Wirtschaft ankurbeln Union und SPD ringen um das Konjunkturpaket – bis zu 100 Milliarden Euro sind im Gespräch

Berlin · Wenige Tage vor dem Treffen der Koalitionsspitzen laufen die Vorbereitungen für das geplante Konjunkturpaket der Bundesregierung auf Hochtouren. Aus dem Finanz- und Wirtschaftsministerium kursieren lange Vorschlagslisten, hinzu kommen Wünsche der Koalitionsfraktionen und der Länder.

 Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU; links) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) basteln an einem Konjunkturprogramm zur Ankurbelung der Wirtschaft.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU; links) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) basteln an einem Konjunkturprogramm zur Ankurbelung der Wirtschaft.

Foto: AP/Michael Sohn

Das Paket soll weitere Soforthilfen für Unternehmen und Branchen wie die Autoindustrie, Maßnahmen zur Stimulierung der privaten Nachfrage und zur Entlastung der Kommunen sowie ein in die Zukunft gerichtetes, längerfristiges Investitionsprogramm enthalten. Zudem kommen auf Deutschland höhere Ausgaben für den europäischen Wiederaufbaufonds zu. Das gesamte Paket könnte am Ende ein Volumen von 100 Milliarden Euro erreichen, hieß es in Koalitionskreisen.

Weitgehend einig sind Union und SPD darüber, dass mittelständische Unternehmen mit elf bis 249 Mitarbeitern zusätzliche Hilfen benötigen, um eine Pleitewelle zu verhindern. Wie bisher schon kleine Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern sollen künftig auch die etwas größeren Firmen nicht rückzahlbare Soforthilfen beantragen können. Bisher hatte der Bund für sie nur staatlich abgesicherte Liquiditätskredite der Förderbank KfW vorgesehen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will nun für die etwas größeren Mittelständler ein weiteres 25-Milliarden-Euro-Programm durchsetzen.

 Unternehmen sollen zudem durch steuerliche Erleichterungen liquider werden: Sie sollen Verluste aus dem laufenden Jahr mit Gewinnen aus früheren Jahren verrechnen können und so Steuerrückerstattungen erhalten, die unmittelbar ihre Liquidität verbessern. Der Verlustrücktrag ist bisher auf 15 Prozent gedeckelt und dürfte deutlich heraufgesetzt werden. Ebenso unstrittig ist in der Koalition die Einführung einer befristeten degressiven Sonderabschreibung für Unternehmensinvestitionen.

Umstritten ist dagegen die Frage, wie die Regierung der Autoindustrie unter die Arme greifen will. Altmaier wirbt intern dafür, staatliche Kaufprämien nicht nur auf umweltfreundliche Antriebe zu beschränken, sondern sie auch für Benzin- und Diesel-Fahrzeuge zu gewähren. Dies will die SPD-Fraktion jedoch nicht mitmachen. Allerdings hatte sich auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) für eine möglichst technologieoffene Lösung starkgemacht.

 Auch über die Maßnahmen zur Ankurbelung der Nachfrage wird noch gestritten. Die SPD hat einen einmaligen Familienbonus von 300 Euro pro Kind vorgeschlagen, die Union hält ihn für nicht zielgenau genug. Sie setzt eher auf steuerliche Erleichterungen für breite Bevölkerungsschichten. So könnte die für 2021 geplante Soli-Abschaffung für 90 Prozent der Steuerzahler auf den 1. Juli vorgezogen werden. Zudem wollen Altmaier und die Union eine höhere Entlastung bei den Strompreisen durch die Absenkung der Ökostrom-Umlage durchsetzen. Die Sozialbeiträge sollen nach dem Willen der Union außerdem nicht weiter ansteigen, sondern mit Haushaltsmitteln unter der Grenze von 40 Prozent des Bruttomonatslohns gehalten werden. Eine befristete allgemeine Mehrwertsteuersenkung hat dem Vernehmen nach dagegen keine Chance.

Bislang sträubt sich die Union auch noch gegen die von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vorgeschlagene Übernahme der kommunalen Altschulden durch Bund und Länder. Da Scholz seinen Vorschlag aber mit dem Ausgleich der Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer verknüpft hatte, könnten Kritiker der Altschuldenhilfe bis zum Dienstag noch von den unionsgeführten Ländern überstimmt werden. Schließlich würde vor allem das mächtige Nordrhein-Westfalen von der Altschuldenhilfe profitieren.

Der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, warnte allerdings vor der Altschuldenhilfe für die Kommunen. „Der Bund sollte keinesfalls eine kommunale Altschuldenregelung vornehmen. Dies setzt völlig falsche Anreize, weil die Länder damit ein Stück weit aus der Verantwortung entlassen werden. Eine solche Regelung wäre auch nicht zielgenau, weil sie nicht sicherstellt, dass die Mittel tatsächlich investiert werden“, sagte der Vorsitzende des Wirtschafts-Sachverständigenrats. Einen Familienbonus solle es „nur für bedürftige Familien geben, die am ehesten liquiditätsbeschränkt sind und damit ihren Konsum erhöhen“, so Feld. Andere Familie würden damit nicht mehr konsumieren. „Eine Autoprämie oder Innovationsprämie für Autos lehne ich strikt ab“, sagte Feld. In jedem Fall „sollte das Konjunkturpaket eine deutliche Verbesserung des Verlustrücktrags in der Unternehmensbesteuerung enthalten. Dies kann unmittelbar liquiditätswirksam werden und den Unternehmen branchenunabhängig helfen, diese schwierige Phase zu überstehen“, sagte der Wirtschaftsweise.

Auch der Chef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, plädierte für zielgenaue Maßnahmen und warnte vor einer zu hohen Belastung des Staatshaushalts. „Ein Vorziehen der Senkung des Solidaritätszuschlags, erweiterte Verlustverrechnung, vorübergehend erhöhte öffentliche Investitionen, all dies sind sinnvolle Maßnahmen, welche die Konjunktur stützen, den Staatshaushalt aber kaum oder nur vorübergehend belasten“, sagte Fuest.

Dies entspricht allerdings nicht den Vorstellungen der Grünen: Sie legten am Mittwoch ein eigenes Gesamtkonzept zur Förderung der Wirtschaft vor. 100 Milliarden Euro wollen die Grünen in Sofortmaßnahmen und weitere 500 Milliarden Euro in ein zehnjähriges Investitionsprogramm stecken. Schwerpunkt sollen Investitionen in den Klimaschutz sein.

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