt, die Lieferungen durch Nord Stream 1, anders als zuvor angekündigt, nicht wieder aufzunehmen.

Was ist dran an Russlands Begründung? Als Grund gab der Gazprom-Konzern an, dass bei Wartungsarbeiten an der Kompressorstation in Potowaja ein Öl-Leck entdeckt worden sei. Daher könne eine Turbine nicht sicher betrieben werden. Der Hersteller der Turbine, Siemens Energy, und die Bundesnetzagentur halten das für vorgeschoben. „Es handelt sich um einen Routinevorgang im Rahmen von Wartungsarbeiten. Solche Leckagen beinträchtigen im Normalfall den Betrieb einer Turbine nicht und können vor Ort abgedichtet werden“, erklärte Siemens Energy. Auch in der Vergangenheit sei es bei solchen Leckagen nicht zu Stillständen gekommen. Zudem gibt es in Potowaja ohnehin sechs Turbinen. Die in Kanada gewartete Turbine steht weiter abholbereit in Mülheim.

Was steckt dahinter? Hintergrund ist der Streit um einen Preisdeckel für russische Energie. Die Finanzminister der sieben führenden Industrienationen (G7) hatten am Freitag über einen Deckel für russisches Öl beraten. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) hatte zuvor gesagt: „Es ist jetzt Zeit für einen Preisdeckel auf russisches Pipeline-Gas nach Europa.“ Russland drohte daraufhin mit Vergeltung. Man werde die Lieferungen einstellen, wenn die EU eine Preisobergrenze für Gas durchsetzt, sagte Ex-Präsident Dmitri Medwedew laut der Nachrichtenagentur Reuters. Russland fürchtet um sein lukratives Geschäft: Zwar sind die exportierten Mengen gesunken – entweder wegen der westlichen Sanktionen (bei Kohle und Öl) oder wegen der russischen Drosselung der Gas-Lieferung. Doch die Energiepreise sind so stark gestiegen, dass Russland mit geringeren Exportmengen viel mehr verdient.

Welchen Deckel plant Deutschland? Beim Strom will Deutschland mit dem Preisdeckel ernst machen, beim Gas soll er EU-weit folgen: Es werde ein Höchstwert für die Erlöse am Spotmarkt für Strom festgelegt, heißt es in der Vereinbarung des Koalitionsausschusses. Man wolle die Zufallsgewinne von Erzeugern abschöpfen und das Geld zur Entlastung der Verbraucher einsetzen. Der Hintergrund: Wie bei allen Gütern wird auch der Preis für Strom durch den teuersten Anbieter bestimmt. Am teuersten sind Gaskraftwerke, daher schlägt der Gaspreis so hart auf den von Strom durch. Alle anderen Erzeuger können sich freuen: Am günstigsten ist Ökostrom, gefolgt von Atom-, Braunkohle- und Steinkohlestrom. Diese Reihenfolge wird „Merit order“ genannt - das System will die Ampel nun kappen. Der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, warnt: „Der Begriff der Zufallsgewinne ändert nichts an der ordnungspolitischen Fragwürdigkeit. Denn das Marktdesign für den europäischen Strommarkt hat je gute Gründe, die darauf zielen die Investitionen in erneuerbare Energie anzutreiben. Die Besteuerung der Zufallsgewinne bleibt ebenso unkalkulierbar wie die daraus folgende Entlastung der Stromkunden.“

Wie gut sind wir auf den Lieferstopp vorbereitet? Deutschland ist besser vorbereitet als im Frühjahr, aber nicht über den Berg. „Mit 85,02 Prozent erreicht Deutschland bereits am 2. September das Oktober-Ziel für seine Gasspeicher“, erklärte der Chef der Netzagentur, Klaus Müller. Auch als Nord Stream 1 das letzte Mal „gewartet“ wurde, habe man einspeichern können. „Aber es naht die Heizsaison. Jetzt kommt es nach den harten Industrieeinsparungen auf unser aller privates Heizverhalten an - minus 20 Prozent.“

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Foto: dpa/Franziska Gabbert

Was passiert mit den Preisen? Es dürfte noch teurer werden. „Unternehmen und private Verbraucher müssen sich auf deutlich steigende Gaspreise einstellen“, teilte die Behörde am Sonntag mit. Die Energiehändler an der Börse sind bereits nervös. Am Mittwoch schwankte der Großhandelspreis für auf Termin gekauftes Erdgas in einer Spanne von plus fünf und minus zehn Prozent. Eine Megawattstunde kostet nun 250 Euro. Vor einem Jahr waren es 27 Euro. Teilweise kommt es zu extremen Preisspitzen.

Was sind die Folgen für Uniper und die Gasumlage? Die Probleme des Düsseldorfer Versorgers Uniper dürften sich erneut verschärfen. Je höher die Kosten der Ersatzbeschaffung von Gas am Spotmarkt sind, desto größer werden Unipers Verluste. Aktuell liegen diese bei über 100 Millionen Euro am Tag. Das hat auch Folgen für die Verbraucher: Ab Oktober haben Uniper und andere Versorger Anspruch auf die Gasumlage, die von den Gaskunden aufgebracht werden muss. Je mehr Verluste der größte Importeur von russischem Gas macht, desto höher wird die Gasumlage ausfallen. Zum 1. Januar kann sie das nächste Mal erhöht werden.

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