Warum therapeutisches Reiten so hilfreich ist Ponys als Türöffner zu Gefühlen der Menschen

Wermelskirchen/Dhünn · Sie sorgen für ein besseres Körpergefühl und können sogar seelische Blockaden lösen, was aus Pferden tolle Therapiebegleiter macht. Das „Therapiewerk“ bietet Einzel- und Gruppensettings an.

 Gruppenausritt: Die Therapeutinnen Ursula Weishaupt (Mitte, links) und Thaïs Krings sichern Straßen, die zu überqueren sind, damit Sabine und Merle den Ritt durch Wiesen und Wald genießen können.

Gruppenausritt: Die Therapeutinnen Ursula Weishaupt (Mitte, links) und Thaïs Krings sichern Straßen, die zu überqueren sind, damit Sabine und Merle den Ritt durch Wiesen und Wald genießen können.

Foto: Kathrin Kellermann

Sanft streicht Sabine Jäger mit dem Striegel über den Hals von Haflingerstute Amira, die sich offensichtlich auf der Wiese gewälzt hat, was sich an einigen Stellen noch im Fell zeigt. Immer wieder stibitzt die kleine Stute einen Leckerbissen aus dem Heunetz, das an der Box hängt und eigentlich für Reitpony Beauty gedacht ist. Und der 28-Jährigen gefällt es gar nicht, dass Amira nascht. Verärgert legt die braune Stute die Ohren an, um ihren Unwillen zu zeigen. Doch davon lässt sich Amira nicht beeindrucken. Als versiertes Therapiepony spürt sie genau, wer sie gerade hingebungsvoll striegelt und dass sie selbst genauso sanft mit Sabine Jäger umgehen muss, wie die es umgekehrt mit ihr macht.

Jeden Freitag kommt die 35-Jährige zum Reiten ins „Therapiewerk“ im Reitstall Sachser in Dhünn. „Seit einem Jahr reite ich hier. Ich bin schon Ari geritten und Amy und heute darf ich mit Amira ausreiten“, erzählt sie mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht. Schon montags, wenn sie in der Werkstatt der Lebenshilfe in Leichlingen arbeitet, „freue ich mich auf die Reitstunde am Freitag“, gesteht sie und fügt nach kurzem Überlegen strahlend hinzu: „Eigentlich freue ich mich immer aufs Reiten.“

 Wenn sie freitags beim Ausritt durch Amiras Ohren gucken kann, ist Sabine Jäger glücklich. „Darauf freue ich mich die ganze Woche“, sagt sie.

Wenn sie freitags beim Ausritt durch Amiras Ohren gucken kann, ist Sabine Jäger glücklich. „Darauf freue ich mich die ganze Woche“, sagt sie.

Foto: Kathrin Kellermann

Sabine lacht und setzt sich sorgfältig den Reithelm auf, während Reittherapeutin Ursula Weishaupt der Haflingerstute keinen Sattel, sondern ein spezielles Brockamp-Pad auflegt und festgurtet. Das Pad gibt dem Reiter das Gefühl, er würde ohne Sattel reiten, sorgt aber für mehr Sicherheit und Halt. „Unsere Klienten spüren dadurch die Bewegungen des Pferdes besser“, erklärt die Gründerin des „Therapiewerks“, die das therapeutische Reiten zusammen mit ihrer Kollegin Thaïs Krings und aktuell vier ausgebildeten Pferden anbietet.

Die Gründe, warum junge und ältere Menschen sich für eine Therapie mit den Vierbeinern entscheiden, sind vielfältig: Schlaganfallpatienten hilft die Bewegung des Pferdes, ihre Körperfunktionen zu verbessern, aber auch Depressionen oder emotionale Störungen können sich mit den Pferden lösen, wie Ursula Weishaupt erlebt hat: „Wir hatten ein Mädchen bei uns, das durch ein Trauma sehr in sich verschlossen war. Sie hat nie geredet und nie gelacht. Niemand hat einen Zugang zu ihr gefunden“, erinnert sich die 41-Jährige. „Und es hat zwar etwas gedauert, aber dann hat sie sich auf Amira eingelassen und ganz langsam wieder Vertrauen gefasst.“ Die Haflingerstute sei der „Türöffner“ zu den Gefühlen des Mädchens gewesen. „Der Tag, an dem sie angefangen hat zu reden und nach einem Ausritt lachend auf ihren Betreuer zugelaufen ist, bleibt uns allen in Erinnerung.“

„Was Menschen nicht gelingt, schaffen Tiere oft in Sekundenschnelle“, wissen die beiden Reittherapeutinnen, die mit jungen und älteren Klienten aus Wohngruppen, Kinderheimen oder mit Privatpersonen direkt am Stall arbeiten und neuerdings durch die mobile Reittherapie auch in Seniorenheime fahren. Dass die Vierbeiner die intuitive Fähigkeit haben, Ängste und Schwierigkeiten der Zweibeiner zu erspüren, sei einer der Schlüssel für den Erfolg, sagt Ursula Weishaupt. „Die Pferde spüren einfach, ob sie besonders behutsam sein müssen“, erzählt sie. „Ansonsten ist es einfach schön, dass sie völlig wertfrei auf die Klienten zugehen. Es ist Amira und den anderen Ponys egal, wie jemand aussieht, wie er redet, nicht gut zu Fuß unterwegs ist oder ob jemand verschlossen ist. Sie bewerten nicht. Die Ponys finden es einfach nur toll, wenn jemand Zeit mit ihnen verbringt.“

 Seite einem Jahr kommt Sabine Jäger einmal in der Woche nach Dhünn, um bei der Pferdetherapie mitzumachen.

Seite einem Jahr kommt Sabine Jäger einmal in der Woche nach Dhünn, um bei der Pferdetherapie mitzumachen.

Foto: Kathrin Kellermann
 Sabine und Merle sind schon beide versierte Reiter.

Sabine und Merle sind schon beide versierte Reiter.

Foto: Kathrin Kellermann

Dafür geben sie auch viel zurück: Vertrauen, Zuneigung, Halt. Mehr als einmal haben die Reittherapeutinnen erlebt, wie sich innere Blockaden bei jungen Klienten gelöst haben. „Kinder, die ansonsten kaum reden, fangen an, sich mit den Ponys zu öffnen. Manchmal wollen sie auch einfach mal nur alleine mit dem Pony in der Halle spazieren gehen und dem Pferdchen etwas erzählen. Das ist dann ein erster kleiner Erfolg und genau das wollen wir erreichen. Dass sich Menschen, die – egal welche – Schwierigkeiten haben, sich entspannen können, sich dadurch vielleicht Blockaden lösen und sie mit einem glücklichen Lächeln und einem guten Gefühl vom Hof gehen.“ Dass Pferde Lehrer sein können, hat Ursula Weishaupt selbst erlebt. „Sie spiegeln dich“, sagt sie lächelnd. „Wenn du gestresst in den Stall kommst, wird auch das Pferd so reagieren. Bis du eben ruhiger wirst.“ Das hat sie mit ihrer Ponystute Beauty gelernt, die sie vor 19 Jahren gekauft hat. Heute wird die alte Dame nur noch von der siebenjährigen Merle geritten. „Kann ich mit raus?“, fragt die Tochter von Thaïs Krings prompt, als Sabine Jäger Amira zur Aufsteigehilfe führt. Wenig später ist das „Therapiewerk“ auf dem Weg ins Ausreitgelände in Dhünn. „Es ist so schön“, sagt Sabine, die glücklich auf Amiras Rücken sitzt. „Ich reite auch gerne in der Halle, aber in der Natur ist es am schönsten!“

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