Theater in Krefeld „Corona-Stress-Test haben wir bestanden“

Krefeld · Der Intendant des Theaters Krefeld-Mönchengladbach, Michael Grosse, äußert sich im Gespräch mit unserer Redaktion zu der schwierigen Situation während der Corona-Pandemie. Er hält die finanzielle Lage des Theaters für stabil.

 Generalintendant Michael Grosse spricht über die schwierige Zeit während der Corona-Pandemie.

Generalintendant Michael Grosse spricht über die schwierige Zeit während der Corona-Pandemie.

Foto: Fabian Kamp

Wie geht es dem Theater in diesen turbulenten Zeiten?

Grosse Wir sind mit der ungewohnten Situation, die wir alle haben, gut klar gekommen. Seit Anfang Juni sind wir mit angepassten, corona-tauglichen Formaten am Start. Ich würde sagen: Den Corona-Stress-Test seit dem 13. März haben wir bestanden.

Anders als viele andere Häuser hat das Theater Krefeld-Mönchengladbach den Spielbetrieb nicht eingestellt. War das eine gute Entscheidung?

Grosse Ich habe keinen Überblick, welche Häuser weiter gemacht haben und welche nicht, aber es waren nicht so viele. Aus meiner Sicht war es die einzig richtige Entscheidung. Unser Theater war nie stillgelegt. Es war lediglich für den Besucherverkehr gesperrt. Das Credo unserer Gesellschafterstädte war: Macht all die Arbeiten, die nicht-öffentlich möglich sind.

Wie sah das konkret aus?

Grosse Unsere Schneiderei hat Mundschutze genäht. Wir haben Dekorationen fertig gestellt. Unsere Maske hat Perücken geknüpft. Wir haben umfängliche Wartungsarbeiten durchgeführt, für die wir sonst Fremdfirmen beauftragt hätten. Auch eine Kostenersparnis. Unsere Presse- und Marketingabteilung hat das neue Jahresheft zu Ende bearbeitet; viele waren im Homeoffice. In der Personalabteilung musste geschaut werden, wer zur  Risikogruppe zählt, wer wegen Kinderbetreuung andere Arbeitszeiten brauchte; die Dienstpläne mussten angepasst werden. Wir mussten die Arbeitsabläufe ändern, um die Raumquotienten anzupassen. Es wurde zum Beispiel in Schichten gearbeitet.

Wie viele Mitarbeiter waren im Homeoffice?

Grosse Etwa zehn Prozent der Leute mussten unter anderen Bedingungen arbeiten.

Viele haben die Corona-Zeit als Entschleunigung erlebt. Sie auch?

Grosse Als stressbelastete Entschleunigung. Ja, Corona hat die Abläufe verlangsamt, dafür aber viel komplizierter gemacht. Wir mussten zum Beispiel bis 30. Mai ein Hygienekonzept auf den Weg bringen, weil wir unbedingt die Sondergenehmigung für Veranstaltungen unter 100 Besuchern haben wollten. Wir haben uns in die Schutzverordnungen eingearbeitet, die ständig aktualisiert wurden und die wir dann schnellstmöglich aufs Theater übertragen mussten. Wir haben einen Sonderspielplan für den Juni entworfen. Die Formate dafür mussten – abgesehen von Nipple Jesus – alle neu erarbeitet werden: Der Tell etwa als Kopfkino, die Lola, die Promenadenkonzerte. Gerade haben wir einen neuen Spielplan erarbeitet. Üblicherweise brauchen wir dafür sieben Monate. Jetzt haben wir ihn innerhalb von sechs Wochen auf die Beine gestellt. Hinter all dem steckt viel, viel Arbeit.

Sie stellen diese Woche noch einen neuen Spielplan vor. Für welche Zeit gilt er? Und was erwartet die Zuschauer?

Grosse Wir gehen davon aus, dass unser Plan B für die erste Spielzeithälfte der Saison 2020/ 2021 gelten wird. Er wird corona-tauglich sein im Zuschauerbereich wie auf der Bühne. Mit den entsprechenden Abstandsregeln, die fürs Sprechen, Singen und Tanzen nötig sind.  Weder auf der Bühne noch im Orchestergraben sind große Besetzungen möglich. Auch eine große Komödie, die von der Atmosphäre lebt, ist nicht zu realisieren. Es sind komplett andere Produktionen als die bisher geplanten.

Alberts Camus’ „Pest“ und Samuel Becketts „Endspiel“ stehen auf dem Plan. Erwartet die Zuschauer ernsthaftes Corona-Theater?

Grosse Zum Plan B gehören noch viele andere Titel. Ich denke, die Leute erwarten von uns, dass wir die Ereignisse thematisieren, aber auch, dass wir sie davon ablenken. Wir werden beides tun.

Wird es ein Corona-Stück geben?

Grosse Nein. Ein spezielles Corona-Stück ist nicht geplant. Das wäre thematisch zu eingeschränkt. Gutes Theater sollte auch nicht plakativ sein.

Wird Corona Ästhetik und Kunst verändern?

Grosse Ja, die Themen und die Ästhetik werden sich durch die jetzigen Ereignisse verändern. Das war nach 9/11 auch so.

In den vergangenen Monaten ist das Theater mit Streaming-Formaten und Podcasts an die Öffentlichkeit gegangen. Werden Sie das in der Nach-Corona-Zeit beibehalten?

Grosse Nein, wir wollten für niveauvolle Lebenszeichen sorgen und sind deshalb diese Wege gegangen. Auf Dauer ist dies nicht das Medium des Theaters. Auch die  Urheberrechte und die Abgelte zu den normalen Aufführungsrechten sind für uns auf Dauer nicht haltbar.

Mit den  digitalen Formaten waren Theater-Ereignisse wie „Wilhelm Tell“ und der Podcast „Der Fall d’Arc“ plötzlich online und umsonst für alle zu haben. Wie war die Resonanz?

Grosse Das lässt sich für uns nicht abbilden. Wir haben guten Zuspruch erhalten. Der Tell ist mit rund 3000 Klicks bisher das beliebteste Format. Wenn das Theater dadurch neue Zuschauer erhält, ist das ein  angenehmer Nebeneffekt.

Wie haben die Abonnenten auf die Theaterabstinenz reagiert?

Grosse Es gab keine Tsunami-Kündigungswelle. Das ist schon mal gut. Viele sind uns sehr zugetan und haben nachgefragt. Wie sich das langfristig entwickelt, weiß ich nicht. Unser Sonderspielplan für Juni wurde anfangs sehr zögerlich angenommen, doch jetzt sind viele Vorstellungen ausverkauft.

Nach den neuen Abstandsregeln passen rund 70 statt 700 Zuschauer pro Vorstellung in die beiden großen Theaterhäuser ...

Grosse Das bedeutet, dass wir mit einer Auslastung von nur zehn bis 15 Prozent spielen. Um die Aufführungen für unsere Abonnenten sicherzustellen, müssen wir die Zahl der Aufführungen verdoppeln. Zugleich fallen Produktionen in der Fabrik Heeder in Krefeld und im Studio Mönchengladbach weg.

Wie steht das Theater finanziell da?

Grosse Für das jetzige Geschäftsjahr werden wir keine Nachtragshaushalte und keine unerwarteten Zuschüsse brauchen. Zweidrittel der Spielzeit sind normal gelaufen und damit die umsatzstärkste Zeit des Jahres. In den vergangenen Monaten hatten wir zwar weniger Erlöse, aber die Kosten waren auch reduziert. Jetzt passiert also noch gar nichts. Wir können das Paket „Theater mit Zukunft II“ mit positiven Zahlen abschließen. Es bedarf weder eines Nachtragshaushaltes noch eines unerwarteten Zuschusses. Wir können unser Stammkapital erhalten.

Und wie sieht es für die nächste Spielzeit aus?

Grosse Da kommen schon Probleme auf uns zu. Das Paket „Theater mit Zukunft III“ kommt, und es ist in der jetzigen Zeit gut, dass wir diese Fünf-Jahrespläne haben, denn bei einer Belegung von zehn bis 15 Prozent der Plätze haben wir natürlich riesige Einnahmeverluste. Es hängt davon ab, wie sich die Lage entwickelt. Es wird einen neuen Tarifabschluss geben. Es ist offen, ob der so hoch wie üblich ausfällt. Es kommen Probleme auf uns zu, aber ich würde nicht sagen, dass sie unbeherrschbar sind.

Für die freie Szene sieht das anders aus....

Grosse Ja, die steht vor dem Nichts. Das ist hochproblematisch. Deshalb finde ich die Idee des Theaters hintenlinks in Krefeld sehr überlegenswert: eine Stätte einzurichten, die groß genug ist für Kleinformate – im Sinne eines Zusammenschlusses.

Ein Blick in die Kristallkugel: Wird die Kulturlandschaft nach Corona noch genau so aussehen wie vorher?

Grosse Es wird immense Anstrengungen zum Substanzerhalt geben. Und je kleiner die Einrichtung, desto kleiner die Spielräume. Mir ist bei den Städten Krefeld und Mönchengladbach nicht bang. Ich bin mir sehr sicher, dass es bei ihnen keinen leichtfertigen Umgang mit kultureller Substanz geben wird.

Hatten Sie in der schwierigen Zeit ein positives Erlebnis?

Grosse Kann ich gar nicht sagen. Ich war damit beschäftigt, die Krise zu managen.

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