Babyboom nach Stromchaos Die Schneebabys sind da

Ochtrup (RP). Als im November 2005 im Münsterland die Strommasten umkippten, saßen Menschen über Stunden im Dunkeln und Kalten. Neun Monate später erlebt die Region einen Babyboom. Familien berichten von der Zeit, als sie von der Außenwelt abgeschnitten waren.

Die süßesten Schneebabys
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Die Temperatur in ihrer Wohnung sank auf sechs Grad. Kein Strom, keine Heizung. "Das Telefon funktionierte nicht, wir konnten kein Fernsehen gucken", erinnert sich Hannah Niesing an jenen Freitagabend im November 2005, als im Münsterland die Masten umkippten und ganze Landstriche ohne Strom waren. Mit ihrem Freund machte es sich die Studentin in der Wohnung gemütlich. "Wir hatten genug Kerzen, das war irgendwie sehr romantisch", erinnert sich die 20-Jährige. Die Romantik blieb nicht ohne Folgen: Marc Köllmann hält Tom im Arm. Der Kleine ist gerade mal sechs Wochen alt. "Eigentlich wollten wir noch kein Kind, aber jetzt ist er da", sagt der 30-Jährige und lächelt.

Als der Sohn von Marc Köllmann und Hannah Niesing am 10. August auf die Welt kam, hatten die Hebammen alle Hände voll zu tun. "Es gab nicht genug Betten auf der Station", berichtet der junge Vater. Um rund zehn Prozent ist die Geburtenrate im Krankenhaus von Steinfurt in den vergangenen drei Monaten angestiegen. "Es ist schwer zu sagen, ob das mit den Stromausfällen zu tun hat. Vielleicht ist es auch nur eine der üblichen Schwankungen", sagt Klaus Robke, Leiter der Gynäkologie am örtlichen Marienhospital vorsichtig. Aber kann ein solcher Baby-Boom Zufall sein? Gut neun Monate nachdem Stromausfall kamen mehr als 380 Kinder zur Welt. RWE gab ihnen einen Namen: die Schneebabys.

Zwei Tage ohne Strom genossen

Seitdem dreht sich in der Familie alles um den Kleinen. Hilfe hat die junge Familie genug: Im Freundeskreis wollen alle Tom mal für einen Abend nehmen. Unterstützung gibt es auch von RWE: Der Energiekonzern schenkt jedem Kind, das zwischen dem 10.und dem 25. August in der Region auf die Welt kam, 300 Euro. Der Konzern rechnet vor, dass die Familien dafür rund 1500 Kilowatt-Stunden Strom bekommen. Das reicht für ein halbes Jahr.

Die zwei Tage ohne Strom haben Hannah Niesing und ihr Freund genossen. Nicht nur die Zweisamkeit, sondern auch das Beisammensein mit Freunden: "Wir waren rodeln und haben uns bei einer Freundin getroffen, die einen Kamin hat", erinnert sich Köllmann. Hannahs Vater, der eine Tankstelle am Ort betreibt, musste mit einem Trecker die Feuerwehren und Krankenhäuser mit Diesel beliefern, damit die Notstromaggregate nicht ausgingen.

Andreas Pass war einer von den Feuerwehr-Leuten, die während des Stromausfalls im Einsatz waren. Auch er ist heute Vater eines Schnee-Babys. "Als der Strom ausfiel, funktionierten auch unsere Alarm-Melder nicht mehr. Also bin ich sofort zur Wache gefahren", erinnert sich der 32-Jährige. Die ganze Nacht kümmerten er und seine Kameraden sich um die Anwohner. Als der Strom in Raesfeld nach wenigen Stunden wieder kam, verabschiedete sich Pass von den Kollegen. "Ich fahr jetzt zu meiner Frau", sagte er. Nach der Geburt von Sohn Tim wird ihm dieser Satz immer wieder vorgehalten. "Aber ich nehme es mit Humor", sagt Pass.

Rückblickend waren die 48 Stunden ohne Strom für Hannah Niesing und Marc Köllmann eine schöne Zeit: "Die Menschen haben sich gegenseitig unterstützt, und wir haben viele Stunden miteinander verbracht." Als der Strom wiederkam, haben beide die Nachrichten gesehen. Erst dann erfuhren sie, dass ihr Ort über Nacht berühmt geworden war. "Meine Schwester, sie lebt in Mecklenburg-Vorpommern, rief an und berichtete, dass Ochtrup im Fernsehen lief", sagt die 20-Jährige und muss lachen. Sie selbst war zwei Tage von der Außenwelt abgeschnitten.

(Rheinische Post)
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