Corona-Bekämpfung in Europa Lasst die Grenzen offen!

Berlin · Die Verbreitung von Virus-Varianten in Nachbarländern löst eine berechtigte Sorge aus. Dennoch ist es die falsche Lösung, die Schlagbäume fallen zu lassen. Nationale Alleingänge schaden dem Zusammenhalt Europas. Auch und gerade in der Pandemie.

 Aus Sorge vor Virusmutationen erwägt die Bundesregierung, einen Einreisestopp aus Tschechien und Tirol zu verhängen.

Aus Sorge vor Virusmutationen erwägt die Bundesregierung, einen Einreisestopp aus Tschechien und Tirol zu verhängen.

Foto: dpa/Christoph Schmidt

Das Virus macht nicht an nationalen Grenzen halt. Dieser Satz mag zwar abgenutzt klingen, beschreibt aber doch ein zentrales Dilemma. Ein Europa mit offenen Grenzen, in dem nach Belieben gependelt und gereist werden kann, sieht bei der gemeinsamen Pandemiebekämpfung oft ratlos aus. Wo Menschen sich frei bewegen, bewegt sich das Virus munter mit. Ein Blick nach Tschechien oder Tirol, wo die Inzidenzwerte in Teilen an der vierstelligen Marke kratzen, löst da berechtigte Sorgen aus. Zugleich ist der Weg von England über Frankreich und Belgien nach Deutschland offen, möglicherweise mit britischer Mutation im Schlepptau. Das Virus hält sich schließlich nur an die Gesetze der Natur, aber bestimmt nicht an Gesetze und Regeln, mit denen Staaten versuchen, es in Schach zu halten.

Um es vorwegzunehmen: Die Schlagbäume nun fallen zu lassen, ist die denkbar schlechteste Lösung. Schon ab kommenden Sonntag soll ein Einreisestopp aus Tschechien und Tirol gelten, wie die Bundesregierung am Donnerstag beschlossen hat. Dabei gehören Binnenmobilität und Freizügigkeit zu Europas größten Stärken. Nun stellt die Pandemie die europäische Union auf eine harte Probe, keine Frage. Dennoch sollte an den einzigartigen Errungenschaften des Staatenbündnisses nicht vorschnell gerüttelt werden. Ein Europa, das unter dem Druck einer Naturkatastrophe seine Werte aufweicht – das wäre auch im Hinblick auf kommende Herausforderungen, vor die uns Natur und Klima stellen werden, kein gutes Signal.

Die Erfahrung der ersten Corona-Welle hat gelehrt, dass auch zeitlich begrenzte Grenzschließungen schwere Folgen haben können. Zum einen im Inneren: Viele Krankenhäuser und Pflegeheime in den Grenzregionen sind auf Berufspendler aus Osteuropa angewiesen. Sie würden Probleme bekommen, wenn diese wertvollen Kräfte ausblieben. Zum anderen im Äußeren: Im weltweiten Gefüge der Mächte würde es Europa nicht gut zu Gesicht stehen, wenn es nun die Schotten dichtmacht. In einer Zeit, in der autoritäres Staatsverständnis Aufschwung findet, sollte Europa für seine Werte geradestehen.

Das löst natürlich noch nicht das Problem, dass die Virusvarianten in manchen Nachbarländern die Zahlen explodieren lassen, während hierzulande der ersehnte Abwärtstrend Hoffnung macht. Kanzlerin Angela Merkel hat kürzlich für ein verstärktes gemeinsames Vorgehen gegen die Mutationen geworben. Das ist ein erster Schritt, doch es darf nicht beim Werben bleiben. Als starkes Land in Europas Mitte sollte Deutschland mit Testkapazitäten und Sequenzierungen den schwächeren Nachbarn unter die Arme greifen. Auch Ideen, die gesundheitspolitischen Kompetenzen auf EU-Ebene zu stärken und etwa die Europäische Gesundheitsbehörde ECDC auszubauen, sind zu begrüßen. Nationale Alleingänge schaden dem Zusammenhalt Europas und seiner Glaubwürdigkeit. Das gilt auch und gerade in der Pandemie.

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