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Christine Lambrecht (SPD) „Ich sehe Schnittmengen mit Linken“

Interview | Berlin · Die Bundesjustizministerin über höhere Strafen für Stalker, Kinderrechte im Grundgesetz – und den Applaus von Linken und Grünen für das SPD-Wahlprogramm.

 Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz. (Archiv)

Christine Lambrecht (SPD), Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz. (Archiv)

Foto: dpa/Britta Pedersen

Frau Lambrecht, Sie wollen seit Jahren mehr Transparenz in den Einfluss von Lobbyisten bringen. Bringen die Bestechungsvorwürfe gegen den CSU-Abgeordneten Georg Nüßlein jetzt den nötigen Druck?

Lambrecht Danach sieht es aus. Wir sprechen ja in der Koalition schon sehr lange darüber. Ich will mit dem Lobby-Register nicht nur den Kontakt von Interessenvertretern zu Abgeordneten regeln. Aus meiner Sicht gehört in ein solches Register auch, dass die Kontakte der Lobbyisten zur Regierung transparent werden. Daran hat es bis zuletzt gehakt. Aber jetzt hat die Union eingelenkt.

Union und SPD haben sich gegenseitig lange vorgeworfen, das Vorhaben zu blockieren. Haben Sie nicht genau damit zum Vertrauensverlust beigetragen?

Lambrecht Ich finde es nicht verwerflich, wenn wir die Unterschiede herausarbeiten. Das ist Teil des normalen politischen Prozesses. Aber gerade die Union sollte doch angesichts des aktuellen Falls ein Interesse daran haben, Maßnahmen für mehr Transparenz beim Lobbyismus durchzusetzen und sie nicht länger auf die Wartebank zu schieben.

Sie wollen Mobilfunkunternehmen dazu zwingen, Verträge schneller kündbar zu machen. Schafft das nicht neue Unsicherheiten für Unternehmen, die in der Krise ohnehin zu kämpfen haben?

Lambrecht Ich bin davon überzeugt, dass die Bindung der Kunden an ihren Vertragspartner sogar steigt, wenn sie sich fair behandelt fühlen. Alle Bedenken, die derzeit aus der Wirtschaft an uns herangetragen werden, halte ich für gut widerlegbar.

Etwa, dass in anderen Ländern bei ähnlichen Maßnahmen die Preise für die Kunden stiegen und es weniger Investitionen in die Netze gab?

Lambrecht In anderen Ländern sind nach meiner Kenntnis die Preise gefallen und die Menschen haben mehr Auswahl bei der Laufzeit ihrer Verträge. Genau das sollte auch in Deutschland der Fall sein. Es geht mir nicht darum, dass beispielsweise Zwei-Jahres-Verträge verboten werden. Wenn die Unternehmen ihren Kunden damit Vorteile anbieten können, ist das in Ordnung. Ich will aber erreichen, dass es auch eine schneller kündbare Alternative gibt. Das muss schnell kommen.

Ein drittes Projekt, das Sie vor der Bundestagswahl noch in der Pipeline haben, ist das Gesetz gegen Stalking. Finden Sie, dass insbesondere Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, solche Fälle häufiger bekannt machen sollten?

Lambrecht Ja, dazu kann ich nur raten. Es hilft immer sehr, wenn Frauen darüber sprechen, dass sie Opfer eines Stalkers geworden sind. Sie zeigen damit anderen betroffenen Frauen, dass sie nicht alleine sind mit diesem Psychoterror. Ein Hauptproblem ist, dass wir in Deutschland dieses Phänomen nicht ernst genug nehmen, obwohl es mehr als jede zehnte Frau mindestens einmal im Leben erlebt. Stalker belästigen, bedrängen und bedrohen ihre Opfer nicht selten Tag und Nacht. Deshalb will ich die Strafbarkeit ausweiten. Bisher sind die Hürden für die Justiz zu hoch. Wir brauchen das von mir vorgeschlagene Gesetz als weiteren Schritt zum besseren Schutz von Frauen.

Eine Initiative setzt sich dafür ein, dass auch anzügliche Bemerkungen gegen Frauen unter Strafe gestellt werden. Gehen Sie da mit?

Lambrecht Es ist für mich unfassbar, welche Verhaltensweisen hier mittlerweile an den Tag gelegt werden. Wir mussten zum Beispiel unter Strafe stellen, dass Männer Frauen heimlich unter den Rock fotografieren. Ich hätte mir das nicht vorstellen können. Auch sexuell herabwürdigende Belästigungen und Beleidigungen erleben Frauen immer wieder, im Job, im Internet oder auf der Straße. Ich finde gut, dass Frauen sich dieses übergriffige Verhalten nicht länger gefallen lassen und sich dagegen wehren. Es muss klar sein, dass wir als Gesellschaft diese Verhaltensweisen nicht hinnehmen und strikt ablehnen. Wir werden prüfen, ob hierzu auch rechtliche Anpassungen erforderlich sind.

Vor der Bundestagswahl wollen sie noch eine ganze Palette an Gesetzen durchsetzen, aber die Zeit läuft Ihnen davon. Wie viel davon ist mit der Union noch zu machen?

Lambrecht Ich könnte Ihnen einen ganzen Tag lang aufzählen, was wir schon alles erreicht haben. Mit meiner bisherigen Bilanz als Ministerin bin ich sehr zufrieden. Aber es stimmt, dass noch mehrere Projekte offen sind, die wir im Koalitionsvertrag fest vereinbart haben. Hier werde ich hartnäckig bleiben und noch haben wir die nötige Zeit, um diese Vorhaben ins Gesetzblatt zu bringen. Diese Koalition wird bis zum Ende der Legislaturperiode Gesetze beschließen, da bin ich sicher.

Die Grünen werfen der schwarz-roten Bundesregierung vor, mit ihren Plänen zur Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung die Ausgangslage für Kinder und Jugendliche sogar zu verschlechtern. Was sagen Sie dazu?

Lambrecht Die Vorwürfe kann ich nicht nachvollziehen. Die Grünen fordern etwa, das Kindeswohl „vorrangig“ in der Verfassung zu berücksichtigen. Die Systematik in unserem Grundgesetz sieht aber keinen Vorrang einzelner Grundrechte vor - außer der Menschenwürde, die über allem steht. Ich versuche mit guten Argumenten eine Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat zu organisieren. Dafür sprechen wir momentan mit allen Fraktionen, um einen gemeinsamen Vorschlag zu erarbeiten - mit Ausnahme der AfD, die sich dem von Vornherein verweigert hat.

In Ihrem Gesetzesentwurf steht: „Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen.“ Das klingt sehr vage. Sollte das Kindeswohl nicht einen höheren Stellenwert bekommen?

Lambrecht Die verschiedenen Grundrechte müssen jedes Mal aufs Neue gegeneinander abgewogen und miteinander in Einklang gebracht werden. Insofern ist „angemessen“ genau die richtige Formulierung. Und es ist ein großer Fortschritt, dass die Kinderrechte nun explizit im Grundgesetz abgebildet werden sollen.

Hätten Sie sich dennoch umfassendere Rechte für Kinder und Jugendliche gewünscht, als nun im Kompromiss mit der Union herauskam?

Lambrecht Das können Sie daran erkennen, dass ich schon Ende 2019 einen ersten Vorschlag mit weitgehenderen Formulierungen vorgelegt hatte. Wir haben uns dann mit dem Koalitionspartner auf einen Entwurf geeinigt, der für mich tragbar ist. Wir bilden damit ab, dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind, sondern dass sie eine besondere Berücksichtigung erfahren müssen.

Die SPD bekommt für ihren frisch vorgelegten Vorschlag für das Wahlprogramm viel Applaus von Linken und Grünen. Freuen Sie sich darüber?

Lambrecht Ich freue mich vor allem, dass wir so früh mit einem Vorschlag auf dem Platz sind, der gute Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit gibt. Es war ein langer, intensiver Prozess, der in diesen Vorschlag gemündet ist - und jetzt können Bürgerinnen und Bürger sich darüber informieren, wofür die SPD in diesem Wahljahr steht. Wir haben deutlich gemacht: Wir stehen für einen starken Staat. Gerade in dieser Krise erleben viele Menschen doch, wie wichtig es ist, dass der Staat handlungsfähig ist, gegen unfaire und ungerechte Entwicklungen vorgeht, in Digitalisierung und Klimaschutz investiert, Bildung und Arbeitsmarktbedingungen im Blick hat. Und wie wichtig es ist, jeder und jedem einzelnen mit dem gleichen Respekt zu begegnen – unabhängig von Herkunft, Bildungsstand, Beruf oder gar Einkommen.

Gerade die Linken können sich auf Grundlage ihres Programmvorschlags Annäherungen vorstellen. Stößt das bei Ihnen auf offene Ohren?

Lambrecht Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man nie von Vornherein etwas ausschließen sollte. Unser größtes Ziel ist es, bei der Bundestagswahl so stark abzuschneiden, dass wir die Bundesregierung anführen können. Ich bin dafür, nach den Wahlen mit allen Parteien zu verhandeln - außer mit der AfD, egal was in deren Wahlprogramm am Ende steht. Mit allen anderen sollte man ernsthafte Verhandlungen führen und dabei nicht nur ausloten, was rechnerisch geht, sondern vor allem, wo man inhaltlich zusammenpasst.

Und wie sieht es mit der Linken aus?

Lambrecht Ich sehe in vielen Bereichen gewisse Schnittmengen mit den Linken. Die besonders strittigen Fragen, etwa zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, müssen die Linken für sich klären, um zu zeigen, ob sie regierungsfähig sind. Wir haben nun vorgelegt und klar aufgezeigt, wie wir unser Land in Zukunft gestalten wollen.

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