Bundeskanzlerin isoliert Europa hat genug vom Merkelismus

Jahrelang kam in Europa niemand an Angela Merkel vorbei. Sie war die Krisenmanagerin, die Führungsrolle fiel ihr wie von selbst zu. Das ist vorbei: Die Kanzlerin ist isoliert. Das Warten auf ihren Nachfolger hat begonnen.

 Angela Merkel (am Mittwoch im Bundskanzleramt).

Angela Merkel (am Mittwoch im Bundskanzleramt).

Foto: dpa/Michael Kappeler

Man kann Angela Merkel sicher vieles nachsagen, aber gewiss nicht, dass sie eitel sei. Und so weiß man nicht, ob sie sich insgeheim doch geschmeichelt fühlte, als sie im vergangenen Jahr zum siebten Mal in Folge vom „Forbes“-Magazin zur mächtigsten Frau der Welt gekürt wurde. Und genauso wenig weiß man, wie sie den Abstieg verkraftet, den sie seither erlebt - von der unbestrittenen Führerin Europas zum Problemfall der EU. Das mag hart klingen, aber so ist es: In Deutschland mag Merkels Macht bisher nur bröckeln; auf europäischer Ebene hat sie sie schon verloren.

Das hat viel mit den veränderten Umständen zu tun. Als die EU vor zehn Jahren in den Strudel der Finanzkrise geriet und der Euro in Gefahr war, hatten die Wünsche der Kanzlerin praktisch Befehlsgewalt. Nicht, weil alle EU-Partner Merkels Plan für so überzeugend gehalten hätten. Sondern, ganz banal, weil Deutschland die größte Kasse hat. In der Krise ließ sich keine Politik gegen Deutschland machen, und zähneknirschend fügten sich insbesondere die geplagten Südländer der EU einem Schicksal, das sie jedoch als herzloses deutsches Diktat empfanden. In der Sache war Merkels harter Spar- und Sanierungskurs gerechtfertigt, aber sie tat zu wenig, um ihn zu erklären. Sie wirkte kalt, arrogant, selbstgerecht. Ein Eindruck, der bis heute mächtig ist und den Populisten von Griechenland bis Italien erfolgreich ausschlachten.

Merkel-Deutschland, das ist von außen betrachtet ein ökonomisch auch auf Kosten seiner Nachbarn unverschämt erfolgreicher Staat, der sich daran gewöhnt hat, seinen Willen allen anderen aufzuzwingen. Gewiss, das ist eine Karikatur, aber es ist politisch fahrlässig, diese Stimmung einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen. Und genau das haben sie im Kanzleramt lange Zeit getan. Stattdessen kamen gutgemeinte Ratschläge aus Berlin, andere EU-Staaten sollen doch bitte erst einmal ihre Hausaufgaben machen. Reformen, bitte! Nehmt Euch ein Beispiel an Deutschland! Dabei haben sich sämtliche Bundesregierungen seit mehr als zehn Jahren ängstlich darauf beschränkt, den Status quo zu verwalten. Merkel ist selbst alles andere als eine Reformerin.

Und dann kam 2015 die Flüchtlingskrise, die Europa nach den Worten des bulgarischen Politologen Ivan Krastev so stark verändert hat wie die Terroranschläge des 11. September 2001 die USA. Der Streit über den Umgang mit der Migration hat den europäischen Konsens zerbrochen, oder genauer gesagt, er hat die bis dahin weithin ignorierte Ost-West-Spaltung in der EU voll aufbrechen lassen. Die Union steht seither am Rande der Implosion. Und man muss leider sagen: Merkels Verhalten im Herbst 2015 hat dabei wie ein Katalysator gewirkt. Dass die Kanzlerin die Öffnung der Grenze im Alleingang verfügte, dass sie nicht einmal den Versuch einer europäischen Abstimmung unternahm, passte ins Bild vom deutschen Hegemon, der sich wenig um die Sorgen seiner Nachbarn schert.

Auch hatten Italien und Griechenland nicht vergessen, wie sie mit ihren Hilferufen noch drei, vier Jahre zuvor in Berlin abgeblitzt waren, als der Flüchtlingszustrom übers Mittelmeer bereits signifikant anstieg. Das, so beschied Merkel, sei nicht Deutschlands Problem. Nach den Dublin-Vereinbarungen seien die Ankunftsstaaten zuständig. Vertrag ist Vertrag, sorry. Als dann aber 2015 Zehntausende an der bayerischen Grenze standen, verlangte Merkel plötzlich nach europäischer Solidarität. Keine Frage, das Verhalten einiger osteuropäischer Staaten in der Migrationsfrage ist schäbig, und Heuchelei ist beim Umgang mit Flüchtlingen wahrlich kein deutsches Privileg. Aber Merkel verspielte damals sehr viel Kredit, und ihr Versuch, die Asyl-Verweigerer unter Androhung finanzieller EU-Sanktionen auf Linie zu bringen, machte die Sache nur noch schlimmer.

Die Lage der EU ist ernst, das ist Merkel natürlich nicht verborgen geblieben. Aber sie zeigt sich seltsam unfähig, daraus Konsequenzen zu ziehen. Sie steht sich dabei mit ihrer Art, Politik zu machen, selbst im Weg. Merkel verwaltet, sie gestaltet nicht. Ihre Verehrer feiern sie für einen Pragmatismus, hinter dem sich aber häufig nur Konzeptlosigkeit verbirgt sowie eine tiefe Abneigung gegen harte Debatten und klare Entscheidungen. Merkels Stil ist es, Probleme nacheinander abzuarbeiten und sich dabei möglichst wenig in die Karten blicken zu lassen. Sie vermeidet es, weitreichende Ziele zu definieren, denn an denen könnte sie gemessen werden, und das wäre ein Risiko. Eine Haltung, die im Übrigen typisch ist für die politische Klasse in Berlin, deren Vertretern strategisches Denken, der Blick über den Horizont meist suspekt ist. Sie wissen: Bei den Wählern punktet man mit möglichst biederer Politik; Visionen sind nicht gefragt, ja sogar verdächtig.

Das Ergebnis ist ernüchternd: Nach bald 13 Jahren „Merkelismus“ gehen Deutschland in Europa die Partner aus. Der Wichtigste, Frankreich, drängt auf entschlossenes Handeln. Aber wie lange noch? Jahrelang hatte man sich in Berlin bequem eingerichtet im Lamento über Frankreich, das wegen seiner Reformunfähigkeit als verlässlicher Partner in Europa ausfalle. Eine Ausrede, die nicht mehr zieht, seit Präsident Emmanuel Macron sein Land im Sturmschritt modernisiert. Man muss die Vorschläge von Macron nicht alle gut finden, aber er hat den Blick auf das große Ganze. Und er beweist Mut zum Risiko.

Deutschland bleibt das Schwergewicht der EU, doch unter Merkel erwartet in Europa niemand mehr wichtige Impulse. Zu viel Unmut über die Kanzlerin hat sich da aufgestaut, zu viel Enttäuschung – berechtigte und unberechtigte. Insgeheim hat das Warten auf ihren Nachfolger bereits begonnen.

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