Deutschlandtakt 21 Millionen Minuten Verspätung

Meinung · Die Bundesregierung hat die Fertigstellung des Deutschlandtakts um Jahrzehnte nach hinten verschoben. Das ist sinnbildlich für die gesamte Schienen-Misere. Was jetzt anders werden muss.

 Zu wenig wird in den Ausbau der Schiene gesteckt, 2022 kam er kaum voran. Das bringt den angepeilten Deutschlandtakt zum Erlahmen.

Zu wenig wird in den Ausbau der Schiene gesteckt, 2022 kam er kaum voran. Das bringt den angepeilten Deutschlandtakt zum Erlahmen.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Dass Großprojekte in Deutschland häufiger mit ein paar Jahren Verzögerung fertig werden, daran habne sich die Bürgerinnen und Bürger fast schon gewöhnt. Doch der Deutschlandtakt für die Bahn treibt es jetzt auf die Spitze: Statt 2030 soll er laut Regierung wohl erst 2070 kommen. Verspätung um 40 Jahre, 350.400 Stunden oder 21 Millionen Minuten. Nicht nur Bahnfahrer reiben sich ungläubig die Augen. Es klingt wie ein schlechter Witz.

Halbstundentakt auf den wichtigsten Fernverkehrsverbindungen, Fern- und Regionalverkehr optimal aufeinander abgestimmt, doppelte Fahrgast-Kapazität – so hatte sich der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer 2018 eine attraktive Bahn ab 2030 vorgestellt. Wie jetzt klar wird, hinkt der Ausbau der Infrastruktur meilenweit der Planung hinterher. Das vom Verkehrsministerium eingeplante Budget reicht bei Weitem nicht aus. Und das, wo eine verlässliche Bahn so nötig wäre. Noch nie gab es so viele zugelassene Autos in Deutschland, in den letzten Jahren vor der Pandemie erreichten die Staulängen neue Rekorde. Der Straßenverkehr kollabiert. Das erste Ziel 2030 war sicherlich sportlich. Aber für alle, die von einer zukunftsfähigen Bahn träumen war es ein greifbarer Zeitpunkt, der doch genügend motivieren sollte, jetzt alle Hebel in Bewegung zu setzen. Dass man dieses Ziel jetzt so dermaßen verfehlt, ist trotzdem erschreckend.

Die Verkehrswende ist ein Generationenaufgabe. Doch den D-Takt auf 2070 zu verschieben, grenzt an Resignation. Das, was die vergangenen Unions-geführten Verkehrsministerien verschlafen haben, muss FDP-Minister Volker Wissing jetzt ausbaden. Aber er trägt eine Mitschuld. Außer dem Deutschlandticket fehlt es ihm an Ideen für die Schiene. Der Netzausbau kam im vergangenen Jahr kaum voran. Und für seine FDP hat die Bahn nicht gerade oberste Priorität. Im aktuellen Bundeshaushalt 2023 räumt Christian Lindners Finanzministerium den Fernstraßen rund 3,5 Milliarden Euro mehr Budget ein als der Schiene. Der Bahn ist das zu wenig, sie fordert weitere 80 Milliarden bis 2030. Wissing sollte seine Prioritäten hinterfragen, sonst wird das D-Takt-Desaster auch ihm angehängt werden.

Man kann damit rechnen, dass viele der jetzigen Bahnnutzer den Start nicht mehr erleben werden. 2070 ist zwar auch ein Ziel, aber es ist so wenig ambitioniert, dass man es auch ganz streichen könnte. Mit den angekündigten Zwischenetappen auf dem Weg zum Ziel, zum Beispiel der Bereitstellung des 30-Minuten-Takts zwischen den großen Metropolen Köln, Frankfurt, Mannheim, München und Nürnberg bis 2026, enttäuscht die Regierung. Der Blick in die Schweiz als Vorbild für einen funktionierenden Taktfahrplan hilft. Und Deutschland braucht den Ausbau der Schiene, um die vereinbarten CO2-Einsparungsziele zu schaffen.

Jetzt ist harte Arbeit gefragt, alle verfügbaren Ressourcen für die Schiene freizusetzen. Nur muss Volker Wissing das noch begreifen.

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