Spätzünder in der Bundesliga Pröger, Bülter, Mamba - durch die Hintertür ins Rampenlicht

Düsseldorf · Union Berlin und Paderborn haben auf dem überhitzten Markt auf unkonventionelle Transfers gesetzt. Spieler, denen lange Zeit niemand eine Profikarriere vorausgesagt hat, sind plötzlich Hingucker in der Bundesliga.

 Marius Bülter jubelt nach einem Treffer gegen Dortmund.

Marius Bülter jubelt nach einem Treffer gegen Dortmund.

Foto: dpa/Paul Zinken

Verbissen kämpften Faninitiativen und Vereine lange Zeit für eine Reform der Aufstiegsregel aus den viertklassigen Regionalligen. Inzwischen hat der DFB eingelenkt - zumindest die Besten der Staffeln West und Südwest dürfen ab der kommenden Saison direkt in die 3. Liga aufsteigen.

„Der SV Rödinghausen, aktuell Tabellenführer der Weststaffel, wird darauf verzichten und keine Lizenz für die 3. Liga beantragen. Zu rasant war der Aufstieg für den Provinzklub, der es innerhalb von zehn Jahren von der Kreisliga A bis an die Spitze der vierten Liga geschafft hat. Eine moderne Infrastruktur, wie sie der DFB für die 3. Liga verlangt, kann der Klub aus Ostwestfalen nicht anbieten. Zwischen den gestrandeten Traditionsvereinen, die die eigene Viertklassigkeit als dauerhaften Betriebsunfall erleben, ist in der Regionalliga an vielen Stellen eben noch immer drin, was draufsteht: echter Amateurfußball.

Einige Klubs zahlen dabei durchaus Gehälter, die Spieler dazu verführen, ihre Karriere mit einer Profilaufbahn zu verwechseln. Wer ernsthaft an einer Existenzgrundlage jenseits der 35 Jahre interessiert ist, sollte jedoch zusehen, dass er tunlichst den Ausgang aus der Liga findet, um sich höherklassig durchzusetzen oder einen anderen Beruf zu ergreifen. Für viele Vereine, Spieler und Trainer ist die Regionalliga ein Bahnsteig für Durchreisende.

Zur Welt der europäischen Spitzenklubs besteht die kürzeste Verbindung jedoch meist über den Fernsehanschluss im Vereinsheim. Rasant steigende Ablösesummen und Gehälter, die das Geschäft grundlegend verändert haben, schlagen sich mittelbar trotzdem auf die Rödinghausens, SC Verls und Rot-Weiss Essens nieder. Weil zunehmend Kapital in den Markt gepumpt wird und die Geldströme zuverlässig nach oben fließen, haben die großen Ligen einen Flaschenhals ausgebildet. Dieselben Kandidaten spielen Jahr für Jahr die internationalen Plätze aus und bringen mehr und mehr Abstand zwischen sich und den Rest der Liga. Zwar profitieren die Schwellenklubs zwischen Champions League und Abstiegskampf indirekt auch von grundsätzlich höheren Ablösesummen, je weiter man in die südlicheren Gefilde der Tabelle vorstößt, desto erfinderischer müssen aber selbst Bundesligaklubs inzwischen werden, um da noch irgendwie mitzuhalten.

Der SC Paderborn und Union Berlin hätten unter Laborbedingungen in der Ersten Liga deshalb gar nicht erst stattgefunden. Beide erwartete nach ihren überraschenden Bundesliga-Aufstiegen gefühlte 34 Runden DFB-Pokal. Nach 22 Spieltagen lässt sich festhalten, dass beide Klubs durch Punktausbeute (Union Berlin) oder zumindest systematisch unverschämte Spielweise (Paderborn) überzeugen konnten. Mit ihrer gezwungenermaßen unkonventionelle Transferpolitik haben die Aufsteiger gleichzeitig bis dahin weitgehend unbekannte Spieler an die Oberfläche gespült.

Weil der geübte Weg die Talente aus den Fußballinternaten ohnehin direkt aus den U-Mannschaften in die Profikader führt, setzen beide Klubs auf Spieler, deren Profilaufbahnen bereits gescheitert waren, bevor sie überhaupt begonnen hatten. Kai Pröger ist so einer. Als er beim damals noch Zweitligisten SC Paderborn anheuerte, musste er etwas kleinlaut fragen, was eigentlich die Steigerung von „Traum“ sei. Kurz zuvor hatte er noch in der Regionalliga bei Rot-Weiss Essen gekickt und die 3. Liga zu einem Traum erklärt. Dass inzwischen sogar die Bundesliga sein ganz reales Geschäft ist, lässt sich dann wohl kaum noch mit Worten beschreiben, aber vielleicht mit nackten Zahlen: In 20 Einsätzen gelangen dem Rechtsaußen zwei Tore und sechs Assists - nicht schlecht für einen, der mit 27 erst seine Premiere in der deutschen Eliteklasse feierte.

Ähnlich uneben verlief der Karriereweg von Teamkollege Streli Mamba. Bis zu seinem 24. Geburtstag wollte er im Profifußball Fuß fassen - oder eben nicht. Es wurde eine Punktlandung. Seine Tore in der Regionalliga trugen maßgeblich dazu bei, dass Energie Cottbus 2018 in die 3. Liga aufstieg - kurz vor Mambas Stichtag. Das Schicksal half nun nach - der gebürtige Göppinger wechselte zum Zweitligisten SC Paderborn und landete bei einem Bundesligisten - den völlig überraschenden Aufstieg hatte auch er nicht einkalkuliert. Nachdem er nun in 17 Bundesliga-Spielen fünf Tore erzielte, drei davon gegen Dortmund und Leipzig, träumt er sogar von Höherem. „Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich gerne irgendwann ins Ausland wechseln. Am liebsten in die Premier League, der Fußball dort käme meinem Spielstil wahrscheinlich entgegen“, sagte Mama dem Magazin „11Freunde“. „Wenn ich in der Bundesliga bleiben kann, wäre das aber natürlich auch schön.“ Bislang funktioniert es dort für ihn jedenfalls ordentlich.

Nun sind die Ostwestfalen nicht vollständig dem Wahnsinn verfallen, eine ähnliche Transferstrategie wird auch von der Konkurrenz erfolgreich angewendet. Mitaufsteiger Union Berlin wirkt in vielerlei Hinsicht wie ein Anachronismus in der Bundesliga. Doch trotz spärlicher Mittel haben die Köpenicker derzeit weniger mit dem Abstieg zu tun als die neureiche Tante Hertha aus Charlottenburg. Dabei platzierten die Berliner im Transfersommer auch einige riskante Wetten. Die beste Rendite wirft derzeit Marius Bülter ab. 2018 kickte der Linksaußen noch in der Regionalliga. Heute, mit 27 Jahren, hat er über eine Zwischenstation beim 1. FC Magdeburg den Weg zu Union gefunden und lässt die Bundesliga zuletzt fast im Wochenrhythmus staunen. Mit sieben Tore in 21 Spielen und konstant starken Leistungen ist Bülter derzeit einer der Garanten für die Überlebenschancen der „Eisernen“ im Oberhaus. "Es ging rasant bei ihm, er ist von der vierten in die erste Liga durchgestartet und zeigt, dass man sich mit 26 Jahren noch entwickeln kann“, sagte sein Trainer Urs Fischer der „B.Z.“. Dabei kommt ihm sein vermeintlicher Makel zugute: Dadurch, dass er es erst auf dem zweiten Karriereweg zum Profi gebracht hat, versprühen viele seiner Finten etwas Unkonventionelles, das viele Abwehrspieler vor Herausforderungen stellt. Straßenfußballer nannte man einen wie Bülter mal, ein heute eigentlich ausgestorbenes Berufsbild.

Dass Spieler wie Bülter, Mamba oder Pröger, für den gehobenen Dienst eigentlich ausgemustert, auf dem zweiten Arbeitsmarkt noch einen Platz in der Bundesliga finden, ist Stoff für Fußballromantiker. In der gründlich durchgescannten und gläsernen Sportart, in der Tausende Scouts penibel darauf bedacht sind, kein Talent zu übersehen, wird der späte Ruhm von ausgesiebten Mittzwanzigern gleichwohl die Ausnahme bleiben. Solange spätberufene Aufsteiger aber mit Supertalenten konkurrieren können, die ein Vielfaches ihres Marktwertes mit sich herumtragen, tragen sie aber zu einer der wichtigsten Erzählungen der Bundesliga bei: dass immer alles passieren kann.

In Rödinghausen wird man jedenfalls etwas genauer hinschauen, wenn Union Berlin am kommenden Montag zu Gast bei Eintracht Frankfurt ist – vielleicht sieht der nächste Marius Bülter ja bereits zu.

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