WM-Casting bei Nations League Die Abteilung Angriff macht im DFB-Team noch Sorgen

Analyse | Frankfurt · Die deutsche Fußballnationalmannschaft steht vor ihren letzten beiden Pflichtaufgaben vor der WM in Katar. Einige Spieler bewerben sich noch um einen Platz im Kader. Der Bundestrainer muss vor allem die Besetzung der Offensive klären.

Timo Werner (r) im Duell mit Jamal Musiala (M) und Armel Bella-Kotchap.

Timo Werner (r) im Duell mit Jamal Musiala (M) und Armel Bella-Kotchap.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Man muss sich Hansi Flick als einen sehr weitsichtigen Mann vorstellen. Deshalb blickt der Fußball-Bundestrainer bereits kühn über den Tellerrand der beiden abschließenden Gruppenspiele in der Nations League (Freitag gegen Ungarn, Montag in England) hinaus zur Weltmeisterschaft in Katar. Acht Wochen vor dem Abflug zum Adventsturnier auf der arabischen Halbinsel hat Flick 24 Profis im vornehmen Frankfurter Hotel Gravenbruch versammelt und ihnen vorab seine Wünsche ausgerichtet: „Wir müssen jetzt in den Turniermodus reingehen und von Anfang an da sein.“ Aha.

Bei der Nominierung trieb ihn ganz offensichtlich nicht oder zumindest nicht allein die aktuelle Form seiner Auserwählten. Denn nicht alle im 24er-Kader befinden sich zurzeit auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit. Flick gibt ihnen im Blick auf Katar dennoch großmütig die Gelegenheit, aktiv an die guten Tage zu erinnern. Es bleibt ihm wahrscheinlich gar nichts anderes übrig.

So hat er Robin Gosens ins Aufgebot zurückgeholt, obwohl der bei Inter Mailand in der zweiten Reihe sitzt und am Wochenende wieder mal nicht gespielt hat. David Raum, sein Konkurrent auf der linken Außenbahn, ist nach seinem Wechsel bei RB Leipzig noch nicht so recht angekommen, er patzte beim 0:3 in Mönchengladbach kräftig. Und der wuchtige Christian Günter vom SC Freiburg fehlt.

Die leidige Debatte um die richtige Besetzung der Angriffspositionen hat drei wesentliche Themen. Erstens die wenig aufdringlichen Vorstellungen des Wolfsburger Mittelstürmers Lukas Nmecha, der am ehesten die Rolle einer klaren Nummer neun ausfüllen kann. Er steckt jedoch mit dem Klub in der abstiegsbedrohten Zone, und beim 0:2 bei Union Berlin spielte er auch so.

Zweitens die Verfassung des Leipziger Rückkehrers Timo Werner, der in Mönchengladbach 45 Minuten auf der Bank schmorte und danach auch nichts Wegweisendes zustande brachte. Und drittens die Krise des FC Bayern München, die immer dann ausgerufen wird, wenn der Abo-Meister mal nicht auf Platz eins steht. Tatsächlich ist er derzeit Fünfter, hat seit vier Bundesligaspielen nicht mehr gewonnen, und seine Spieler machen nicht unbedingt den Eindruck hochprofessioneller Entschlossenheit, vom unerschütterlichen „Mia san mia“ mal ganz zu schweigen.

Trotzdem standen neben Torhüter Manuel Neuer, der beim 0:1 in Augsburg in der Schlussphase die eindrucksvollste Offensivkraft war, sechs Fußballer des FC Bayern im Kader, von denen Flick Kreativität und Tore erwartet, erwarten muss. Fünf sind es noch für die beiden Spiele, nach dem Neuer und Leon Goretzka nach positiven Coronatests das Team verlassen mussten.

Auch in diesen Fällen bestimmt das Prinzip Hoffnung die Nominierung. Vielleicht mit dem ausnahmsweise mal in die ferne Vergangenheit gerichteten Rückblick auf andere Offensivkräfte, die sich von persönlichen Krisen im Kreis der Nationalmannschaft befreien konnten. Nachfragen beantwortet zum Beispiel Miroslav Klose gern.

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Nicht jeder Nominierte gehört allerdings zur Kategorie Sorgenkind. Flicks defensive Allzweckwaffe Thilo Kehrer hat sich in der Premier League bei West Ham ebenso einen Stammplatz erspielt wie Armel Bella Kotchap beim Mitbewerber FC Southampton.

Innenverteidiger Bella Kotchap ist der einzige Neuling im Kader, und der Bundestrainer schwärmt von „der tollen Entwicklung, die er genommen hat“. Davon hat sich Flicks Assistent Danny Röhl auf der Insel selbst ein Bild gemacht. Und das Internetportal „transfermarkt.de“ honoriert die Leistungen des früheren Bochumers mit einer Marktwertsteigerung von zehn auf 16 Millionen Euro – ein tüchtiger Schritt.

Ob es deshalb schon zum Debüt reicht, ist damit nicht gesagt. Schließlich hat sich Matthias Ginter durch die Rückkehr zur Normalform in seinem Jugendverein SC Freiburg ebenso in Erinnerung gebracht wie Nico Schlotterbeck bei Borussia Dortmund. Und Antonio Rüdiger ist trotz gelegentlicher Ersatzbank-Aufenthalte bei Real Madrid ganz sicher die Nummer eins in der Defensivreihe.

Deutlich weiter vorn bewirbt sich der Mönchengladbacher Jonas Hofmann um eine der Hauptrollen in Flicks Ensemble. Sein kluges Spiel und seine Tore gegen Leipzig sind gute Argumente.

Selbst wenn der Coach zur WM schaut, geht er den Abschluss der Nations-League-Gruppenphase mit großem Ernst an. Das versichert er zumindest. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass wir im Sommer 2023 das Final Four spielen wollen“, sagt er. Das würde weitere Pflichtspiele gegen prominente Gegner sichern.

Und die braucht die DFB-Auswahl, weil sie als Ausrichter der Europameisterschaft 2024 keine Qualifikation spielen wird. Um das Finalturnier zu erreichen, muss Flicks Team Erster in der Gruppe werden.

Siege gegen den Überraschungs-Tabellenführer Ungarn und in England würden auf jeden Fall reichen. Aber das ist leichter geschrieben als getan.

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