Schock für 400 Mitarbeiter Knorr Bremse schließt Werk in Wülfrath

Wülfrath · Während die Mitarbeiter demonstrieren, veröffentlicht das Unternehmen die Hiobsbotschaft.

 Die Mitarbeiter von Knorr Bremse auf ihrem Weg vom Werkstor durch die Wülfrather Innenstadt.

Die Mitarbeiter von Knorr Bremse auf ihrem Weg vom Werkstor durch die Wülfrather Innenstadt.

Foto: Blazy, Achim (abz)

Bereits vor Tagen hatte der Betriebsrat gemeinsam mit der IG Metall zu einer Demo gegen eine eventuelles Aus von Knorr- Bremse aufgerufen. Nur wenige Stunden vor Beginn erreichte die rund 400 Mitarbeiter dann die Hiobsbotschaft: das Wülfrather Werk soll definitiv 2020 geschlossen werden.

Schon lange, bevor er die Demonstranten überhaupt sehen kann, bemerkte Verkehrspolizist Guido Müller die lauten Pfeifen, Tröten, kämpferischen Rufe der enttäuschten und wütenden Belegschaft, die mit ihrem lautstarken Fußmarsch auf sich und die beschlossene Schießung aufmerksam machen wollte. Auch für Guido Müller war dieser Tag ein besonderer: Die Straßensperrung im Bereich Bahnhofstraße/Wilhelmstraße war sein allerletzter großer Einsatz im Berufsleben – in zwei Tagen geht es in den Ruhestand. Ein Leben ohne Arbeit – was für den einen ein Grund zur Freude ist, bedeutet für die rund 200 Demonstranten pure Existenzbedrohung.

„Es ist eine absolute Vollkatastraophe was hier gerade passiert“, schrie Fertigungsmitarbeiter Jörg Hartmann gegen den tosenden Lärm an, einige Passanten hielten sich die Ohren zu, viele Wülfrather schauten neugierig aus den Fenstern, die Kinder der Kindertagesstätte Wilhelmstraße winkten der aufgewühlten Belegschaft zu. Sie alle trugen rote Cappies der IG Metall und weiße T Shirts mit der Aufschrift „Standort erhalten“, hieten Flaggen und Transparente hoch.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese hatte sich unter sie gemischt, der Betriebsratvorsitzende Ahmed Yildiz feuerte seine Mitstreiter durch das weiße Megaphon an, gemeinsam zogen sie Richtung Heumarkt. Jörg Hartmann arbeitet seit 27 Jahren in dem Werk, das einst Ford war, wie soll es jetzt weitergehen?

„Ich bin 53, da brauche ich ja wohl nichts zu zu sagen, wir kennen doch die Arbeitsmarktsituation“, beklagte er. Viele waren zum Heumarkt gekommen, darunter die Stadtspitze und andere aus Rat und Verwaltung, Politiker von SPD, Grünen und Linken zeigen Solidarität, die CDU Wülfrath und auch der Landtagsabgeordnete Sträßer lassen ihr Fehlen aus Zeitmangel entschuldigen, nehmen in ihren Schreiben aber ebenfalls Anteil.

„Es ist ein Tiefschlag im Sinne des Boxsportes: unerlaubt und unfair“, heißt es in Sträßers Stellungnahme. Er sei enttäuscht über das Verfahren und den Umgang der Unternehmensführung mit den Beschäftigten und dem Betriebsrat. Bürgermeisterin Claudia Panke schaffte es trotz Krücken auf das Kundgebungspodest. „Was Opel für Bochum, ist Knorr für Wülfrath“, rief sie den vielen Menschen entgegen, „nicht nur wegen der Gewerbesteuereinnahmen, sondern vor allem, weil hier Familien dranhängen, die davon betroffen sein werden. Wir sind geschockt, erst gestern hieß es noch, es sei nichts entscheiden und wir hatten gute Gespräche mit der Unternehmensleitung und dann sowas. Wir werden alles tun und gemeinsam mit ihnen um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen.“

Kerstin Griese verwies auf den 70. Geburtstag des Grundgesetzes. „Artikel 14 sagt, Eigentum verpflichtet, und das bedeutet, dass man den Anstand haben muss, gute Arbeitsplätze aufrecht zu erhalten. So geht man mit seine Angestellten einfach nicht um. Das ist keine soziale Marktwirtschaft, das ist eine riesige Sauerei.“

Zuletzt ergriff Ahmed Yildiz noch einmal das Mikrofon: „Als das Werk in Berlin-Marzahn geschlossen werden sollte, da haben wir unsere Kollegen bei ihrem letztlich erfolgreichen Kampf über Monate unterstützt. Und das sollte uns allen ein Vorbild sein. Wir werden kämpfen, damit unser Standort erhalten bleibt.“

Zwischenzeitlich hat auch die Stadt Wülfrath auf die Ankündigung reagiert: „Mit großer Betroffenheit hat die Stadtverwaltung den heute vom Unternehmen Knorr-Bremse Steering Systems GmbH veröffentlichten Beschluss aufgenommen, die Produktion am Standort Wülfrath bis zum Jahr 2020 aufzugeben. „Ich bedaure die Entscheidung sehr, vor allem für die betroffenen Beschäftigten und ihre Familien“, schreibt Bürgermeisterin Claudia Panke in einer Pressemitteilung. „Die Schließung der Produktion in Wülfrath und der Weggang eines großen Arbeitgebers bedeuten auch für die Stadt einen herben Verlust. Ich werde mich mit allen Kräften dafür einsetzen, eine möglichst große Anzahl von Beschäftigten für den Entwicklungs- und Projektmanagementbereich für Nutzfahrzeug-Lenkungen in Wülfrath zu erhalten“, so Panke.

Die Verwaltungsspitze stehe in direktem Kontakt mit der Geschäftsführung des Unternehmens und habe jede Hilfe angeboten, um bei der Suche nach einem geeigneten Standort für das avisierte Kompetenzzentrum in Wülfrath zu unterstützen. Für die nächsten Wochen seien weitere Gespräche zwischen Verwaltungsspitze und Unternehmensleitung hierzu vereinbart und es sollen dann auch die konkreten Standortanforderungen für ein Kompetenzzentrum weiter besprochen werden. Das Unternehmen habe zugesagt, eng mit der Verwaltung zusammenzuarbeiten. Parallel richte die Stadtverwaltung ihr Augenmerk auch auf die Gewerbeimmobilie an der Henry-Ford-II-Straße mit dem Ziel, zeitnah eine Nachfolgenutzung für das Werk der Knorr-Bremse nach 2020 zu finden.

(dpa/lnw)
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