Corona-Pandemie Chinas Wirtschaft im freien Fall

Peking · Die Zahl der Neuerkrankungen sinkt erheblich. China fürchtet sich nun vor dem Ausland.

 In Peking gehen Menschen auf einem Markt einkaufen.

In Peking gehen Menschen auf einem Markt einkaufen.

Foto: dpa/Mark Schiefelbein

Der Einbruch schien unvermeidlich, es ging bloß noch um das Ausmaß. Seit Montag weiß man, wie dramatisch es um die zweitgrößte Volkswirtschaft steht: Laut Chinas Statistikamt ist die Industrieproduktion für die ersten zwei Monate des laufenden Jahres um 13,5 Prozent eingebrochen, Anlageinvestitionen schrumpften gar um ein Viertel.

Für China ist dies ein historischer Schlag. Das letzte Mal, als die Wirtschaft landesweit geschrumpft ist, war Mao Tsetung noch an der Macht: 1976, gegen Ende der Kulturrevolution. Insofern beweisen die ernüchternden Zahlen auch die Bereitschaft einer von Wirtschaftsaufschwung besessenen wie gleichfalls abhängigen Kommunistischen Partei, ihre Prioritäten für den Kampf gegen das Virus zu opfern.

Für Europa bieten die neuesten Konjunkturdaten der Volksrepublik zudem einen ernüchternden Blick in die eigene Zukunft. Schließlich steht Deutschland und seinen Nachbarländern wohl ein ähnliches Szenario bevor, das China bereits hinter sich hat: Vor fast zwei Monaten hat die Regierung weite Teile der Wirtschaft im Kampf gegen das Virus zum Stillstand gebracht, nur essenzielle Industrien wie die Lebensmittelproduktion und der medizinische Sektor liefen auf Normalniveau weiter.

Seit über zwei Wochen jedoch sind die Neuinfektionen des weltweit bevölkerungsreichsten Landes geradezu verschwindend gering, am Montag bestätigte die Nationale Gesundheitskommission in Peking nur 16 neue Fälle. Seit einigen Tagen nimmt das öffentliche Leben daher wieder Fahrt auf: Knapp die Hälfte aller Restaurants in der chinesischen Hauptstadt haben wieder geöffnet, wenn auch unter starken Auflagen. Immer mehr Anwohner wagen sich auf die Straßen, gehen ihrer Arbeit im Home-Office nach und konsumieren wieder.

Und doch läuft das Anfahren der Volkswirtschaft mit Handbremse: Noch immer stehen beispielsweise etliche Chinesen unter Hausarrest und Fabrikarbeiter hängen aufgrund von Reisebeschränkungen in Provinzen fernab ihres Arbeitsplatzes fest. Unternehmen bekommen Einzelteile nicht zeitgerecht geliefert. Vor allem für Mittelständler ist die Krise existenzbedrohend: Der weite Teil von ihnen hat laut aktuellen Erhebungen nur finanzielle Rücklagen von ein bis drei Monaten.

Doch Grund für die weiterhin strengen Maßnahmen gegen das Virus ist vor allem die Angst vor importierten Ansteckungsfällen aus dem Ausland. Nur ein Infektionsstrang kann schließlich ausreichen, dass sich das Blatt in den dicht besiedelten Städten Chinas wieder zum tragischen wendet. Deshalb bleibt die Lage weiterhin angespannt: Präsident Xi Jinping muss weiter einen Drahtseilakt zwischen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen finden.

Angesichts der drastischen Lage scheint ein Rückgang der Industrieproduktion von 13,5 Prozent sogar noch glimpflich. Doch dieser Eindruck könnte täuschen, meint Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking: „Die ersten drei Wochen im Januar vor den Gegenmaßnahmen waren eben noch sehr, sehr gut. Deswegen spiegeln die Zahlen den Absturz auch noch gar nicht so wider, wie wir ihn empfunden haben.“ Das Schlimmste könne also noch zeitversetzt kommen.

Die besorgniserregenden Daten aus Pekings Statistikamt haben Wuttke nicht überrascht, schließlich brauche es Zeit, bis eine Wirtschaft von der Dimension Chinas wieder anfährt. „Was mich allerdings schon überrascht, ist, dass immer noch einige Analysten davon ausgehen, dass China ein Jahreswachstum von sechs Prozent erreichen kann. Fünf Prozent wären meiner Einschätzung das bestdenkbare Resultat“, sagt Wuttke.

Tatsächlich sind die offiziellen Wirtschaftszahlen der chinesischen Regierung immer mit Vorsicht zu genießen. Am akkuratesten spiegeln die tatsächliche Produktivität und Wirtschaftsleistung empirische Daten wie etwa Autoverkäufe oder der Energieverbrauch wieder. Doch auch diese Indikatoren zeichnen ein tristes Bild: Immobilienverkäufe sind rund um ein Drittel zurückgegangen.

Wuttke glaubt, dass auch Europas Wirtschaft leidet: „China wird sehr getroffen und Europa sicher auch. China wird allerdings als erstes wieder aus der Krise herauskommen.“

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