Werner Witte aus Leichlingen Einfach mal wie früher kallen

Werner Witte war mehr als 30 Jahre Standesbeamter in Leichlingen. In seiner Freizeit erzählt er gerne Geschichten auf Leichlinger Platt.

 Werner Witte auf seinem Balkon, von dem aus er Teich und Fischreiher bestens im Blick hat.

Werner Witte auf seinem Balkon, von dem aus er Teich und Fischreiher bestens im Blick hat.

Foto: Miserius, Uwe (umi)

„Dat Evangelium van dem Jesus singer Jeburt, su ähnlich wie dat dä Lukas im zwedden Kapitel verzällt het. Also dat wor su: Dä Kaiser Aujustus van Rom dä het ne Befehl jemaht, su wie dat su ne Kaiser dunn moht. Dä Befehl wor, dat all die Lück, die in däm singen Rich levten, mohten opjeschreven werden. Et wor dat ierschte Mol, dat die do hengen in Rom op sunnen Jedanken jekummen woren. Un do wor ne Kääl, dä hieß mit Namen Cyrinius, dat wor su ne Art Unter-Herrscher und zwar van Syrien – da sohlden dat alles arrangieren. Un su kohm et, dat die janzen Lück, die im Römischen Rich wondten, dohin jonn mossten, wo se fröher jeboren worden woren. Dä Josef, jo, dä wondten in nem Dorp oder su in Jaliläa, dat Dorp hieß Nazareth, also dä Josef mosste us Jaliläa in en jang angere Jejend jonn.“

Weihnachtsgeschichte Lukas, 2,1-7

Wo viele, vor allem jüngere, Menschen nur Bahnhof verstehen, fühlen sich andere Menschen in alte Zeiten versetzt, wenn sie wie oben die Weihnachtsgeschichte auf Leichlinger Platt lesen oder hören. Diese Erfahrung hat Werner Witte schon oft gemacht, wenn er beginnt, in seinem Heimatdialekt zu kallen. „Die einen verstehen ungefähr, wovon die Rede ist und müssen bei bestimmten Sachen nachfragen, die anderen antworten mir auf Platt und fangen selbst an, zu erzählen.“

Ihm selbst ist der Leichlinger Heimatdialekt in die Wiege gelegt worden – oben auf dem Berg, als waschechter Leichlinger. Am 1. Februar 1942 wurde er im Hohlenweg geboren, und nicht in einem Krankenhaus in einer Nachbarstadt. „Das war ja auch noch zu Kriegszeiten“, sagt Witte, und fügt schmunzelnd hinzu: „Ich war sogar noch vor der Hebamme da.“ Die blieb nämlich auf dem Weg zu seiner Mutter in einer Schneewehe stecken und musste erstmal von einem Bauern aus der Nachbarschaft befreit werden. „Bis das passiert war, wussten schon alle im Dorf, dass ich da war“, sagt Werner Witte und lacht. Die Oma hat ihn damals auf die Welt geholt.

Kurze Zeit später zog die Familie nach Bennert um, in ein Haus, das später zur Schule wurde. Oben auf dem Berg sprachen alle Leichlinger Platt, egal, ob Familie, Nachbarn oder Lehrer. „Das war ganz normal, ich bin damit aufgewachsen.“ Schließlich fragte Hauptlehrer Fester seinen Schüler, ob er bei einer Feierstunde am Ehrenmal nicht ein Gedicht aufsagen wolle, natürlich auf Platt. Werner Witte wollte, und damit begann ein Hobby, das ihn sein Leben lang immer wieder begleitet hat.

Vielen Leichlingern dürfte Werner Witte bestens bekannt sein, denn von 1969 bis 2002 war er Standesbeamter. Zwischen 3000 und 4000 Paare hat er in dieser Zeit in den Ehestand geleitet, hinzu kamen unzählige Beglaubigungen von Geburten, Adoptionen und mehr. Über seine Arbeit im Rathaus kam Witte in Kontakt zu Mundartdichtern wie Willi Franke, Fritz Strommenger oder Josef Herweg, um nur einige zu nennen.

Gemeinsam wurden Gedichte und Dönekes auf Platt erzählt und aufgeschrieben. Höhepunkt für Witte war die Teilnahme am Leichlinger Heimatspiel von Fritz Hinrichs, das 1973 zur 1000-Jahr-Feier im Germaniabad aufgeführt wurde. Anschließend wurde es um die Gruppe der Mundartfreunde ruhiger. „Inzwischen bin ich ja als einziger übrig geblieben“, bedauert der 77-Jährige.

2004 packte es ihn noch einmal. Damals las er am 24. Dezember in der Kirche die Weihnachtsgeschichte auf Leichlinger Platt, so wie es kurz zuvor ein Pfarrer in Köln gemacht hatte, natürlich auf kölsch. „Das ist damals sehr gut angekommen“, erinnert sich Witte. Mindestens genauso gut ist die Weihnachtsgeschichte auf Platt auch vor wenigen Wochen angekommen, bei der Weihnachtsfeier der Tagespflege im Altenzentrum Hasensprungmühle.

Im September 2019 ist Werner Witte mit seiner Frau Brigitte in eine Wohnung ins Altenzentrum gezogen, mit direktem Blick ins Grüne und auf den Teich. „Ich genieße diese Aussicht sehr, das ist wie Urlaub“, schwärmt er. Von seinem Balkon aus lässt sich beispielsweise ausgezeichnet der Fischreiher beobachten.

Am Tag seines Einzugs im vergangenen Herbst meinte es der Zufall wohl besonders gut mit Witte. Während er mit seinen Umzugskartons beschäftigt war, sprach ihn ein älterer Mann an – im Leichlinger Dialekt. „Er hat mich gefragt, ob ich wohl gerade beim Friseur war“, erzählt Witte schmunzelt. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken habe er ihm auf Platt geantwortet, und schon war ein munteres Gespräch im Gange.

Das bekam Silvia Delbressine, Leiterin der Tagespflege, zufällig mit, und schon war es passiert. Seitdem hat er nicht nur bei der Weihnachtsfeier vorgetragen, sondern auch bei anderen Gelegenheiten Gedichte und Dönekes. „Das ist so gut angekommen bei den Besuchern, dass inzwischen schon öfter nachgefragt wurde, wann denn der Herr Witte wiederkommt“, erzählt Witte und lacht.

Für seine Vorträge hat er seine alten Ordner mit der umfangreichen Sammlung von Texten und Gedichten heraus geholt. Einmal im Monat möchte er künftig mit Besuchern der Tagespflege und auch im Altenheim auf Platt kallen. „Viele fangen dann an von früher zu erzählen und freuen sich, die haben bestimmte Worte noch von früher im Ohr.“ Und noch einen schönen Nebeneffekt haben die Mundart-Nachmittage: „Man trifft viele alte Bekannte, und das ist immer sehr schön.“

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