Kommentar zur Zinspolitik Die EZB ist viel zu zögerlich

Meinung | Düsseldorf · Die Europäische Zentralbank beendet 2022 ein Anleihenkaufprogramm. Doch das ist im Kampf gegen hohe Inflationsraten zu wenig. Die Hoffnung auf sinkende Preise im kommenden Jahr könnte trügerisch sein.

EZB-Chefin Christine Lagarde

EZB-Chefin Christine Lagarde

Foto: dpa/Thomas Lohnes

Man mag den Stopp des Anleihenkaufprogramms Pepp durch die Europäische Zentralbank im März 2022 als einen ersten Schritt hin zu einer anderen Geldpolitik deuten. Doch abgesehen davon, dass dafür ein anderes Programm aufgestockt wird – der angekündigte Ausstieg kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zentralbanker in Frankfurt im Kampf gegen die Inflation viel zu zögerlich handeln. Anders als die Kollegen in London, die jetzt erstmals die Leitzinsen angehoben haben, und jene in den USA, die drei Erhöhungen für 2022 in Aussicht gestellt haben, ist eine Änderung der Zinspolitik in Euro-Land frühestens im übernächsten Jahr in Sicht. Leidtragende bleiben die Sparer, deren Realvermögen bei den aktuellen Inflationsraten immer weiter schwindet.

Natürlich kann man darauf verweisen, dass die wirtschaftliche Erholung in den USA weiter fortgeschritten ist als diesseits des Atlantiks, darauf, dass im Europa der Einzelstaaten die wirtschaftliche Lage so unterschiedlich ausfällt, dass eine Entscheidung für alle schwerer fällt als anderswo. Aber die Inflationsrate ist ein maßgebliches Kriterium, das man nicht ignorieren kann. Die Euro-Notenbanker können sich nicht dauerhaft an die Hoffnung klammern, der aktuelle Preisschub sei nur vorübergehend. Denn mehr als eine Hoffnung ist das nicht, weil niemand voraussehen kann, ob es 2022 nicht immer noch Probleme in den Lieferketten, wieder Missernten und andere Dinge gibt, die erst die Erzeuger- und dann die Verbraucherpreise treiben.

Die EZB fährt einen gefährlichen Kurs, der getragen wird von einer Sorge um das Auseinanderbrechen der Währungsunion. Insofern ist ihr Umgang mit dem Leitzins allen Beteuerungen der Unabhängigkeit zum Trotz auch ein politisches Signal.

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