Lokalsport Im ersten Anlauf Rekord-Weltmeisterin

Kleve · Die Kleverin Silke Thissen hat bei der Kegel-Weltmeisterschaft der Senioren den Titel im Einzel und Tandem gewonnen. Bei ihrer ersten WM-Teilnahme stellte sie gleich einen Weltrekord auf. Sie hofft auf mehr Interesse für ihre Sportart.

 Silke Thissen strahlt vor Glück über die beiden Medaillen bei den Senioren-Weltmeisterschaften.

Silke Thissen strahlt vor Glück über die beiden Medaillen bei den Senioren-Weltmeisterschaften.

Foto: Markus van Offern.

Wer Silke Thissen in diesen Tagen in ihrem Wirtshaus trifft, begegnet einer überglücklichen und stolzen Spitzensportlerin: Seit kurzer Zeit darf sie sich nämlich Weltmeisterin und Weltrekordhalterin im Kegeln nennen.

In dritter Generation führt Thissen die Gaststätte "Haus Ida" in Materborn. Dreh- und Angelpunkt des Betriebs sind die acht Kegelbahnen, mit denen sie nicht nur aufgewachsen ist, sondern auf denen sie auch mehrmals in der Woche die rautenförmig aufgestellten Kegel abräumt. Das Training auf den hauseigenen Scherenbahnen hat ihr nun zum größten Erfolg ihrer Sportkarriere verholfen. Bei der ersten Teilnahme an der Senioren-Weltmeisterschaft im niederländischen Eygelshoven gewann die 45-jährige im Einzel Gold mit Weltrekord. Mit 877 von 1080 möglichen Punkten übertraf sie die langjährige Bestmarke von 866. "Ich habe mit diesem Erfolg wirklich zu keinem Zeitpunkt gerechnet", sagt Thissen. Ihre erste Verfolgerin ließ sie bei fast 100 Zählern Vorsprung weit hinter sich.

Bei den Damen bis 44 Jahre sind Bundesliga-Einsätze die Bedingung für einen Startplatz beim Turnier der Weltbesten. In Kleve räumt Thissen für die Klever Kegel-Sport-Gemeinschaft jedoch nur in der NRW-Liga ab, weshalb ihr das WM-Ticket bisher verwehrt blieb. Nun aber durfte Thissen in der Altersklasse Ü44 starten. Mit dem Triumph bei der Deutschen Meisterschaft im vergangenen Jahr in Trier qualifizierte sie sich für das Turnier im Nachbarland, das sich über sechs Tage erstreckte und an dem neben zwölf deutschen Keglern auch Sportler aus Luxemburg, Belgien, der Niederlande und Frankreich teilnahmen. In den Jahren zuvor waren auch exotischere Länder mit von der Partie. Zu straffe Terminkalender und die hohen Anreisekosten aber schmälerten die Internationalität des Teilnehmerfeldes. Im Finale sah Thissen sich dann nur mit Sportlern aus den Benelux-Ländern konfrontiert.

Beim Sportkegeln duelliert man sich auf vier verschiedenen Bahnen mit jeweils 15 Durchgängen á zwei Würfen. So bringen die Spieler insgesamt 120 Kugeln pro Wettkampf auf die Bahn. Die Kegel, die beim ersten Wurf in die Vollen noch übrigbleiben, können beim zweiten abgeräumt werden. Der Start in Eygelshoven verlief für die Kleverin schleppend. Auf der ersten Bahn standen für die Erstwürfe nur 117 Punkte zu Buche. Damit verfehlte sie ihr Ziel von 120 Zählern. Das Abräumen im zweiten Anlauf aber gelang ihr in Perfektion, weshalb sich Thissen bereits zehn Würfe vor Schluss des Sieges sicher sein konnte. "Mein Trainer Stefan Blum hat mir in der Pause gesagt, dass ich mich einfach auf mein Spiel fokussieren soll und ich dann auch gewinnen würde", sagt sie. Blum behielt Recht und hob seinen Schützling so oben auf das Podest, wo Thissen von der Nationalhymne begleitet die Urkunden und Medaillen in Empfang nahm.

Mit dem Einzeltitel war ihre Gier nach Erfolg aber noch nicht gestillt. Auch im Paar mit ihrer langjährigen Weggefährtin Silke Blum aus Herne hielt sie ihre Gegenspielerinnen mit 637 Punkten deutlich auf Abstand. "Das war eine echte Teamleistung. Beim Kegeln muss zwischen den Partnern Harmonie herrschen. Der eine muss sich auf den anderen verlassen können. Schließlich muss ich abräumen, was sie anwirft." Auch Taktik und Technik dürfe beim Kegelsport nicht unterschätzt werden: "Man muss darauf achten, welche Gasse man wählt; also ob man in einer Links- oder Rechtskurve wirft und wann man die Kugel aufsetzt. Zudem muss man ein Gespür dafür entwickeln, wann Risiko angebracht ist." Besonderen Einfluss auf das Spiel aber nehme auch die Kulisse. Die Halle in den Niederlanden avancierte zu einem regelrechten Hexenkessel. "Die Anhänger der anderen Teams versuchten, mich mit lauten Rufen aus dem Konzept zu bringen. Aber ich war im Tunnel und sah nur meine Bahn", erklärt sie. Die Rivalität gebe es nur auf der Bahn; hinterher seien die Gratulationen und das Miteinander herzlich. Obergäriges werde gleichwohl nicht ausgeschenkt. "Es herrscht ein Alkohol- und Tabakverbot. Daran halten wir uns strikt. Schließlich repräsentieren wir dort unser Land und treiben professionellen Sport." Schweißtreibend und durchaus verletzungsanfällig sei das Sportkegeln, erklärt sie. Zur Vorbereitung vor dem Wettkampf ist daher intensives Warmlaufen und Stretching wichtig. Zudem walkt sie einmal in der Woche für eine bessere Kondition.

Begleitet wurde Thissen während des Turniers von einer Freundin, am letzten Turniertag folgte auch ihr Ehemann. "Ich weiß genau, was in ihr steckt. Sie stapelt immer tief. Aber ich habe mit ihrem Sieg gerechnet. Wenn sie ihr Spiel durchzieht, hat gegen sie keiner eine Chance. Schon seit vielen Jahren gehört sie zur Weltspitze", sagt Ehemann Christian. In der heimischen Gaststätte hielt er seiner Frau den Rücken frei und fieberte per Live-Stream mit. "Wir haben hier mit vielen Menschen ihren Spielen gefolgt. Nicht nur die Stimmung in der Halle dort war außergewöhnlich, auch hier herrschte Gänsehautstimmung", meint Christian Thissen. Nach den turbulenten Tagen will die Weltmeisterin nun bis zum nächsten Wettkampf im Juli einen sportfreien Monat einlegen.

Wirtshaus und Weltklassesport. Für Silke Thissen ist das eine perfekte Kombination: "Der Alltag in unserem Betrieb ist häufig stressig. Da ist das Kegeln ein perfekter Ausgleich." Allzu rosig ist die Situation für den Kegelsport in Kleve jedoch nicht. Aktuell gehören ihrem Verein keine Jugendlichen an, auch die Mitgliederzahl von 50 ist eher dürftig. "Wir haben viel versucht, unter anderem mit dem Schulsport. Aber die Konkurrenz im Freizeitbereich und vor allem mit den neuen Medien macht es sehr schwierig." Hoffnung für ihren Sport aber schöpft Silke Thissen durch ihren Sieg: "Vielleicht zieht mein Erfolg neue Interessierte an. Zuletzt kamen einige Leute, um bei der Deutschen Meisterin zu spielen. Nun können die Leute bei einer Doppelweltmeisterin kegeln."

(RP)
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