Große Koalition SPD-Chef Gabriel hat keine Rivalen mehr

Berlin · Der oberste Sozialdemokrat ist am Ziel. Mit dem gewonnenen Mitgliederentscheid ist Gabriel die unumschränkte Nummer eins der Partei. Er wird mit Kanzlerin Merkel regieren, sich aber auch rechtzeitig als ihre Alternative profilieren.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat keine Rivalen mehr
Foto: dpa, Rainer Jensen

Sigmar Gabriel platzt förmlich vor Stolz. Im Jahr des 150. Bestehens der SPD und zum 100. Geburtstag des beliebten früheren Altkanzlers Willy Brandt wird dessen Versprechen eingelöst, mehr Demokratie zu wagen. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik haben die Mitglieder einer gesamten Partei über einen Koalitionsvertrag entschieden. Die Mitgliederbefragung, anfangs von der SPD-Führung als notwendiges Übel mit ungewissem Ausgang eingegangen, um die große Koalition überhaupt in Erwägung ziehen zu können, ist für die Sozialdemokratie zu einer Erfolgsgeschichte geworden.

Als Sigmar Gabriel am Samstag mit Mitgliedern des Parteivorstands um 14.45 Uhr Halle 1 des früheren Berliner Postbahnhofs in Kreuzberg betritt, brandet Beifall auf. Im Saal herrscht Feierlaune. Die 400 Freiwilligen aus SPD-Ortsvereinen im ganzen Land applaudieren lautstark. Aber sie feiern nicht die große Koalition, die jetzt unmittelbar bevorsteht — sie feiern sich selbst, sie feiern ihre Partei. Und sie feiern ihren Parteivorsitzenden. Der steht nämlich innerhalb der SPD für die neue Aufbruchstimmung. "Ich war lange nicht mehr so stolz, Sozialdemokrat zu sein", stellt Gabriel sichtlich bewegt fest.

Der Mitgliederentscheid war seine Idee. Und wie bei jedem Plebiszit geht der Initiator als großer Sieger hervor. Im Grunde ging es beim Votum der Genossen nicht nur um die Zustimmung zu einer ungeliebten Koalition, sondern um den Parteivorsitzenden selbst. Bei einer Niederlage hätte er zurücktreten müssen. Jetzt ist er die klare Nummer eins der SPD — ohne Rivalen.

Schon zuvor hatte die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ihre Kanzlerinnen-Ambitionen aufgegeben. Das verschaffte Gabriel einen weiteren Machtschub. Die Großen der Partei stehen hinter dem eloquenten Vorsitzenden, egal ob freiwillig oder nicht. Der Preis für den Machtzuwachs war freilich groß. Zwei Wochen lang hat die SPD die ganze Republik mit dem Entscheid faktisch lahmgelegt. Regiert werden konnte noch nicht, weil 474 820 Sozialdemokraten über den Koalitionsvertrag abstimmen sollten. Das Verständnis hielt sich anfangs auch bei anderen Parteien in Grenzen. "Die CDU-Mitglieder vertrauen ihrer Führung", lauteten Seitenhiebe des potenziellen Koalitionspartners. Vergangene Woche nannte CDU-Chefin Angela Merkel die hohe Beteiligung am Entscheid aber schon "sehr erfreulich".

Tatsächlich hat der SPD-Chef auch bei der Kanzlerin an Statur gewonnen. Mit dem hartnäckigen Schweigen über die Ressortbesetzung hat er Merkel beeindruckt. Sie vertraut Gabriel, und das dürfte auch dessen Position in der Partei und der Regierung stärken.

Gabriel muss allerdings eine gewaltige Aufgabe schultern — die Energiewende, die seit zwei Jahren mehr schlecht als recht vorankommt. Bekommt er die Strompreisexplosion nicht in den Griff, dürfte das Murren insbesondere beim Parteivolk und den Wählern der SPD wieder zunehmen und seine eben erst gewonnene Popularität wieder sinken. Gelingt ihm aber der Durchbruch, könnte er unter Beweis stellen, dass er zu Höherem berufen ist. Denn die Aufgabe in der großen Koalition sieht der SPD-Chef vor allem darin, die Regierungsfähigkeit der bei den Wahlen gedemütigten Partei wiederherzustellen und dann 2017 die Kanzlerschaft zu übernehmen.

Er wird also zuerst mit Merkel regieren — mindestens zweieinhalb bis drei Jahre lang. Dann wird er sich als Herausforderer positionieren, wenn Merkel noch einmal antreten sollte. Die Grundlage dafür hat er jetzt eindrucksvoll gelegt.

Nach ihm am stärksten im Kabinett ist Arbeitsministerin Andrea Nahles, die als 43-Jährige nun über Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung rund ein Viertel des deutschen Bruttoinlandsprodukts kontrolliert. Sie verzeichnet neben Gabriel den größten Machtzuwachs. Allerdings darf auch der neue Fraktionschef Thomas Oppermann nicht unterschätzt werden. Er bekam zwar nicht das erhoffte Fachressort, ist aber als starker Mann im Parlament die wichtigste Brücke zu den selbstbewussten Abgeordneten der SPD. Diese Machtbasis dürfte Oppermann auch einsetzen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird sich aus dem innerparteilichen Machtkampf verabschieden. Er tritt seine letzte Amtsperiode an, und er hat noch einmal die Chance, das außenpolitische Profil der Sozialdemokraten zu schärfen. Als loyaler Minister wird er Merkel oft den Vortritt lassen, aber bei den Großmächten Russland und China trägt er die Menschenrechtsfrage nicht so scharf vor wie seine Regierungschefin. Er könnte also zum bevorzugten Gesprächspartner werden. Ausspielen gegen die Kanzlerin wird er es freilich nicht. Der Nutzen für die SPD dürfte begrenzt sein.

(rl)
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