Medienkompetenz TikTok setzt sich Grenzen. Ein bisschen.

Meinung · Eine Stunde täglich. Auf diese Nutzungszeit will die vor allem bei Jugendlichen beliebte Kurzvideo-App TikTok die Nutzungszeit für Minderjährige begrenzen. Allerdings nicht unerbittlich. Was das für junge Leute bedeutet. Und für deren Eltern.

Ein Kind liegt auf dem Sofa und blickt auf sein Smartphone.

Ein Kind liegt auf dem Sofa und blickt auf sein Smartphone.

Foto: dpa/Tobias Hase

Anbieter von unterhaltsamen Kommunikationsplattformen wie der Video-App TikTok leben davon, dass Menschen möglichst viel Zeit auf ihren Seiten verbringen. Es lässt also aufhorchen, wenn das vom chinesischen Konzern ByteDance betriebene Portal für kurze Videos ankündigt, die Nutzungszeit von Jugendlichen begrenzen zu wollen. Konten von Konsumenten unter 18 Jahren sollen automatisch ein Zeitlimit von einer Stunde pro Tag haben, schreibt das Unternehmen in einem Blog. Minderjährige müssen ein Passwort eingeben, um die App weiter nutzen zu können. Sollten sie das Tageslimit aufheben und mehr als 100 Minuten pro Tag auf TikTok aktiv sein, will die App sie künftig mit einem Hinweis auffordern, sich selbst ein Zeitlimit zu setzen.

Netter Versuch. Die Plattform reagiert auf öffentlichen Druck, denn Handysucht ist längst ein gewaltiges Problem – selbstverständlich nicht nur bei jungen Leuten. Also gibt sich ein Anbieter, der mit einem endlosen Vorrat von Kurzvideos einen besonderen Sog ausübt, wenigstens bei jungen Leuten fürsorglich. Allerdings halbherzig, denn auch minderjährige Konsumenten werden ja nicht ernsthaft limitiert, sondern sollen sich weiterhin selbst in die Schranken weisen. Genau das ist aber das Problem. Denn bei vielen grassiert die „Fear of missing out“, kurz „Fomo“, also die Angst, etwas zu verpassen. Krankenkassen informieren bereits darüber, ob Fomo eine Krankheit ist und was sich dagegen tun lässt. Die reizvolle Welt der Videohäppchen ist eben nicht nur unterhaltsam und informiert über dies und das. Manchen Leuten gibt sie zugleich das Gefühl, dass alle anderen viel mehr erleben als sie selbst. Das mindert nicht nur das Selbstwertgefühl, sondern steigert auch das Verlangen, weiterzuschauen. Wenigstens in den Videos will man mitkriegen, was andere so erleben, unternehmen, anziehen, besitzen. Nur noch eben das nächste Video. Ach ja, und noch eins.

Nun ist es müßig, die Attraktivität von Video-Apps zu beklagen. Es gibt sie, Menschen haben Spaß mit ihnen, man kann sich darin durchaus sinnvoll informieren, das ist eine Frage der Medienkompetenz. Heranwachsende müssen den Umgang also lernen. Doch funktioniert das nicht ohne erzieherische Eingriffe, auch wenn TikToks Ankündigung neuer Stundenlimits das suggeriert. Auch mit Abschaltfunktionen geht es um die Auseinandersetzung darüber, wie viel Bildschirmzeit guttut, wie man sie im Blick behält, und wer darüber bestimmt. Das ist auch nötig, strikte Verbote solten das nicht ersetzen. Die überaus nervige Pflicht, solche Diskussionen durchzustehen, liegt in der Regel bei den Eltern. Das weiß auch TikTok und hat darum zusätzlich Funktionen programmiert, mit denen Eltern individuelle Zeitlimits für ihre Kinder je nach Wochentag festlegen können. Demnächst soll ihnen sogar ermöglicht werden zu verhindern, dass Kindern Inhalte mit bestimmten Wörtern oder Hashtags angeboten werden. Eltern bekommen also weitreichende Werkzeuge an die Hand, mit deren Hilfe sie den Konsum ihrer Kinder steuern sollen.

Doch Jugendschutz und Medienerziehung bleibt ihre Aufgabe. Konkret heißt das oft: Streit, Stunk, Strafe. Eltern müssen in diese Konflikte gehen, bis Jugendliche selbst spüren, was ihnen guttut. Und reif genug sind, entsprechend zu konsumieren. Das ist anstrengend. In manchen Familien findet es auch nicht statt, dann setzen auch programmierte Nachfragen keine Grenzen. Es ändert sich also nicht wirklich etwas durch die angekündigte „Begrenzung“. Eine beliebte App hat einen Ausschaltknopf bekommen. Die Frage bleibt, wer ihn wann benutzt.

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