Gedenkfeier im Weseler Dom Die Opfer von Auschwitz – nie vergessen

Wesel · Im Willibrordi-Dom wurde von Schülern an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz erinnert.

 Beklemmende Erinnerung: Namen von Kindern, die in Auschwitz getötet wurden, hingen im Dom.

Beklemmende Erinnerung: Namen von Kindern, die in Auschwitz getötet wurden, hingen im Dom.

Foto: Coralic

Namen auf weißen Zetteln an einer roten Leine. Mitten im Weseler Willibrordi-Dom. Es sind die Namen von kleinen Kindern, die im Konzentrationslager Auschwitz gefangen gehalten und getötet wurden: Aniko Lautmann, Israel Schwemer, Moses Spielmann – alle ermordet im Jahr 1944. Wer am Montag zur Gedenkfeier anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch den Seiteneingang in den Willibrordi-Dom eintrat, der stand unvermittelt zwischen diesen Namen, die stellvertretend für die Opfer des Nationalsozialismus stehen. Es fühlte sich beklemmend an, dort zu sein. Wie in einer Zeit, die niemals zurückkommen sollte.

 Der Projektchor der Gesamtschule.

Der Projektchor der Gesamtschule.

Foto: Coralic

Im Deutschland des Jahres 2020 ist der Antisemitismus wieder präsent. Wirklich verschwunden war er nie, verbal zeigt der Antisemitismus immer wieder sein hässliches Gesicht. „Du Jude“ gilt unter Jugendlichen wieder als Schimpfwort. Der Anschlag auf eine Synagoge in Halle ist allerdings Bedrohung in neuer Dimension. Es gibt plötzlich für Juden in Deutschland wieder Anlass, sich unsicher zu fühlen. Unter diesem Vorzeichen stand das Gedenken.

 Kranzniederlegung am Mahnmal.

Kranzniederlegung am Mahnmal.

Foto: Coralic

In Wesel haben Schüler der Gesamtschule Am Lauerhaas und die Stadtgemeinschaft in einem Festakt an die Shoa erinnert – und damit das Gedenken weitergetragen. Am 27. Januar 1945, vor 75 Jahren, ist das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit worden. Allein in Auschwitz sind mehr als eine Million Menschen getötet worden.

Wie bringt man Schülern dieses schwärzeste Kapitel deutscher Geschichte nahe? Wie hilft man ihnen dabei, das Unbegreifliche zu begreifen?

Es war eine würdige Feierstunde. Wie ergriffen mancher Schüler war, meinte man in den Gesichtern zu erkennen. Fast zwei Stunden dauerte das Gedenken. Und obwohl die Konzentration über einen so langen Zeitraum den Schülern schwerfallen musste, war kein lautes Wort in den Bankreihen zu vernehmen, war die Ergriffenheit der Schüler zu spüren. Mancher der Schüler, der am Mikrofon redete, tat dies mit gebrochener Stimme. Diese Schüler werden hoffentlich nicht vergessen, was sie diese Feier gelehrt hat: im Auftrag der Kinder der Shoa handeln.

Das Gedenken begann mit einem Orgelvorspiel, das immer dringlicher erklang. Der evangelische Pfarrer Albrecht Holthuis, der katholische Pfarrer Stefan Sühling und Bürgermeisterin Ulrike Westkamp hielten sodann kleine Grußworte. „Diese Gedenkstunde nimmt uns in die Pflicht“, sagte Pfarrer Stefan Sühling, der den Zweck des Gedenkens so beschrieb, dass es nicht Anlass sei, sich der Schuld neu zu vergewissern, sondern Verantwortung zu übernehmen, dass Juden heute sicher in unserem Land leben können. Bürgermeister Ulrike Westkamp sprach die Mahnung aus, dass Auschwitz nicht noch einmal geschehen dürfe. „Nicht gelebte Leben, millionenfach“, mahnte Ulrike Westkamp.

Auch der niederländische Autor Paul Glaser kam nach Wesel. Er ist der Gesamtschule freundschaftlich verbunden. Sein Buch „Die Tänzerin von Auschwitz“ erzählt von einer Jüdin, die verraten wurde, die Shoa aber überlebte. Der 1947 in Maastricht geborene Niederländer Glaser erzählte in der Kirche auch, wie er als Katholik in den Niederlanden zunächst nichts von seiner jüdischen Familiengeschichte gewusst habe, ehe er sich mit schon 40 Jahren auf die Spuren dieses Familiengeheimnisses machte. Bilder seiner Familie fand er in der Ruine eines von den Engländern im Krieg irrtümlich zerbombten Hauses. Auf Basis dieser Bilder rekonstruierte er seine Familiengeschichte, fand 2002 in Auschwitz sogar einen Koffer, auf dem der Familienname Glaser stand.

In seinem Buch „Die Tänzerin von Auschwitz“ erzählt Paul Glaser nicht nur von einer Frau, die sich unkonventionell den Regeln widersetzt. Er erzählt auch von seiner eigenen Vita und vom Erkennen, jüdische Wurzeln zu haben. Auschwitz – das ist auch Teil seiner Familiengeschichte.

Ergreifend war der wiederkehrende Gesang des Projektchors, der sich für diese Feier gebildet hatte. Er sang etwa das jiddische Volkslied „Oyfn Pripetshik“: „Denkt daran, Geliebte, was ihr da lernt“, heißt es im Lied des Komponisten M.M. Warshawsky (1848 – 1907). Am Ende des 19. Jahrhunderts war dies eines der beliebtesten jüdischen Kinderlieder. Es erzählt davon, wie ein Rabbi den kleinen Schülern das Alphabet beibringt – es ist nun eine Erinnerung an ein Europa vor dem Holocaust. Ohne die Shoa, ohne Auschwitz, hätte es ein fröhliches Kinderlied sein können.

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