Kunstmuseen Krefeld Wie die Bauhaus-Idee wüstentauglich wird

Krefeld · Der israelische Fotograf Sharon Ya’ari hat eine Ausstellung für Haus Esters kreiert. Zu einzelnen Bildern gibt es digitale Führungen. Kuratorin Magdalena Holzhey und Israel-Kennerin Sandra Franz betrachten die Werke aus ganz unterschiedlicher Perspektive.

 Sharon Ya‘ari hat das 1928 von Richard Kauffmann geplante Kulturzentrum Beit Ha’am in Nahalal fotografiert, wie es heute aussieht. Die offenen Fenster sind längst  zugemauert.

Sharon Ya‘ari hat das 1928 von Richard Kauffmann geplante Kulturzentrum Beit Ha’am in Nahalal fotografiert, wie es heute aussieht. Die offenen Fenster sind längst  zugemauert.

Foto: Martin Janda Galerie /Kunstmuseen Krefeld/Martin Janda Galerie

Es ist das Jahr 1928. An der Wilhelmshofallee wird gebaut – schockierend modern. Ja, geradezu avantgardistisch. Auch in Palästina setzt eine neue Form der Architektur Zeichen. Die Formel, die die Form der Funktion unterordnet, dieser Minimalismus, der dekorativen Extras keinen Raum gibt, weil er den Raum neu definiert, heißt: Bauhaus. In Krefeld entstehen die Stadtvillen Haus Esters und Haus Lange, geplant von einem Mann, der gerade beginnt, seinem Namen in Architektenkreisen Bedeutung zu verleihen, und von dem die Welt künftig noch viel hören wird: Ludwig Mies van der Rohe.  Die Villen gelten fortan als Leuchttürme der europäischen Moderne.

Der deutschstämmige Richard Kauffmann ist zu jener Zeit ausgewandert. Er wird einer der ästhetischen Ideengeber des späteren Staates Israel werden. Einer, der die Ideale des neuen Bauens aus Deutschland mitbringt. Er ist der  Architekt des  ältesten israelischen  Moschaw,  einer genossenschaftlich organisierten, ländlichen Siedlung. Es gibt Parallelen und noch mehr Unterschiede, wenn es um die Entwicklung der Idee eines neuen Wohnens für eine neue Gesellschaft geht. Die Idee  von Bauhaus hat sich im Nahen Osten von den europäischen Wurzeln weg entwickelt.

 Der Künstler Sharon Ya’ari vor der Eröffnung seiner Ausstellung in Haus Esters. In seinen Fotografien bildet er die Rudimente der Moderne im israelischen Alltag ab.

Der Künstler Sharon Ya’ari vor der Eröffnung seiner Ausstellung in Haus Esters. In seinen Fotografien bildet er die Rudimente der Moderne im israelischen Alltag ab.

Foto: Lammertz, Thomas (lamm)

 So lässt sich eine Ausstellung des zeitgenössischen israelischen Fotografen Sharon Ya’ari Iesen, die derzeit im Haus Esters aufgebaut ist. Seine Arbeiten zeigen,  wie die Bauhaus-Idee sich an die gesellschaftlichen und die wüstenartigen klimatischen Verhältnisse angepasst hat.

Auch wenn Tel Aviv, das mit seiner berühmten Weißen Stadt – etwa 4000 Gebäuden im Bauhaus-Stil, ab den 1920er Jahren von jüdischen Architekten, die aus Europa geflüchtet waren, konzipiert – in dieser Ausstellung keine Rolle spielt, wird es sichtbar. Gebäude stehen auf Pfeilern, um eine bessere Lüftung zu ermöglichen. Die bodentiefen Fenster, die Verbindung zwischen Drinnen und Draußen schaffen, bieten der Sonne zu viel Fläche. Statt dessen ziehen sich oft Balkone wie ein Band ums Gebäude. Sie spenden den darunterliegenden Etagen Schatten. Und die Flachdächer werden als Aufenthaltsorte in heißen Nächten genutzt.

 „Arad“ zeigt die Pfeiler  in der modernen Architektur.

„Arad“ zeigt die Pfeiler  in der modernen Architektur.

Foto: Kunstmuseen Krefeld

Ya’aris Aufnahme  „Beit Ha’am, Nahalal“ erzählt eine solche Entwicklungsgeschichte. Es ist zeitgleich mit den Krefelder Museumsvillen entstanden und war zunächst ein Kulturzentrum, ein Ort, an dem sich Menschen begegneten und entsprechend geprägt von einer Offenheit. Jahre später wurde es als Militärlager genutzt. Danach war es eine Zeitlang ein Kino. Heute ist es ein Mahnmal des Verlassenseins. Alle Ideen wurden aufgegeben, aber ihre Spuren sind festgeschrieben. Die zugemauerten Fensterbänder, Reste eines Spielplatzes, zurückgelassene Sonnenschirme spiegeln Ödnis.  Das Bild der modernen Gesellschaft, dass die Gründerväter Israels einst verfolgten, ist der Wirklichkeit einer anderen Zeit anheim gefallen. Ya’ari versteht sich nicht als Architekturfotograf, sondern als Beobachter des Banalen. Er ist ein Archivar des Alltäglichen, weil er Orte oft mehrfach aufsucht, Veränderungen sichtbar macht. Und so dokumentiert er fast nebenher, wie sich die aus Europa importierten Ideen des Neuen Bauens an das Land angepasst haben.

Die Ausstellung „The Romantic Trail and Concrete House“ an der Wilhelmshofallee sollte den Künstler mit seinem ersten musealen Soloauftritt etablieren. Doch nach der Eröffnung der eigens für die Mies-Villa konzipierten Schau musste Ya’ari vor der Heimreise in Corona-Quarantäne. Und wenige Tage später mussten die Kunstmuseen wegen des sich ausbreitenden Virus schließen. Bleibt die Hoffnung, die bis 30. August geplante Ausstellung demnächst noch zu sehen, das Warten auf den Katalog und ein virtueller Streifzug.  Unter dem Motto #closedbutopen widmet sich  Kuratorin Magdalena Holzhey im Dialog mit Sandra Franz, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle der Stadt und ausgewiesene Israel-Kennerin, ausgewählten Fotografien. Es sind kenntnisreiche, aber unterhaltsame Stippvisiten – spannend, weil sie einerseits mit kunstgeschichtlichem Hintergrund, andererseits mit esellschaftlichem Wissen und vor allem mit der Aufforderung zu eigener Deutung aufwarten. Fotos

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