Wieder mehr Ältere betroffen Corona-Infektionen schießen nach oben – Debatte um Ende des Ausnahmezustands

Berlin · Die Corona-Fallzahlen steigen wieder deutlich an. Laut SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wird die vierte Welle weiter rollen. Intensivärzte schlagen Alarm, doch Gesundheitsminister Jens Spahn will den Ausnahmezustand beenden. Es gibt auch führende Ärzte, die das unterstützen.

 Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Foto: dpa/Michael Kappeler

Kassenärzte-Chef Andreas Gassen hat den lockeren Corona-Kurs von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unterstützt. „Die Ankündigung von Minister Spahn, die epidemische Lage nationaler Tragweite auslaufen zu lassen, ist letztlich folgerichtig“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) unserer Redaktion. „Das bedeutet auch nicht das sofortige Ende aller Maßnahmen. Wir werden aber erleben, dass es regional unterschiedliche Herangehensweisen geben wird, die natürlich auch von regionalen Faktoren wie Impfquote, Infektionszahlen, Altersverteilung und Krankenhausbelegungen abhängig sind“, sagte Gassen. „Dass Infektionsraten im Herbst und Winter ansteigen, war zu erwarten und ist nicht nur bei Coronaviren so.“

Die Corona-Fallzahlen sind allerdings in den vergangenen Wochen deutlich gestiegen. Sie könnten nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) weiter dynamisch anwachsen. „Es ist damit zu rechnen, dass sich im weiteren Verlauf des Herbstes und Winters der Anstieg der Fallzahlen noch beschleunigen wird“, schreibt das Institut in seinem neuen Wochenbericht zur Pandemie.

Die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland steigt derzeit rasch an. Das RKI gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Freitag mit 95,1 an. Er hat damit erstmals seit Mitte Mai die 90 wieder überschritten. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 19.572 Neuinfektionen. Vor einer Woche hatte der Wert bei 11.518 Ansteckungen gelegen.

„Erwachsene sollten sich daher impfen lassen“, mahnte KBV-Chef Gassen wegen der hohen Inzidenzwerte. „Ab einem bestimmten Punkt und einer ausreichenden Vorlaufzeit können wir dann dazu übergehen, die notwendigen Schutz- und Abwehrmaßnahmen in die Hände der Bürger zu legen“, erklärte er jedoch. Die offizielle Impfquote bei den Doppeltimpfungen liegt bei 66,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. Laut RKI liegt die tatsächliche Quote wegen Meldeverzögerungen jedoch deutlich höher.

Gesundheitsminister Spahn hatte zuvor dafür plädiert, die Corona-Ausnahmesituation zu beenden, die Grundlage dafür ist, dass die Länder Corona-Einschränkungen verhängen können. Ein Sprecher Spahns sagte am Freitag, dass damit aber nie gemeint gewesen sei, dass die Pandemie damit ende. Es gebe über die Änderung des Infektionsschutzgesetzes oder Länderregelungen auch die Möglichkeit, wichtige Einschränkungen wie die Maskenpflicht oder Abstands-Regeln weiter festzuschreiben. Es sei am neuen Bundestag, hier eine Entscheidung zu treffen.

Eine Ursache für die wieder steigende Zahl an Todesfällen dürfte sein, dass das RKI auch wieder eine steigende Zahl an Infektionen bei älteren Menschen registriert. Insgesamt zählte das RKI bislang 94.991 Todesfälle in Verbindung mit dem Corona-Virus. Die Hospitalisierungsrate gab das RKI am Freitag mit 2,68 an, Tendenz steigend. Sie gibt an, wie viele Menschen innerhalb einer Woche auf 100.000 Personen gerechnet mit einer Corona-Erkrankung in Krankenhäuser eingewiesen werden. Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit 2020 bei mehr als 15.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach twitterte am Freitag: „Die vierte Welle wird weitergehen.“ Es fehle an einer systematischen Booster-Impfungs-Kampagne. Man müsse die Ungeimpften gezielt ansprechen. „Insbesondere auch Menschen mit Migrationshintergrund haben wir noch nicht genug erreicht, ist mein Eindruck“, so Lauterbach. Auch Intensivmediziner schlagen Alarm, weil wegen des fehlenden Pflegepersonals viele Intensivbetten nicht mehr betrieben werden können.

(dpa/rtr/mar)
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