Kritisches Meinungsbild Keine EM-Euphorie bei Amateurtrainern

Leverkusen · An diesem Freitag startet die Europameisterschaft. Begeisterung für das Fußball-Großereignis will sich bei den Trainern des SV Schlebusch, FC Leverkusen und SC Hitdorf aber noch nicht einstellen.

 Hitdorfs Trainer Udo Dornhaus verspürt keine große Vorfreude auf die EM – und ist damit keine Ausnahme.

Hitdorfs Trainer Udo Dornhaus verspürt keine große Vorfreude auf die EM – und ist damit keine Ausnahme.

Foto: Matzerath, Ralph (rm-)

Unter normalen Umständen wäre Stefan Müller jetzt schon im EM-Modus, wüsste genau, wann welches Spiel ist und wie es um die deutsche Nationalmannschaft steht. Doch was ist in diesen pandemiegeplagten Zeiten noch normal? „Ich bin absolut nicht in Stimmung“, sagt der Trainer des Fußball-Landesligisten SV Schlebusch. „Für mich ist das alles irgendwie noch weit weg.“

Aussagen wie diese sind zum einen von dem Abstand genährt, den die Pandemie zwischen Fan und Fußball geschaffen hat, aber auch durch Skepsis. Trotz Corona konnten die Profis ihr Ding weitgehend durchziehen, während der Amateursport und viele andere Bereiche monatelange Zwangspausen hinnehmen mussten – und bis heute müssen. „Es ist zu viel Kommerz und mein Verständnis, dass man die Europameisterschaft jetzt auf Biegen und Brechen durchziehen muss, hält sich in Grenzen. Schon jetzt gab es wieder Infektionen bei ein paar Mannschaften und es geht trotzdem weiter.“ Hinzu komme die Situation in Branchen, die durch die Pandemie extrem betroffen sind. „Die Leute haben gerade andere Dinge als Fußball im Kopf“, sagt Müller.

Auf der anderen Seite verspürt aber auch er zumindest leichte Vorfreude. Vielleicht sei es auch so, dass bei dieser EM der Appetit erst beim Essen komme, mutmaßt der Trainer metaphorisch. „Ich freue mich darauf, die Spiele mit ein paar Freunden zu schauen. Ob nun Public Viewing möglich oder überhaupt nötig ist, weiß ich nicht.“ Die Spiele verfolge er stets mit der Trainerbrille. „Jeder, der in unserem Metier unterwegs ist, schaut nicht einfach so Fußball. Das Fachsimpeln gehört dazu – aber auch, was man sich für die eigene Arbeit abschauen kann.“

Für Müller ist zum Beispiel die Arbeit von U21-Trainer Stefan Kuntz, der unlängst die DFB-Nachwuchsauswahl zum EM-Titel führte, „sehr inspirierend“, wie er betont. „Das ist Fußball, wie er sein sollte. Davon können sich viele eine Scheibe abschneiden.“ Was die A-Nationalmannschaft angeht, wagt der Schlebuscher keine Prognose. „Da ist vom Aus in der Vorrunde bis zum Finale alles denkbar.“ Der 7:1-Testspielsieg gegen Lettland sei jedenfalls ein Muster ohne Wert.

Die Vorfreude auf das paneuropäische Turnier hält sich auch bei Chrisovalantis Tsaprantzis in Grenzen – und das nicht nur, weil seine Griechen die Qualifikation verpasst haben. Der Trainer des Bezirksligisten FC Leverkusen macht seine Gefühlslage unter anderem an den Coronabedingungen fest. „Wie ich gehört habe, ist nur in einem Stadion die volle Zuschauerzahl erlaubt – dabei lebt so ein Turnier doch von vollen Arenen“, sagt er. Ein weiterer Grund für ausbleibende Euphorie sei Übersättigung: „In den letzten Monaten lief so viel Fußball im TV…“ Der 35-Jährige erwartet aber immerhin torreiche Duelle. „Aufgrund der langen Saison werden nicht alle Spieler bei 100 Prozent sein und womöglich mehr Tore als üblich fallen.“ Auf seinem Favoritenzettel stehen neben Deutschland vor allem Frankreich und Spanien.

Udo Dornhaus ist ein selbsternannter Fußballverrückter. Doch auch beim Trainer des Kreisligisten SC Hitdorf hat das gewohnte „Kribbeln“ vor einem großen Turnier noch nicht eingesetzt. „Wir Amateurfußballer können selbst noch nicht wieder richtig spielen – und dann ist plötzlich EM“, sagt er. Wirklich mit dem Spielplan befasst habe er sich daher noch nicht. „Aber sobald das erste Spiel angepfiffen ist, werden die Freude und das Interesse schon kommen.“ Dornhaus macht allerdings keinen Hehl daraus, dass ihm der Profifußball in den vergangenen Monaten nicht wirklich Spaß bereitet hat. „Die Bundesliga-Saison hatte in meinen Augen Freundschaftsspielcharakter. Selbst wenn ein Heimteam in Rückstand lag, ist die Partie häufig nur so dahingeplätschert.“

Der Coach des SCH erwartet stark defensiv orientierte Mannschaften bei der EM. „Auch die Spiele zum Saisonende in der Bundesliga haben gezeigt, dass die Teams oftmals vorsichtiger agieren“, betont er. Deutschlands Auftaktgegner Frankreich sieht Dornhaus in der Rolle des Topfavoriten auf den Titel. Aber auch die Auswahl des DFB sei „zu allem fähig – wenn sie denn nicht mit einer Dreierkette spielt.“

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