Textilmuseum Krefeld Der große Mao-Anzug-Irrtum

Krefeld · Das neueste Stück in der Sammlung des Textilmuseums ist ein sogenannter Mao-Anzug. Dass der Diktator ihn gar nicht eingeführt hat, und was die Einheitskleidung mit den Drachen der Kaiser gemein hat, erforscht zur Zeit Bruno Walter Brix. Im Oktober will das Museum eine prächtige Ausstellung chinesischer Gewänder zeigen – und die Mao-Kluft

 Annette Schieck, Leiterin des Deutschen Textilmuseums Krefeld, und Walter Bruno Brix mit der Neuerwerbung: ein „Mao-Anzug“ aus den 1950er bis 1970er Jahren. Anschaffungspreis: 50 Euro – mit Versand.

Annette Schieck, Leiterin des Deutschen Textilmuseums Krefeld, und Walter Bruno Brix mit der Neuerwerbung: ein „Mao-Anzug“ aus den 1950er bis 1970er Jahren. Anschaffungspreis: 50 Euro – mit Versand.

Foto: Fabian Kamp

Mao trat nie ohne auf: Die kastenförmige Jacke mit dem schmalen Rundkragen und den vier aufgesetzten Taschen war sein Markenzeichen. Er trug bevorzugt Grün – die Farbe des Militärs. Der chinesische Diktator (1893-1976) ist mit der Uniform so eng verbunden, dass man meinen möchte, er habe die Einheitskleidung erfunden, die noch heute seinen Namen trägt: Mao-Anzug.

Doch es ist ein historischer Irrtum. In China weiß niemand, was ein Mao-Anzug ist.  Das stellt Walter Bruno Brix klar. Der „Mao-Anzug“ hat seine Wurzeln um das Jahr 1880;  eingeführt hat ihn Sun Zhongshan (1866-1925), der erste Präsident der Chinesischen Republik, der 1911 den letzten Kaiser stürzte. Als „Sun Yat-sen“ ist er im Westen bekannt, unter seinem Namen  „Sun Zhongshan“ machte er den uniformen Zweiteiler  als  „Zhongshan-Anzug“ bekannt. Einen solchen Anzug in Dunkelblau hat der Experte für ostasiatische Textilien jetzt dem Deutschen Textilmuseum als neuestes Sammlungsstück vermittelt: Er stammt aus den 1950er bis 1970er Jahren und hat 50 Euro gekostet – mit Versand.

 Ein Drachenmotiv auf einem altchinesischen Seidenfragment. Der Symbolgehalt der Drachen ist hoch. Aber auch die „Mao“-Anzüge entsprechen chinesischer Symbolik.

Ein Drachenmotiv auf einem altchinesischen Seidenfragment. Der Symbolgehalt der Drachen ist hoch. Aber auch die „Mao“-Anzüge entsprechen chinesischer Symbolik.

Foto: Petra Diederichs

„Entscheidend ist nicht der Warenwert, sondern der kulturgeschichtliche Wert“, sagt Brix. „Die Anschaffung zeigt, dass wir es anders bewerten als die Chinesen.“ Dort werden solche Anzüge, wenn sie noch in einem Kleiderschrank hängen, ausgemustert. Nicht unbedingt, weil sie an eine Diktatur erinnern. Sie sind einfach nicht westlich genug für den aktuellen Modegeschmack in China. Für die Krefelder Sammlung ist es ein besonderes Stück, denn es wurde in Hangzhou gefertigt, der Stadt, die das berühmte Nationalmuseum für Seide beherbergt. Und es soll einer Ausstellung, die im Oktober im Haus am Andreasmarkt eröffnet wird, eine politische Note geben. „Drachen aus goldenen Fäden“ wird prächtige seidene Gewänder aus China zeigen  – vom frühen 13. Jahrhundert und dank des neuen Exponats bis in die Neuzeit.

Kostbare Kaisergewänder wird es geben, große Priesterroben, Theaterkostüme und Hochzeitsgewänder, Sommerkleider für den Kaiser und etliche Accessoires. Zentrales Motiv ist die Darstellung des Drachen. Seit 2016 forscht Brix zu den 500 Objekten mit chinesischer Herkunft in der Museumssammlung – und ist begeistert von den „tollen Stücken“.

 Mao im typischen Anzug auf einem Propaganda-Poster.

Mao im typischen Anzug auf einem Propaganda-Poster.

Foto: dpa

Die Geschichte der Drachen – das Herrschaftssymbol der Kaiser – wird viel Raum einnehmen. Ob das Fabelwesen vier oder fünf Klauen hat, offene oder halbgeschlossene Augen – all das gibt Aufschluss auf die Epoche und die Träger.

Aber auch am Mao-Anzug lässt sich vieles trefflich deuten. Die Geschichte beginnt um 1880. „Da haben die Chinesen auf die deutschen und französischen Uniformen  geguckt und versucht, ihre Kleidung für die Armee optisch anzupassen“, sagt der Experte. Wenn auch der Look westlicher erschien, verzichteten die Chinesen nicht auf ihre Symbolik: drei Knöpfe am Ärmel, fünf in der Knopfleiste – alles kein Zufall. „Die vier Taschen stehen für konfuzianische Kardinalstugenden: Schicklichkeit, Gerechtigkeit, Ehrbarkeit und Schamgefühl“, zählt er auf. Auch die Farben haben Bedeutung: Blau zeigt den Arbeiter und Bauern, Grün gehört dem Militär und Braun oder Grau steht für höhere Kader.

Ursprünglich war der Anzug ein Symbol für das neue, moderne China, das Sun Yat-sen in die Zukunft führen wollte. Die weiten Gewänder hatten ausgedient und wurden, weil sie genug Stoff boten, oft einfach umgeschneidert. „Es gab Anleitungen, wie die Gewänder aufzutrennen waren, um daraus einen Anzug zu nähen“, so Brix. „Es war viel toller, sich einen Anzug aus Wolle oder neuen Kunstfasergemischen zu leisten, als ein umgeschneidertes Exemplar aus Seide zu tragen.“ Erst Mao machte den Anzug zu einem Symbol der Revolution und einem Ausdruck der Konformität. „Heute kann man solche Anzüge noch schneidern lassen“, sagt Brix. Zum Preis von 100 Euro.

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