Rheinische Lösung Anstoßen aufs Christkind

Meinung | Düsseldorf · „Festlich“ ist im Rheinland gar nicht so kirchlich definiert, wie viele glauben mögen. Es gibt jede Menge erdnahe Momente – nicht nur musikalisch.

 Vielerorts gehört (jedenfalls in Nicht-Pandemiezeiten) das morgendliche Frühschoppen an Heiligabend dazu.

Vielerorts gehört (jedenfalls in Nicht-Pandemiezeiten) das morgendliche Frühschoppen an Heiligabend dazu.

Foto: dpa/David Young

Das kölsche Liedgut passt so gar nicht in die Weihnachtszeit. Wie singen die Höhner: „Der liebe Gott weiß, dass ich kein Engel bin.“ Und Willy Millowitsch hat gar schunkelnd verkündet: „Wir sind alle kleine Sünderlein!“ Und doch gibt es die kölsche Weihnacht, die bekannte Bands allzu gern in Szene setzen, womit sie für Rührung und Umsatz sorgen. Geboten wird eine gefühlige Mischung aus Opa Hoppenstedt und Schunkeln, bis der Baum brennt. Die Paveier haben es sogar in den Großen Sendesaal des Kölner Funkhauses geschafft. Ihre himmlischen Lieder op Kölsch kommen allerdings erst am zweiten Weihnachtstag ins Radio. Zu viel Spaß, so die offensichtliche Sorge der Verantwortlichen, könnte die angesagte Feststimmung stören.

Dabei ist die Definition von „festlich“ im Rheinischen gar nicht so klar und kirchlich. Aus Düsseldorf wird berichtet, dass sich in normalen Jahren zu Heiligabend am Uerige morgendlich die Durstigen drängeln, die aufs Christkindchen anstoßen. Die Weihnachtsmarktbetreiber in Mönchengladbach wissen, dass es schwierig wird, den Glühweinstand rechtzeitig zu schließen, damit alle noch zur Christmette oder zumindest nach Hause kommen. Die meisten aber, das sei betont, sind brav und abends in der Kirche.

Danach aber gehen die Geschmäcker auseinander – nicht nur beim Festtagsmahl. Bei uns gab es immer Würstchen mit Kartoffelsalat, während bei den Nachbarn Gans mit Rotkohl aufgetischt wurde. Ich musste Blockflöte spielen, Papa sang und Mama brummte. Als wir zur letzten coronafreien Weihnacht mit der Familie bei Vetter Günter Wildschweinfrikadellen verdrückten, ging es zu wie bei den Weihnachtsshows: Wir lachten, tanzten, hatten richtig Spaß. Selbst Dackel Zetor jaulte freudig mit, vor allem wegen der Leberwurst in Geschenkpapier. Für meinen Opa Heinrich war Chreestag das Plätzchenfest. Er soll um den Tisch geschlichen sein, auf dem für jeden der obligatorische „Teller lecker“ stand. Er stibitzte hier ein Schneeflöckchen, dort ein Schokoplätzchen. Und schließlich soll er gefragt haben: „Jetzt mot er möch ens saaje, wat minne Teller ess.“

Unser Autor ist stellvertretender Chefredakteur. Er wechselt sich hier mit Politikredakteurin Dorothee Krings ab.

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