Interview mit Frank Baranowski „Der Wahlschock ist im November überwunden”

Gelsenkirchen (RP). Im Interview mit unserer Redaktion äußerte sich Frank Baranowski, OB von Gelsenkirchen und Chef der Ruhr-SPD, zur Wahlniederlage der SPD bei der Bundestagswahl. Baranowski sprach über die Zukunft von Franz Müntefering, den Fehlern der SPD, den Chancen von Hannelore Kraft bei der Landtagswahl in NRW und zu seinen eigenen Ambitionen.

 Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD).

Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD).

Foto: DDP


Soll Franz Müntefering Parteichef bleiben?
Baranowski: Franz Müntefering steht weiter zur Verfügung. Er ist keiner, der wegläuft, wenn es schwierig wird. Das sind Qualitäten, die wir auch in Zukunft brauchen werden, denn der Prozess der Neuaufstellung muss organisiert werden und wird Zeit in Anspruch nehmen.

Wie lange benötigt die SPD, um sich von dem Wahlschock zu erholen?
Baranowski: Ich bin zuversichtlich, dass der akute Schock zum Parteitag im November überwunden sein wird. Der notwendige Erneuerungsprozess wird aber deutlich länger brauchen. Bis Herbst 2011 gibt es sieben Landtagswahlen. Bis dahin werden wir neue Stärke erreichen können.

Die NRW-SPD soll sich in Berlin stärker einbringen ­ ist das das Ende des wirtschaftsfreundlichen Kurses von Peer Steinbrück?
Baranowski: Peer Steinbrück zur Person steht für die wirtschaftspolitische Kompetenz der SPD. Eine Anerkennung, für die die SPD lange hat kämpfen müssen. Seine Reputation hat internationales Niveau. Man darf Kompetenz in Sachen Wirtschaft aber nicht mit Wirtschaftsfreundlichkeit gleichsetzen. Steinbrück ist Vorkämpfer für die Begrenzung der Managergehälter, für eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte und für eine Börsenumsatzsteuer. Und seine Erfolge im Kampf gegen Steuerflucht sind beachtlich.

Auf welche Positionen sollte sich die SPD besinnen?
Baranowski: Meines Erachtens muss Gerechtigkeit stärker in den Fokus unserer Politik treten. Wenn die Leute glauben, dass es in unserem Land nicht mehr gerecht zugeht, dann ist das gefährlich für die Gesellschaft und für die Demokratie. Im Selbstbewusstsein der SPD ist es selbstverständlich, dass wir für die soziale Demokratie stehen. Aber vielleicht müssen wir das nach außen hin stärker vermitteln. Ungerechtigkeit erleben die Menschen bei uns täglich beim Zugang zu Bildung und bei der Verteilung der Einkommen.

Ist das Thema Verteilungsgerechtigkeit vernachlässigt worden?
Baranowski: Wenn man sich die Statistiken anschaut: eindeutig ja. Die Einkommens- und Vermögensverteilung ist aus dem Lot geraten und die Schere öffnet sich immer weiter.

Ist die Landtagswahl in NRW schon gelaufen?
Baranowski: Die Chancen stehen nicht so schlecht für die Landtagswahl im Mai. NRW ist noch immer ein gefühlt sozialdemokratisches Land, das weiß auch Herr Dr. Rüttgers. Es wird ihm nur jetzt schwerer fallen, das wahre Gesicht seiner CDU/FDP-Regierung zu verscheleiern. Schwarz-gelb im Bund wird den Menschen ein Stück weit die Augen öffnen, gerade hier in NRW. Es wäre nicht das erste Mal, dass das Wahlpendel nach einem Ausschlag zu der einen Seite dann wieder zur anderen zurückschlägt.

Wie stehen Sie zu einer Zusammenarbeit mit den Linken?
Baranowski: Mit den Linken gilt, was bisher galt. Im Bund ist die Schnittmenge zu klein. Und in den Ländern ist es eine Frage, welche Gemeinsamkeiten es gibt. Diese zu beurteilen fällt in NRW schwer, denn bisher sind landespolitische Positionen der Linken nicht bekannt.

Wird es in NRW einen Lagerwahlkampf geben?
Baranowski: Um Prognosen über die Formationen im Wahlkampf abzugeben ist es jetzt ein bisschen früh. Das hängt ja auch davon ab, wie sich die andere Seite aufstellt.

Mit welchen Themen kann Hannelore Kraft gegen Jürgen Rüttgers punkten?
Baranowski: Die Union macht vor allem zwei Fehler: Aus ideologischen Gründen weigert sie sich, mehr für Bildungsgerechtigkeit zu tun. Ihr zwanghaftes Festhalten an veralteten Strukturen wird sie einholen. Und die Union macht Politik auf Kosten der Kommunen. Spätestens wenn die ersten Städte bankrott melden müssen wird deutlich werden, welches Spiel von falschen Versprechungen und Rechentricks da gelaufen ist. In beiden Feldern ist die NRW-SPD gut aufgestellt. Beide Themen hat Hannelore Kraft auf ihrere Agenda.

Wenn Kraft zusätzliche Aufgaben in Berlin übernimmt: Werden Sie dann in der NRW-SPD eine wichtigere Rolle übernehmen?
Baranowski: Hannelore Kraft kann ihre Erfahrung in den Prozess der Neupositionierung einbringen. Wir in NRW mussten diese Erfahrung ja leider schon machen. In NRW wird dadurch aber keine Lücke entstehen, da sollte sich niemand falsche Hoffnungen machen. Und ich selbst suche gerade keine andere Tätigkeit ­ mein Arbeitsvertrag wurde vor gerade einmal vier Wochen mit fast 64 Prozent für sechs Jahre verlängert.

Gerhard Voogt führte das Interview

(RP)
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