Union im Süden Seehofer und Oettinger schwach wie nie

München/Stuttgart (RP). Die konsternierte CSU-Spitze war gestern auffallend bemüht, eine Debatte über die politische Führungskunst ihres Vorsitzenden Horst Seehofer im Keim zu ersticken. Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter stellte im Gespräch mit unserer Redaktion fest, dass das schlechte Wahlergebnis der CSU eine Quittung für realitätsferne Politik sei.

 Der Passauer Politikwissenschaftler und Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Heinrich Oberreuter.

Der Passauer Politikwissenschaftler und Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Heinrich Oberreuter.

Foto: DDP

Oberreuter sprach wohl für viele Christsoziale, als er im Gespräch mit unserer Redaktion feststellte: "Das schlechte Bundestagswahlergebnis der CSU in Bayern ist die Quittung dafür, dass die Partei immer noch nicht die Realität eines gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesses zur Kenntnis genommen hat."

Auch Bayern ändere sich hin zu mehr Individualisierung, weg von Begeisterung für weiß-blaue Folklore. Ohne den Namen des Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Seehofer zu nennen, fuhr Oberreuter, einer der besten Kenner der bayerischen Unionspartei, kritisch fort: "Die Strategie gegen die FDP war ein Schuss in den Kamin, und diejenige gegen die CDU war es auch." Außerdem habe die Parteiführung die FDP durch permanente Angriffe erst richtig stark gemacht. Viele frustrierte Anhänger der CSU hätten in den vergangenen Monaten keine einheitliche politische Linie mehr wahrnehmen können. Die CSU-Spitze habe oft heute dies und morgen das gesagt.

Natürlich sei die CSU in ihrer künftigen Rolle in Berlin geschwächt. Die Hinweise darauf, dass man am vergangenen Sonntag sämtliche Direktmandate gewonnen habe, seien zwar richtig, aber letztlich Beruhigungspillen. Die CSU sei gut beraten, ihre gegenwärtige Verdrängungs-Strategie aufzugeben. Der Absturz in der Wählergunst habe sich schließlich bereits im März 2008 bei den Kommunalwahlen in Bayern gezeigt und bei der Landtagswahl sechs Monate später fortgesetzt. Das vergleichsweise gute Abschneiden bei der Europawahl im Juni dieses Jahres sei ein "Ausreißer" und keine wirkliche Erholung gewesen.
Oberreuter sprach sich gegen eine CSU-"Palastrevolution" Zu Lasten Seehofers und dessen Parteigeneralsekretärs Alexander Dobrindt aus. Immerhin habe die "Vorsitzenden-Verschleiß- und Abschussrate" ihre Grenzen.

Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier (Tochter der CSU-Legende Franz Josef Strauß) kritisierte wie Oberreuter den Eindruck mangelnde Stetigkeit und Glaubwürdigkeit. Hohlmeier meinte gegenüber unserer Redaktion: "Wie lange haben wir beispielsweise Entlastungen für den Mittelstand gefordert, sie dann aber, bis auf Ausnahmen, in der großen Koalition nicht gegen die SPD verwirklichen können?" Die CSU müsse in der künftigen Bundesregierung durchsetzen, was sie im Wahlkampf angekündigt habe: Steuererleichterungen." Auch die Strauß-Tochter wandte sich gegen Personaldiskussionen über Seehofer; sie kritisierte dessen massive FDP-Schelte im Wahlkampf. Das sei als bloße Wahlkampf-Taktik verstanden worden.

Immer wieder fiel im Gespräch mit Hohlmeier und Oberreuter der Name des CSU-Stars Karl-Theodor zu Guttenberg. Hohlmeier sagte, der Wirtschaftsminister und CSU-Bezirkschef Oberfranken habe das Zeug dazu, ein exzellenter Bundesfinanzminister zu werden. Andere CSU-Politiker forderten eine starke Rolle Guttenbergs bei den Koalitionsverhandlungen. Der in die Kritik geratete Seehofer kündigte nach einer CSU-Vorstandssitzung mit 31 Wortmeldungen selbstkritisch und nachdenklich wirkend eine "eingehende und tiefe Analyse" der Wahlverluste, "und zwar mit der gesamten Partei", an.

Seehofer zählt zusammen mit Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger (CDU) zu den Verlierern des Wahlsonntags. Der einst so starke Süden bzw. Südwesten war für die Unionsparteien insgesamt eine große Enttäuschung. Die Südwest-CDU kam nur auf 34,4 Prozent, gewann aber, mit Ausnahme Freiburgs, alle Direktmandate. Stuttgarter CDU-Kreise verlangten gestern ein wesentlich schärferes bürgerlich-konservatives Profil der Partei. Anderenfalls werde der im Südwesten traditionell starke selbständige Mittelstand noch mehr Richtung FDP gehen.

(RP)
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