Bomben-Terror in Boston Videoüberwachung: Anschläge entfachen neue Debatte

Frankfurt/Main · Das Attentat in Boston hat die Debatte über eine Ausweitung der Videoüberwachung in Deutschland neu angefacht. Mehrere Innenminister der Union forderten eine schärfere Überwachung. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht das anders.

Hier gibt es Videoüberwachung in Mönchengladbach
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Foto: Raupold, Isabella

Bei dem Bombenattentat auf den Boston-Marathon waren am vergangenen Montag drei Menschen getötet und 176 verletzt worden. Tatverdächtig sind zwei aus Tschetschenien stammende Brüder, von denen einer bei einem Schusswechsel mit der Polizei starb und der andere festgenommen wurde. Die US-Bundespolizei hatte sich bei der Fahndung auf Videoaufnahmen gestützt. Auch in Deutschland wird derzeit heftig über das Für und Wider von Videoüberwachung diskutiert.

Pro Videoüberwachung

Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), hat ebenfalls dafür plädiert. Im privatwirtschaftlichen Bereich sei Videoüberwachung heute längst Standard, etwa an Tankstellen, Banken oder Supermärkten, sagte Bosbach dem "Kölner Stadt-Anzeiger" am Montag. "An Gefahrenschwerpunkten macht der Einsatz moderner Videotechnik auch im öffentlichen Bereich Sinn, etwa im Reiseverkehr."

Es gehe dabei aber nicht um eine flächendeckende Überwachung, betonte Bosbach. Defizite sehe er beispielsweise an Bahnhöfen: "An Bahnhöfen brauchen wir einheitlich hohe Sicherheitsstandards." Hierum müssten sich Bahn und Bundespolizei kümmern.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte sich nach dem Anschlag in Boston dafür ausgesprochen, die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen in Deutschland auszuweiten. Nach Informationen der "Welt am Sonntag" will er dafür im Bundeshaushalt 2014 mehr Mittel beantragen. Friedrich führe bereits intensive Gespräche mit der Deutschen Bahn, damit die Videoüberwachung auf Bahnhöfen verstärkt werde.

Zudem hat Friedrich Deutschlands obersten Verfassungsrichter in ungewöhnlich scharfer Form gerügt und sich eine Einmischung in die Politik verbeten. Friedrichs Attacke richtete sich offenbar gegen den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, dessen Namen er jedoch nicht nannte. Voßkuhle hatte nach dem Anschlag von Boston vor überzogenen Reaktionen gewarnt und zur Besonnenheit gemahnt.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte der "Welt" am Wochenende gesagt, in Boston hätten Videoaufnahmen wichtige Täterhinweise und schnell verfügbare Ermittlungsansätze geliefert.

Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) erklärte der "Welt", Videoaufnahmen seien nicht nur bei Terrorakten ein gutes Mittel, sondern schafften auch an Kriminalitätsschwerpunkten Sicherheit.

Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, sagte, bei großen Veranstaltungen wie Marathonläufen in Berlin, Hamburg oder München könnten sensible Abschnitte wie Start und Ziel besonders überwacht werden. Witthaut verwies allerdings darauf, dass nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts "eine Videoüberwachung nur an gefährlichen Orten erlaubt" sei.

Der Kriminologe und Vorsitzende der Deutschen Stiftung für Verbrechensverhütung und Straffälligenhilfe, Hans-Jürgen Kerner, sprach sich für eine gezielte Überwachung an besonders kritischen Punkten aus. Aufnahmen von Brennpunkten, die nach einer festgelegten Zeit wieder gelöscht würden, seien kein Eingriff in Bürgerrechte.
Eine flächendeckende Überwachung lehnte er ab. "Der Generalverdacht gegen die ganze Bevölkerung ist nicht richtig."

Kontra Videoüberwachung

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wies die Forderungen nach schärferen Sicherheitsvorkehrungen zurück. Der Anschlag von Boston sollte "nicht für eine innenpolitische Debatte instrumentalisiert werden", sagte sie der "Welt am Sonntag".

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat sich gegen allgegenwärtige Beobachtungskameras ausgesprochen. "Ich halte überhaupt nichts von flächendeckender Videoüberwachung", sagte Jäger am Rande des Deutschen Präventionstages am Montag in Bielefeld. Hintergrund der Debatte sind der Terroranschlag von Boston und die Rolle von Kameras im öffentlichen Raum.

Er sei skeptisch, ob diese Überwachung eine vorbeugende Wirkung habe, sagte Jäger. Es gebe Stellen, an denen es immer wieder zu Straftaten komme. Hier helfe die Überwachung bei der Aufklärung, die Straftaten würden aber nicht verhindert. An anderen Stellen werde die kriminelle Szene lediglich vom überwachten Ort verdrängt und treibe dann in den angrenzenden Straßen ihr Unwesen.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, erklärte in Berlin, die SPD wolle "keine totale Kontrolle öffentlicher Räume, aber Videoaufnahmen an kritischen, potenziell gefährlichen Orten, wo die Gefahr von Anschlägen besteht". Die Linken-Abgeordnete Petra Pau kritisierte, bei den Bundesinnenministern, egal ob Friedrich oder sein Vorgänger Otto Schily (SPD), liege die Forderung "auf Halde".

Der Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle warnte vor überzogenen Reaktionen. Dass nach einem Ereignis wie in Boston sofort Forderungen formuliert würden, sei Teil des politischen Geschehens, sagte er der "Welt am Sonntag". Zur Balance von Sicherheit und Freiheit gehöre aber auch, Gesetze zu überprüfen und gegebenenfalls wieder abzuschaffen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar warnte ebenfalls vor "reflexhaften Forderungen". Schließlich hätten die Videokameras in Boston die Anschläge nicht verhindert. Allerdings sei er nicht grundsätzlich gegen Video-Überwachung. Es komme aber auf die Verhältnismäßigkeit an.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, sagte dem Magazin "Focus", Videoüberwachungen könnten "abschreckend wirken und entscheidend bei der Aufklärung von Straftaten wirken". Er warnte aber auch vor zu hohen Erwartungen an eine Videoüberwachung. "Eine hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben."

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, zeigte sich besorgt, dass der versuchte Anschlag auf dem Bonner Hauptbahnhof nach mehr als vier Monaten noch immer nicht aufgeklärt sei. "Wir müssen davon ausgehen, dass ein oder mehrere Täter im Land sind, die abermals einen Versuch unternehmen und dann vielleicht eine funktionsfähige Bombe einsetzen", sagte er der "Frankfurter Rundschau" (Samstagsausgabe). Er halte es nicht für ausgeschlossen, dass sich ein solcher Anschlag in Deutschland ereigne.

Im vergangenen Dezember war in einer Reisetasche am Gleis eins des Bonner Hauptbahnhofs ein Sprengsatz entdeckt worden, der jedoch nach Erkenntnissen von Fachleuten des Bundeskriminalamt keinen Zünder enthielt.

(AFP/lnw/rtr/nbe/felt/jco)
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