Sterbehilfe Wie verfügbar Suizid-Mittel sein sollten

Analyse | Düsseldorf · Drei schwerkranke Menschen dringen darauf, Zugang zum tödlichen Mittel Natriumpentobarbital zu bekommen, um assistiert Suizid begehen zu können. Das Oberverwaltungsgericht in Münster wird ihren Antrag bald verhandeln. Was das für den Umgang mit Sterbewünschen bedeutet.

  Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital – in der Schweiz wird es zur Sterbehilfe genutzt (Symbolbild).

 Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital – in der Schweiz wird es zur Sterbehilfe genutzt (Symbolbild).

Foto: DPA

Die Diskussion über das Für und Wider einer Impfpflicht erscheint gerade als die größte ethische Herausforderung der Zeit. Dabei gibt es auch Bewegung auf einem weit sensibleren Feld. Nämlich in der Frage, wie leicht es Menschen gemacht werden sollte, assistierten Suizid zu begehen. Am 2. Februar entscheidet das Oberverwaltungsgericht in Münster über den Antrag dreier schwerkranker Menschen, die Zugang zum Betäubungsmittel Natriumpentobarbital bekommen möchten, um ihrem Leben ein Ende setzen zu können. Die zwei Kläger und eine Klägerin leiden an Erkrankungen wie Multipler Sklerose und Krebs.

Dass über ihren Fall nun in Münster verhandelt wird, ist Folge einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Das hatte 2020 bekräftigt, dass das selbstbestimmte Sterben als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen ist und hinzugefügt, dass dies auch das Recht auf Hilfe zum Suizid umfassen müsse. Das sei nicht an bestimmte Krankheiten, Schweregrade oder ein Alter gebunden.

Diese Entscheidung, die der Selbstbestimmung der Bürger einen hohen Stellenwert einräumt und viele konkreten Anwendungsfragen aufwirft, hatte vor zwei Jahren zu ethischen Debatten und Kritik etwa seitens der Kirchen geführt. Eigentlich hätte in der Folge unter anderem der Zugang zu Betäubungsmitteln für Menschen mit Suizidwunsch neu geregelt werden müssen. Das ist aber unter der alten Bundesregierung unterblieben. So landet nun die erste praktische Frage zum Umgang mit Tötungsmitteln vor einem Verwaltungsgericht. 

Für die katholische wie die evangelische Kirche bedeutet eine mögliche Liberalisierung in dieser existenziellen ethischen Frage eine Herausforderung. Traditionell verstehen Christen das Leben als Geschenk Gottes, das der Mensch nicht aus eigenem Willen zurückweisen darf. Daraus haben die beiden großen Kirchen etwa abgeleitet, dass sie sich in der Hospizbewegung und palliativen Begleitung schwerkranker Menschen stark engagieren. Betroffenen seelische Unterstützung sowie jede Hilfe der modernen Schmerztherapie zukommen zu lassen, ihnen auch bei schwerer Erkrankung die Angst vor dem Sterbeprozess zu nehmen, ist das Ziel dieser Bemühungen. Doch den Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen, war bislang aus christlicher Sicht ein Tabu. Auch, weil darin die in Deutschland aus historischen Gründen so schwer belastete Frage nach Sinn und Bewertung von Leben mitschwingt. Kritiker eines liberaleren Umgangs mit Mitteln für den Suizid fürchten, dass Leben unter Effizienzgedanken bewertet wird und schwerkranke Menschen unter Druck geraten könnten, ihrem Leben auch deswegen ein Ende setzen zu wollen, weil sie anderen „zur Last“ fallen.

Allerdings haben die neuen rechtlichen Rahmensetzungen auch in Kirchenkreisen eine neue Debatte angestoßen über die Frage, was Sterbebegleitung wirklich bedeutet. Ob sie etwa abgebrochen werden darf, wenn ein Mensch von seinem Leid so erschöpft ist, dass er es nicht mehr tragen will – und nach einem Tötungsmittel verlangt. Oder ob Seelsorge nicht gerade dann besonders gefragt ist. „Wenn das Verfassungsgericht vorgibt, dass ein Mensch sich in letzter Konsequenz auch sein Leben nehmen können darf, muss der Staat Betroffenen auch die Mittel zur Verfügung stellen, damit das in Würde und ohne zusätzliches Leid geschehen kann“, sagt der Rechtswissenschaftler Jacob Joussen, der auch Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Für die Seelsorge bedeutet das aus seiner Sicht, dass die Kirchen weiterhin alles dafür tun sollten, Menschen so zu begleiten, dass sie den letzten Ausweg Suizid nicht benötigen. „Wenn diese Angebote einen Menschen aber irgendwann nicht mehr erreichen, wenn er schlicht nicht mehr kann und nicht länger palliativ versorgt werden will, dann darf sich Kirche nicht zurückziehen“, sagt Joussen. Er glaubt, dass zu christlicher Sterbebegleitung auch gehören sollte, diesen letzten Schritt mit sterbenden Menschen zu gehen.

Konkret könnte dies bedeuten, dass christliche Einrichtungen Sterbehelfern den Zugang in ihre Häuser erlauben. Ob es Seelsorgern in letzter Konsequenz sogar selbst erlaubt werden sollte, ein entsprechendes Mittel weiterzugeben, ist höchst umstritten. Die aus Münster erwartete Entscheidung über den Zugang zu Betäubungsmitteln dürfte diese Debatte erneut entfachen.

Dabei gibt es auch Stimmen, die den Status quo für ausreichend halten – praktisch wie ethisch. „Der Palliativmedizin stehen genug Mittel zur Verfügung, um Menschen in Würde und nahezu ohne Schmerzen oder belastende Symptome in den Tod zu begleiten“, sagt etwa der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Heiner Melching. Es bedürfe keines neuen Mittels wie Natriumpentobarbital und auch keiner neuen Bestimmungen zur Zugänglichkeit. Schon jetzt werde bei sterbenskranken Menschen auf deren Wunsch Betäubungsmittel eingesetzt, bei denen klar sei, dass sie das Leben verkürzen können. „Dieses In-Kauf-nehmen ist aber ethisch etwas ganz anderes, als Mittel zu verabreichen, damit Menschen sterben“, sagt Melching. Auch für Sterbebegleiter sei es ein eklatanter Unterschied, ob das Ziel ihres Handelns Leidlinderung sei oder der Tod eines Patienten.

„Ein assistierter Suizid ist nur denkbar nach einer intensiven Beratung und seelsorglichen Begleitung“, sagt Isolde Karle, Professorin für Praktische Theologie an der Ruhr-Uni Bochum. Grundsätzlich sei es aber ein guter Schritt, dass Schwerkranke auch in Deutschland nun die Möglichkeit bekommen, im äußersten Grenzfall einen assistierten Suizid in Anspruch zu nehmen. „Manche Menschen mit starkem Sterbewunsch sind sehr einsam“, sagt Karle, darum sei Beratung und Begleitung so essenziell. Und darum sei es auch gut, dass das Thema durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 nun aus der Tabuzone trete. „Wenn wir beginnen, offener über Sterbewünsche zu sprechen, kann man in den meisten Fällen durch Beratung und gezielte Maßnahmen zum Leben verhelfen. In seltenen Fällen aber auch nicht, und dann muss man das auch akzeptieren“, sagt Karle. Selbst die Palliativmedizin stoße manchmal an ihre Grenzen und könne nicht immer Schmerzen in der gewünschten Weise lindern. Das wissen auch Verantwortliche, die in Hospizen arbeiten. Allein das Wissen darum, im äußersten Notfall Suizidhilfe bekommen zu können, nehme vielen Schwerkranken die Angst. „Ich kann für mich selbst bestimmen, was ich aushalten kann“, sagt Karle, „ich kann das aber nicht für einen anderen festlegen, darum ist es aus meiner Sicht nicht legitim, einen assistierten Suizid grundsätzlich zu verhindern. Das zu tun wäre nicht christlich, sondern paternalistisch.“

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