Initiative „Jeder Name zählt“ Projekt rettet Opfer vor dem Vergessen

Düsseldorf · Erinnern und Gedenken an die Opfer der Nationalsozialisten: Das ist das Ziel der Initiative „Jeder Name zählt“. Schüler der französischen Schule Düsseldorf haben sich daran beteiligt und Daten von KZ-Häftlingen digitalisiert.

 Im Unterricht mit Geschichtslehrerin Annick Berthod tauschen sich die Schüler über ihre Recherchen und Erfahrungen bei dem Projekt aus.

Im Unterricht mit Geschichtslehrerin Annick Berthod tauschen sich die Schüler über ihre Recherchen und Erfahrungen bei dem Projekt aus.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar wurden zwischen 1937 und 1945 rund 266.000 Menschen von den Nationalsozialisten inhaftiert. Mehr als 50.000 von ihnen wurden ermordet oder starben an Hunger und Erschöpfung. Die Namen der Häftlinge wurden auf Karteikarten vermerkt, teilweise mit Geburts- und Sterbedatum, mit dem Ort ihrer Deportation, mit der Todesursache. Diese Karten werden im Arolsen Archiv in Bad Arolsen aufbewahrt, dem weltweit größten Archiv zu Opfern und Überlebenden der NS-Zeit. Die Dokumente werden nach und nach digitalisiert, rund 30.000 sind schon online einsehbar – und dabei sollen Freiwillige aus aller Welt helfen.  „Jeder Name zählt“ heißt die Initiative, an der sich vor Kurzem auch 26 Schülerinnen und Schüler der französischen Schule beteiligt haben.

Organisiert hat das Projekt Geschichtslehrerin Annick Berthod als Ersatz für eine ausgefallene Fahrt nach Polen.  Seit vielen Jahren fährt die Geschichtslehrerin mit ihren Schülern auch nach Auschwitz, die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten ist ihr ein wichtiges Anliegen. „In Frankreich spricht man dabei von Erinnerungspflicht, ich finde Erinnerungsarbeit aber passender“, sagt Berthod, „denn genau das haben die Schülerinnen und Schüler bei dem Projekt gemacht.“

Der Zugriff ist einfach: Nach der Registrierung bekommt man einen Link geschickt, kann online die Karteikarten einsehen und die verfügbaren Daten in ein Formular eintragen. „So kann man selbst etwas beitragen zur Erinnerungskultur“, sagt Anthony Nana (17). Die Schüler nahmen sich die Aufgabe jeder von zu Hause, aber in kleinen Gruppen, vor. Es hat sie tief beeindruckt. „Das war schockierender als jeder Unterricht“, sagt Nana. Und auch Amélie Bolz (16) sagt: „Es war gut, in der Gruppe zu arbeiten und mit dem Thema nicht alleine zu sein.“

Vorher habe man sich das Ganze nicht vorstellen können, trotz allem, was man in der Schule gelernt habe, sagt Lena Tamic (17). „Durch das Projekt kann ich es mir jetzt vorstellen und mich viel bewusster damit auseinandersetzen.“ Für Ferdinand Voigt war vor allem ein Aspekt eindrücklich: „Hinter jeder Karte steckt ein Mensch, ein ganzes Leben. Das zu realisieren, hat mich sehr berührt.“ Der 17-Jährige nahm die Projektarbeit zum Anlass, in seiner eigenen Familiengeschichte zu recherchieren: Sein Urgroßvater Fritz war im Widerstand aktiv und am Stauffenberg-Attentat im Juli 1944 beteiligt. Am 1. März 1945 wurde Fritz Voigt in Berlin-Plötzensee hingerichtet. „Ich bin der Geschichte jetzt ganz anders nah gekommen“, sagt er, „und kann sagen: Ich bin stolz auf meinen Uropa.“

Viele von ihnen seien von den Schicksalen der Menschen sehr berührt worden, erzählt die 17-jährige Cécile Guegan. „Ich habe angefangen, mir anhand der Daten das Leben der Person vorzustellen“, sagt sie, „und habe mich dann gefragt: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen uns und ihnen?“ Auch Lena Tamic nahm sich viel Zeit für jede einzelne Karte. „Ich wollte die Leute ein bisschen kennenlernen“, sagt die 17-Jährige. Einer habe als Schuster gearbeitet, ein anderer als Soldat. „Das waren ganz normale Leute mit ganz normalen Leben. Und trotzdem mussten sie sterben. Das hat mich sehr traurig gemacht.“

Zwischendurch mussten einige Schüler eine kurze Pause machen, andere suchten im Anschluss das Gespräch mit ihren Familien. Für Anthony Nana war die Arbeit hingegen gut auszuhalten, sagt er: „Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich auch ein bisschen abgestumpft bin“, sagt er. Er habe aber auch einen gewissen Ehrgeiz entwickelt und nach Ablauf der zwei Stunden noch weitergemacht. „Ich habe gedacht: Irgendwie bin ich es den Familien schuldig, so viele Karten wie möglich zu schaffen.“

Und die Arbeit der Schülerinnen und Schüler ist noch nicht zu Ende. Sie können sich gut vorstellen, auch in ihrer Freizeit noch einmal Karten zu digitalisieren. „Ich habe mir die Seite extra als Lesezeichen gespeichert, um noch einmal darauf zugreifen zu können“, sagt Cécile Guegan. Amélie Bolz ergänzt: „Ich fühle mich als Deutsch-Französin ohnehin dazu verpflichtet, die Erinnerung an diese Zeit weiterzutragen. Jetzt kann ich dazu noch anderen von der Initiative erzählen.“  Viele junge Menschen wollten schließlich etwas tun, wüssten aber nicht wie. Für Lehrerin Annick Berthod ist das einer der wichtigen Aspekte des Projekts: „Das werden sie mitnehmen für ihr ganzes Leben.“ Davon ist auch Cécile Guegan überzeugt. „Vorher waren es bloß Fakten, die wir gelernt haben, war es die Geschichte“, sagt die 17-Jährige, „jetzt ist es unsere Geschichte.“

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