Kanzlerin in Tirol Euro-Krise kennt keinen Sommerurlaub

Berlin/Sölden · Die Kanzlerin im Urlaub in Tirol. Der Finanzminister auf Sylt. Doch richtige Ferienstimmung dürfte in der politischen Spitze Berlins kaum aufkommen. Die Euro-Krise ist zu dramatisch.

Aus dem Reisetagebuch der Kanzlerin
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Besonders zufrieden sieht Angela Merkel nicht gerade aus, als sie am Samstagnachmittag etwas entspannen will. Im hellbraunen Blazer zur weißen Hose steht die urlaubende Kanzlerin vor einem Café im Tiroler Ferienort Sölden, als der Fotograf auf den Auslöser drückt. Ehemann Joachim Sauer ist nicht zu sehen.

Die Laune Merkels mag am eher trüben Wetter gelegen haben - für Sonntag und die nächsten Tage waren Schauer und Gewitter vorausgesagt. Doch die Stimmung könnte auch mit dem wichtigsten Sommerthema 2012 zusammenhängen: der sich zuspitzenden Eurokrise.

Krise lässt Sommerloch nicht zu

Ob die Kanzlerin in ihrer dunkelroten Handtasche lockere Urlaubslektüre oder neue Brandbriefe zum Euro dabei hatte, ist nicht überliefert. Sicher ist aber: Die Krise der Gemeinschaftswährung lässt ein tiefes Sommerloch für Merkel, ihre Regierungsmannschaft und das politische Berlin kaum zu.

Erst am Freitag musste die Kanzlerin im Urlaub wegen der dramatischen Entwicklung um Spanien, Italien und Griechenland zum Telefon greifen. Der französische Präsident François Hollande hatte kurzfristig um ein Gespräch gebeten. Anschließend rückten die Konservative und der Sozialist öffentlich zusammen - dabei hatte der Franzose die Deutsche noch beim EU-Gipfel Ende Juni ordentlich unter Druck gesetzt.

"Deutschland und Frankreich sind der Integrität der Eurozone zutiefst verpflichtet. Sie sind entschlossen, alles zu tun, um die Eurozone zu schützen", ließen Merkel und Hollande nun gemeinsam verbreiten. In Berlin bemühten sie sich dann, Spekulationen über einen nun möglicherweise folgenden neuen Geldsegen aus Deutschland zu zerstreuen: Rasche finanzwirksame Entscheidungen seien nicht vorgesehen, hieß es schnell.

Hintergrund: Mindestens bis zum 12. September, an dem das Bundesverfassungsgericht über die Vereinbarkeit von Fiskalpakt und Euro-Rettungsschirm ESM mit dem Grundgesetz entscheiden will, soll es möglichst keine weitreichenden Weichenstellungen geben. Und sagen die Richter dann tatsächlich Nein zum international vereinbarten ESM, muss nochmal ganz neu über die Rettung von Krisenländern nachgedacht werden. Der Druck auf die Kanzlerin würde weiter steigen.

Spanier fordern mehr Solidarität

Auch am Wochenende mussten sich Merkel & Co. Vorwürfe gefallen lassen. Spaniens EU-Minister Íñigo Méndez de Vigo forderte die Deutschen via "Bild"-Zeitung zu mehr Solidarität in der Euro-Krise auf - mit einer besonderen Begründung: "Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland in einer weitaus schwierigeren Situation auch sehr geholfen, viele Länder haben auf Geld zugunsten Deutschlands verzichtet. Das sollte Deutschland nicht vergessen."

Nur hinter vorgehaltener Hand hieß es dazu aus der Umgebung der politischen Spitzen in Berlin, es gebe gar keinen Anlass, irgendetwas aufzurechnen. Offensichtlich habe mancher in Europa den Eindruck, in Deutschland stehe ein großer Geldsack, aus dem sich jeder bedienen könne. Das Gegenteil sei der Fall: Erst vergangene Woche hatte die US-Ratingagentur Moody's Alarm geschlagen und vor einer Überlastung gewarnt. Nicht umsonst warnt Merkel immer öfter: Auch Deutschlands Finanz- und Wirtschaftskraft ist nicht unerschöpflich.

Schon an diesem Montag muss der zweitwichtigste deutsche Akteur in der Eurokrise seinen Urlaub unterbrechen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bekommt auf seiner Urlaubsinsel Sylt Besuch von US-Finanzminister Timothy Geithner. Natürlich stehen die Finanz- und Wirtschaftslage in Europa und der Welt im Mittelpunkt. Auch die Debatte über neue Hilfsprogramme wird kaum ausgespart bleiben.

Immerhin: Ein veritables Sommertheater ist der Bundesregierung in diesem Juli bisher erspart geblieben. Doch das muss nicht so bleiben. In den Drohungen von CSU-Chef Horst Seehofer mit Koalitionsbruch wird ein realer Kern wahrgenommen. Und die Feststellung seines Finanzministers Markus Söder, zum Austritt Athens aus dem Euro gebe es keine Alternative, könnte nur ein Vorgeschmack dessen sein, was bei Griechenland noch droht.

Wenig Vertrauen in Euro

Merkel weiß: Der Unmut in den Regierungsfraktionen ist bei diesem Thema groß. Und auch viele Bürger haben nur noch wenig Vertrauen in den Euro, das zeigt eine aktuelle Umfrage. Da dürfte also noch viel Überzeugungsarbeit der Kanzlerin nötig sein.

Auch die innerkoalitionären Streitthemen sind bei weitem nicht beigelegt. Betreuungsgeld, Vorratsdaten, Finanztransaktionssteuer, Energiewende - alles nicht ausgestanden. Und FDP-Chef Philipp Rösler kämpft weiter ums politische Überleben. Ein weiteres Folterinstrument für Merkel zeigte die FDP am Sonntag schonmal vor: Bei der nächsten Sitzung des Koalitionsausschusses wollen die Freidemokraten mal wieder die Abschaffung der Praxisgebühr verlangen. Die Kanzlerin dürfte die Augen verdrehen: Ihre Union ist strikt dagegen.

(dpa)
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