SPD-Bundesparteitag in Berlin Bühne frei für die SPD-Troika

Berlin · Der Parteitag der SPD an diesem Wochenende wird vom Schaulaufen der möglichen Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier bestimmt. Die drei Spitzengenossen haben eine klare Arbeitsverteilung vereinbart, die möglichst bis Ende 2012 halten soll. Wer Kanzlerin Merkel herausfordern darf, soll so spät wie möglich entschieden werden. Einen Fingerzeig könnte die Partei mit einer Entscheidung im Streit um die Steuerpolitik geben.

Sigmar Gabriels langer Weg an die Spitze
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Irgendwann im Sommer saßen die drei Alphatiere der SPD bei einem Glas Rotwein in einem Berliner Restaurant zusammen. Peer Steinbrück, der Ex-Finanzminister, Frank-Walter Steinmeier, der Chef der SPD-Bundestagsfraktion und Sigmar Gabriel, der Parteivorsitzende. Steinbrück hatte etwas anzukündigen. Er werde im Herbst ein Buch mit SPD-Altkanzler Helmut Schmidt veröffentlichen, in dem sich der Altkanzler indirekt auch für ihn, Steinbrück, als möglichen Kanzlerkandidaten aussprechen werde. Das sollten seine beiden Kontrahenten wissen, fand Steinbrück.

Immerhin könnte es einigen medialen Auftrieb geben. Gabriel und Steinmeier schmunzelten. Und akzeptierten. Als es im November dieses Jahres so weit war und Peer Steinbrück erst eine Lobeshymne von Helmut Schmidt auf der TV-Couch von Günther Jauch erleben durfte und schließlich im "Spiegel" und der "Zeit" in großen Interviews den Ritterschlag des Altkanzlers entgegennahm, waren Steinmeier und Gabriel dann doch etwas irritiert. Einen solchen Steinbrück-Hype hatten sie nicht erwartet.

Doch die SPD-Troika gibt sich bis heute alle Mühe, einen Riss zwischen den potentiellen Kanzlerkandidaten der SPD nicht erkennen zu lassen. SPD-Chef Sigmar Gabriel betont unentwegt, dass ihn die Beliebtheit Steinbrücks erfreue und dass ihm lieber ist, dass über drei mögliche Kanzlerkandidaten geredet werde als über keinen. Dass Steinbrück auf dem an diesem Sonntag beginnenden Parteitag ebenfalls eine zentrale Rede halten soll, obwohl er im Gegensatz zu Gabriel und Steinmeier kein formales Amt inne hat, war immerhin Gabriels Idee.

Fast täglich Telefonate

Frank-Walter Steinmeier gibt sich ebenfalls gelassen, betont seine persönliche Freundschaft zu Steinbrück und lässt sich, was seine eigenen Ambitionen betrifft, nicht in die Karten schauen. Das Trio trifft sich fast wöchentlich zum Austausch, man telefoniert manchmal mehrfach täglich und müht sich, Termine aufeinander abzustimmen.

In der Tat haben die Spitzengenossen eine Arbeitsteilung gefunden, die sich auch an den unterschiedlichen Charakteren ablesen lässt.

Der Parteiwerker Sigmar Gabriel ist der Herr des Verfahrens. Als Parteichef hat er das Erstzugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur. Gabriel dürfte der umjubelte Star des Parteitags sein. Denn in der großen Krise der Sozialdemokratie nach der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl 2009 war es der 52-jährige Lehrer aus Niedersachsen, der sich bereiterklärte, die Scherben zusammenzutragen. Seitdem hat Gabriel einiges geschafft.

Das Selbstbewusstsein hat er der Partei zurückgegeben und die SPD gleichzeitig nach außen geöffnet. Ein neues Vertrauensverhältnis zu den Gewerkschaften hat Gabriel durch sanfte Korrekturen der Agenda 2010 geschaffen, Dutzende Termine mit Wirtschaftsführern, Bloggern, Umweltaktivisten wurden initiiert, eine Öffnung zu den Migranten vollzogen. Sogar eine Migrantenquote gibt es jetzt in der SPD. Und eine Parteireform, die Nicht-Mitglieder stärker an die Partei bindet, auch wenn Gabriel nicht alle Ideen umsetzen konnte.

Gute Bilanz für Gabriel

Sieht man von der Rastlosigkeit ab, mit der Gabriel immer wieder neue Themen zirkuliert und seine Leute gelegentlich überfordert und der fehlgeschlagene Rauswurf Thilo Sarrazins aus der Partei, ist die Bilanz des SPD-Chefs nach zwei Jahren im Amt gut. In der Euro-Krise hat der frühere Umweltminister Gabriel seine Partei auf einen strikten Pro-Europa-Kurs getrimmt und Kanzlerin Merkel mehrfach verantwortlich eine Kooperation angeboten, wo eine populistische Gegenwehr möglich gewesen wäre. Zu den Grünen hält Gabriel über den Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin einen engen Draht. Die SPD-Delegierten werden ihrem Parteichef die interne Aufbauarbeit jedenfalls danken und ihn am Montag wohl mit einem ansprechenden Ergebnis wiederwählen.

Gabriels Rolle in der K-Frage ist sodann stärker denn je. Hinzu kommt, dass im Frühjahr 2013 in Gabriels Heimatland Niedersachsen eine Landtagswahl ansteht, bei der die SPD nicht ohne Chance ist und die Gabriel Rückenwind verschaffen könnte. Dass die SPD in Mainz, Stuttgart und Hamburg in die Landesregierung kam oder die Regierung halten konnte, ist trotz teilweise schlechter Ergebnisse ein sichtbarer Erfolg. Im Bundesrat dominiert inzwischen wieder die SPD.

Ob sich Sigmar Gabriel aber selbst auf den Thron hebt, ist fraglich. Zu oft hat der Germanist, der einst in der Erwachsenenbildung arbeitete, erklärt, dass er als Vorsitzender dienen wolle, Demut der Partei und ihren Spitzenrepräsentanten gut tue und man auch mal zurücktreten muss, wenn ein anderer bessere Chancen hat. Nicht unwahrscheinlich also, dass Gabriel Steinmeier oder Steinbrück in der K-Frage den Vortritt lässt. Dann allerdings, so viel ist klar, wird Gabriel den Partei- und den Fraktionsvorsitz für sich beanspruchen. Gabriel wäre dann Kanzler- (oder Vizekanzler-)macher und uneingeschränkt an der Spitze der Partei.

Der Staatsmann Frank-Walter Steinmeier hat nach anfänglichen Schwierigkeiten den Job des Fraktionsvorsitzenden gut im Griff. Nach der herben Wahlschlappe 2009, die Steinmeier als Kanzlerkandidat wesentlich mit zu verantworten hat, beobachteten die Genossen im Parlament gelegentlich einen abwesend und gekränkt wirkenden Fraktionschef. Das hat sich nach einem halben Jahr gebessert. Aggressive, humorvolle Reden im Bundestag, geschicktes Austarieren der Wünsche der unterschiedlichen Gruppen in der Fraktion. Und vor allem eine Fairness, die ihm kaum ein Abgeordneter abspricht.

Frank-Walter Steinmeier hat sich Akzeptanz der Abgeordneten erarbeitet. Und in seinem Umfeld ist der Wille groß, dass er 2013 mit einer Kanzlerkandidatur seine Scharte von 2009 wettmachen soll. Er selbst scheint noch nicht recht entschieden, abgeneigt ist er jedenfalls nicht. Wer den langjährigen Verwaltungsexperten fragt, ob er sich denn überhaupt einen monatelangen Wahlkampf antun wolle, erntet ungläubiges Staunen. Ja, warum denn nicht?

Geschickt hat sich der Wirtschaftsmann Steinmeier, der wie kaum ein anderer Genosse exzellente Kontakte zu konservativen Kräften in dieser Republik vorweisen kann, die Zuneigung führender Parteilinker gesichert. Bevor die SPD-Linke den gelegentlich überzogen selbstbewusst auftretenden Peer Steinbrück zum Kandidaten wählt, könnte sie sich mit Steinmeier arrangieren. Das ist seine Chance.

Der Finanz-Guru Peer Steinbrück ist der unumstrittene Finanzexperte der Troika. Inmitten einer historischen Euro-Krise ist das keine schlechte Ausgangsposition für die Kanzlerkandidatur. Viele Genossen sind sich sicher, dass Sigmar Gabriel an Steinbrück nicht vorbeikommt, wenn Ende 2012 oder Anfang 2013 die europäische Schuldenkrise immer noch die Schlagzeilen bestimmt. Das Krisenmanagement des Ex-Finanzministers in der Finanzkrise ist legendär und wird international geschätzt.

Steinbrück traut sich nicht nur selbst das Kanzleramt zu. Auch im Umfeld von Bundeskanzlerin Merkel wird der Ökonom mit der hanseatisch-schnoddrigen Art als gefährlichster Gegner ausgemacht. Steinbrück gilt als der Kandidat, der am meisten bürgerliche Stimmen einfangen kann. Je nach Umfrage nennen 40 bis 50 Prozent der Deutschen Peer Steinbrück als ihren liebsten Politiker.

Das Problem ist nur: Die Partei wählt den Kandidaten, nicht das Volk. Und die SPD ringt immer noch mit dem Mann, der so gerne sagt, was er denkt. Vor allem wenn es gegen die eigene Partei geht, deren Funktionären Peer Steinbrück Binnenfixierung und Larmoyanz vorwirft (Stichwort: "Heulsusen"). In der Partei fragen sich manche auch, ob ein finanzpolitisch versierter Kandidat Steinbrück als Kanzler auch gesellschaftspolitische Themen beackern kann. "Ich kann mir Peer nicht als Moderator einer Integrationsrunde im Kanzleramt vorstellen", lästert ein SPD-Vorstandsmitglied.

Bei Themen wie Umweltpolitik, Migration, Innere Sicherheit oder Sozialpolitik habe man in den vergangenen Jahren wenig vom populären SPD-Mann gehört. Vor allem aus der Parteilinken werden diese Ressentiments gestreut, um den Kandidaten Steinbrück vielleicht doch noch zu verhindern. In der Steuerpolitik droht an diesem Wochenende eine Vorentscheidung. Sollte sich die Parteilinke mit ihrem Antrag, den Spitzensteuersatz über die geplanten 49 Prozent hinaus zu erhöhen, durchsetzen, wäre das eine Ohrfeige für Steinbück. Der hat sich am lautesten gegen eine weitere Anhebung gewehrt und würde dies als Kandidat wohl auch nicht mittragen.

Kraft sieht mehr als drei Kandidaten

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, bringt dagegen mehr als drei zusätzliche Bewerber für die Kanzlerkandidatur ihrer Partei ins Gespräch. "Jeder sozialdemokratische Regierungschef in den Ländern hat die nötige politische Erfahrung, um ein solches Amt auskleiden zu können", sagte Kraft der "Welt". Kraft schloss für sich indes eine Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl aus.

Fazit: drei taugliche Kandidaten

Die SPD hat drei taugliche Kandidaten, die Angela Merkel das Leben schwer machen können. Am Ende wird Parteichef Gabriel Person, Programm und Popularität so gewichten müssen, dass die SPD eine echte Kanzleralternative zu der international angesehenen Regierungschefin anbietet, die auch im bürgerlichen Milieu Wähler anzieht. Es bleibt dabei, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden. Nach Lage der Dinge kann dann nur einer der "Stones", Steinbrück oder Steinmeier, Herausforderer werden. Sigmar Gabriel schreckt immer noch zu viele Leute im Land ab und ihm fehlt die Aura des verlässlichen Staatsmanns. Sollte die Euro-Krise Bestand haben, kann allerdings nur Peer Steinbrück der Kandidat sein. So viel weiß wohl auch Gabriel. Die Parteilinke wird dann in den sauren Apfel beißen müssen. Und sich bei einem möglichen Wahlsieg reihenweise Ressorts und Posten aushandeln wollen.

(felt/csr)
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